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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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sehr hoch und das Leben sprudelt über. Die Gläser machen ununterbrochen
die Runde, die Tische beugen sich nnter der Last der aufgetragenen Speisen,
und eben so große Mengen bleiben übrig -- für ungebetene, unerwartete
Gäste. Wenn die Schafe geschoren sind und die Wolle mittels Dampfschiffen
stromabwärts den Häfen zugesandt wird, von wo sie nach England geht, be¬
ginnt die Ernte. Es ist indeß Dezember geworden, und Alles eilt in die
Ackerbaudistrikte, um Hell und Weizen zu ernten. Nach einem Monate beginnt
die Zeit des Genusses, da jedoch das Hauptgenußmittel, der Branntwein, sehr
theuer ist -- das Gläschen kostet 6 Pence oder 65 Pfennige -- werden die
Taschen auch bald leer, und manchem kommt dann erst die Sorge um die
Zukunft. Die Glücklicheren finden noch einen geringen Verdienst; viele gehen
Gold suchen, aber der große Ueberrest weiß thatsächlich nicht, was zu beginnen
ist. Diese Marandeure gehen -- auf die "Station".

Die "Station" ist die Residenz der Hirten; ein Mensch, der sich diesem
Geschäfte widmet, wird technisch "Squatter" genannt. In der Station ist
der Ackerbau unbekannt; das nöthige Mehl wird gekauft und das Fleisch liefern
die zahllosen Herden. In einer Station werden Pferde, in der andern Rind¬
vieh, in einer dritten Schafe oder Ziegen gezüchtet, oder vielmehr gehalten.
Je nach der Menge Grases hat eine Station 20 -- 100 tausend Schafe. In
den Pferde- und Rindviehstations finden sich 5--10 tausend Stück dieser Thiere.
Die Einrichtung einer Station, zu der gewöhnlich 20 englische Quadratmeilen
Land gehören, ist ziemlich einfach. Das ganze Gebiet ist in Abtheilungen getheilt,
welche der Engländer technisch "Paddok" nennt. Jeder Paddok ist mit einer
Am ce" (Zaun) umgeben, und muß unbedingt mit Wasser versehen sein, denn
die Herden bleiben Sommer und Winter im Freien, da man in Australien
Stallungen nicht kennt. Die Herden leben in voller autonomischer Freiheit,
"hre durch die Hirten in derselben beschränkt zu werden; die Thiere essen,
trinken und ruhen ganz nach Belieben. Die Zäune richten sich nach der Thier-
spezies, welche auf den Baddoks weidet. Wo Pferde gehalten werden, sind höhere,
wo Rinder und Schafe, niedrigere. In Gegenden, in denen Holz genug ist,
werden die Zäune ans Stangen gemacht; wo nur Gebüsch ist, werdeu sie aus
Strauch geflochten; und wo weder Holz noch Strauch ohne große Arbeit zu
haben ist, hat man Drathzännc; und zwar werden die letzteren am häufigsten
""getroffen.

Wasser muß durchaus im Paddok sein. Wo von Natur keins vorhanden,
die Weide aber sonst gut ist, wird im Thale ein "Tauet" (Teich) gegraben,
-W dem das Regenwasser von den umgebenden Höhen mittelst Gräben geleitet
wird. Man sieht, daß die Einrichtung einer Station, bei dem hohen Preise
der Handarbeit, durchaus nicht billig zu stehen kommt. Wenn sie jedoch ein-


Grcnzlwtcn IV. 1877. 35

sehr hoch und das Leben sprudelt über. Die Gläser machen ununterbrochen
die Runde, die Tische beugen sich nnter der Last der aufgetragenen Speisen,
und eben so große Mengen bleiben übrig — für ungebetene, unerwartete
Gäste. Wenn die Schafe geschoren sind und die Wolle mittels Dampfschiffen
stromabwärts den Häfen zugesandt wird, von wo sie nach England geht, be¬
ginnt die Ernte. Es ist indeß Dezember geworden, und Alles eilt in die
Ackerbaudistrikte, um Hell und Weizen zu ernten. Nach einem Monate beginnt
die Zeit des Genusses, da jedoch das Hauptgenußmittel, der Branntwein, sehr
theuer ist — das Gläschen kostet 6 Pence oder 65 Pfennige — werden die
Taschen auch bald leer, und manchem kommt dann erst die Sorge um die
Zukunft. Die Glücklicheren finden noch einen geringen Verdienst; viele gehen
Gold suchen, aber der große Ueberrest weiß thatsächlich nicht, was zu beginnen
ist. Diese Marandeure gehen — auf die „Station".

Die „Station" ist die Residenz der Hirten; ein Mensch, der sich diesem
Geschäfte widmet, wird technisch „Squatter" genannt. In der Station ist
der Ackerbau unbekannt; das nöthige Mehl wird gekauft und das Fleisch liefern
die zahllosen Herden. In einer Station werden Pferde, in der andern Rind¬
vieh, in einer dritten Schafe oder Ziegen gezüchtet, oder vielmehr gehalten.
Je nach der Menge Grases hat eine Station 20 — 100 tausend Schafe. In
den Pferde- und Rindviehstations finden sich 5—10 tausend Stück dieser Thiere.
Die Einrichtung einer Station, zu der gewöhnlich 20 englische Quadratmeilen
Land gehören, ist ziemlich einfach. Das ganze Gebiet ist in Abtheilungen getheilt,
welche der Engländer technisch „Paddok" nennt. Jeder Paddok ist mit einer
Am ce" (Zaun) umgeben, und muß unbedingt mit Wasser versehen sein, denn
die Herden bleiben Sommer und Winter im Freien, da man in Australien
Stallungen nicht kennt. Die Herden leben in voller autonomischer Freiheit,
"hre durch die Hirten in derselben beschränkt zu werden; die Thiere essen,
trinken und ruhen ganz nach Belieben. Die Zäune richten sich nach der Thier-
spezies, welche auf den Baddoks weidet. Wo Pferde gehalten werden, sind höhere,
wo Rinder und Schafe, niedrigere. In Gegenden, in denen Holz genug ist,
werden die Zäune ans Stangen gemacht; wo nur Gebüsch ist, werdeu sie aus
Strauch geflochten; und wo weder Holz noch Strauch ohne große Arbeit zu
haben ist, hat man Drathzännc; und zwar werden die letzteren am häufigsten
""getroffen.

Wasser muß durchaus im Paddok sein. Wo von Natur keins vorhanden,
die Weide aber sonst gut ist, wird im Thale ein „Tauet" (Teich) gegraben,
-W dem das Regenwasser von den umgebenden Höhen mittelst Gräben geleitet
wird. Man sieht, daß die Einrichtung einer Station, bei dem hohen Preise
der Handarbeit, durchaus nicht billig zu stehen kommt. Wenn sie jedoch ein-


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[0277] sehr hoch und das Leben sprudelt über. Die Gläser machen ununterbrochen die Runde, die Tische beugen sich nnter der Last der aufgetragenen Speisen, und eben so große Mengen bleiben übrig — für ungebetene, unerwartete Gäste. Wenn die Schafe geschoren sind und die Wolle mittels Dampfschiffen stromabwärts den Häfen zugesandt wird, von wo sie nach England geht, be¬ ginnt die Ernte. Es ist indeß Dezember geworden, und Alles eilt in die Ackerbaudistrikte, um Hell und Weizen zu ernten. Nach einem Monate beginnt die Zeit des Genusses, da jedoch das Hauptgenußmittel, der Branntwein, sehr theuer ist — das Gläschen kostet 6 Pence oder 65 Pfennige — werden die Taschen auch bald leer, und manchem kommt dann erst die Sorge um die Zukunft. Die Glücklicheren finden noch einen geringen Verdienst; viele gehen Gold suchen, aber der große Ueberrest weiß thatsächlich nicht, was zu beginnen ist. Diese Marandeure gehen — auf die „Station". Die „Station" ist die Residenz der Hirten; ein Mensch, der sich diesem Geschäfte widmet, wird technisch „Squatter" genannt. In der Station ist der Ackerbau unbekannt; das nöthige Mehl wird gekauft und das Fleisch liefern die zahllosen Herden. In einer Station werden Pferde, in der andern Rind¬ vieh, in einer dritten Schafe oder Ziegen gezüchtet, oder vielmehr gehalten. Je nach der Menge Grases hat eine Station 20 — 100 tausend Schafe. In den Pferde- und Rindviehstations finden sich 5—10 tausend Stück dieser Thiere. Die Einrichtung einer Station, zu der gewöhnlich 20 englische Quadratmeilen Land gehören, ist ziemlich einfach. Das ganze Gebiet ist in Abtheilungen getheilt, welche der Engländer technisch „Paddok" nennt. Jeder Paddok ist mit einer Am ce" (Zaun) umgeben, und muß unbedingt mit Wasser versehen sein, denn die Herden bleiben Sommer und Winter im Freien, da man in Australien Stallungen nicht kennt. Die Herden leben in voller autonomischer Freiheit, "hre durch die Hirten in derselben beschränkt zu werden; die Thiere essen, trinken und ruhen ganz nach Belieben. Die Zäune richten sich nach der Thier- spezies, welche auf den Baddoks weidet. Wo Pferde gehalten werden, sind höhere, wo Rinder und Schafe, niedrigere. In Gegenden, in denen Holz genug ist, werden die Zäune ans Stangen gemacht; wo nur Gebüsch ist, werdeu sie aus Strauch geflochten; und wo weder Holz noch Strauch ohne große Arbeit zu haben ist, hat man Drathzännc; und zwar werden die letzteren am häufigsten ""getroffen. Wasser muß durchaus im Paddok sein. Wo von Natur keins vorhanden, die Weide aber sonst gut ist, wird im Thale ein „Tauet" (Teich) gegraben, -W dem das Regenwasser von den umgebenden Höhen mittelst Gräben geleitet wird. Man sieht, daß die Einrichtung einer Station, bei dem hohen Preise der Handarbeit, durchaus nicht billig zu stehen kommt. Wenn sie jedoch ein- Grcnzlwtcn IV. 1877. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/277>, abgerufen am 28.09.2024.