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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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die beiden Bersaglieri erst betrunken zu machen und dann zu ermorden, was
unser Held nach kurzer Erwägung verwirft, als ebenfalls nicht großmüthig.
Diese Erwägung aber lautet: "Wenn ein großes Melch seinen Nachbar ein¬
schläfert durch allerhand freundliches Entgegenkommen, dann sich unversehens
aus ihn stürzt, ihn mit Schlägen mißhandelt, seine Uhr und sein Geld ihm
stiehlt, und ihm ein Glied seines Leibes abschneidet, so ruft man: Ruhm n"d
Sieg! Wenn Tartaglia (so heißt der Bandit) es ebenso macht, so schreit man
über Mord und Verrath. Das scheint mir ungerecht!" Falls Monnier hier
nicht das Verfahren Frankreichs kennzeichnen will, wie es nnter Ludwig XlV,
sich eines Theils von Piemont mit der Festung Casale, und Straßburgs be¬
mächtigte, ohne Kriegserklärung, mitten im Frieden, so muß man annehmen,
daß er das deutsche Reich damit meint.

Im ferneren Verlauf der Geschichte schildert er die Sittsamkeit der Frauen
romanischen Geblütes, in der Person der Diebszuhälterin Carmela, indem er
einem Mitglied seiner katholischen Kirche, das Seelsorger, Diebshehler und Poli'
zeispivn ist, folgende Betrachtung in den Mund legt, als dieser Brave mit dem
Helden der Geschichte, der oben erwähnten Carmela und einem jungen Italiener,
in deu sie sich als Ur. Z verliebt hat, aus gestohlenen Maulthieren dnrchbrennt.
Bemerken Sie wohl, daß Carmela nur Ihrem und meinem Maulthier mit¬
unter auf die Croupe springt, niemals dem vou Angelo?" (so heißt ihr dritter
Liebling). "Wie sittsam! Da hätten Sie neulich einmal den Gegensatz studire"
können, da führte ich "in meiner damaligen augenblicklichen Dienststellnng als
Negieruugsspion) ein junges Ehepaar in den Ruinen von Pompeji herum!
Das waren Deutsche! Wir fuhren bis an Ort und Stelle in der Eisen¬
bahn, 2. Klasse, sie umarmten sich fortwährend, alle Mitreisenden waren über
dies Benehmen entrüstet. Selbst in der Basilika faßten sie sich wieder beim
Halse, ja im Zeustempel küßten sie sich, schließlich sogar in der Straße der
antiken Grüber. Es war eine Schändung der heiligen Alterthümer! Carmela
hat gewiß niemals sich vor Ihren Augen mit Dvminiko (dem Spitzbubeuchef)
geschnäbelt?" "New, niemals", sagt unser Held. "Da sehen Sie" fährt der
Priester, Hehler und Polizeispion salbungsvoll fort: "Daß nur im Süden du'
Frauen Takt besitzen!"

Genug. Armes Frankreich, du hast mancherlei gesündigt, aber solche Be¬
schützer hast du eigentlich doch nicht verdient!

Die zweite Burleske des französischen Nationalhasses wirkt um so er
heiternder, als sie ernst gemeint ist. M. Reville übersetzt zu Nutz und Fromme"
seiner Landsleute Cäsars "cle dello Mllieo" nebst Kommentaren, die er seiner¬
seits mit Kommentaren versieht, um zu beweisen, daß die heutigen Franzosen
direkt und ohne jede nennenswerthe Vermischung mit anderem Blut von den


die beiden Bersaglieri erst betrunken zu machen und dann zu ermorden, was
unser Held nach kurzer Erwägung verwirft, als ebenfalls nicht großmüthig.
Diese Erwägung aber lautet: „Wenn ein großes Melch seinen Nachbar ein¬
schläfert durch allerhand freundliches Entgegenkommen, dann sich unversehens
aus ihn stürzt, ihn mit Schlägen mißhandelt, seine Uhr und sein Geld ihm
stiehlt, und ihm ein Glied seines Leibes abschneidet, so ruft man: Ruhm n»d
Sieg! Wenn Tartaglia (so heißt der Bandit) es ebenso macht, so schreit man
über Mord und Verrath. Das scheint mir ungerecht!" Falls Monnier hier
nicht das Verfahren Frankreichs kennzeichnen will, wie es nnter Ludwig XlV,
sich eines Theils von Piemont mit der Festung Casale, und Straßburgs be¬
mächtigte, ohne Kriegserklärung, mitten im Frieden, so muß man annehmen,
daß er das deutsche Reich damit meint.

Im ferneren Verlauf der Geschichte schildert er die Sittsamkeit der Frauen
romanischen Geblütes, in der Person der Diebszuhälterin Carmela, indem er
einem Mitglied seiner katholischen Kirche, das Seelsorger, Diebshehler und Poli'
zeispivn ist, folgende Betrachtung in den Mund legt, als dieser Brave mit dem
Helden der Geschichte, der oben erwähnten Carmela und einem jungen Italiener,
in deu sie sich als Ur. Z verliebt hat, aus gestohlenen Maulthieren dnrchbrennt.
Bemerken Sie wohl, daß Carmela nur Ihrem und meinem Maulthier mit¬
unter auf die Croupe springt, niemals dem vou Angelo?" (so heißt ihr dritter
Liebling). „Wie sittsam! Da hätten Sie neulich einmal den Gegensatz studire»
können, da führte ich «in meiner damaligen augenblicklichen Dienststellnng als
Negieruugsspion) ein junges Ehepaar in den Ruinen von Pompeji herum!
Das waren Deutsche! Wir fuhren bis an Ort und Stelle in der Eisen¬
bahn, 2. Klasse, sie umarmten sich fortwährend, alle Mitreisenden waren über
dies Benehmen entrüstet. Selbst in der Basilika faßten sie sich wieder beim
Halse, ja im Zeustempel küßten sie sich, schließlich sogar in der Straße der
antiken Grüber. Es war eine Schändung der heiligen Alterthümer! Carmela
hat gewiß niemals sich vor Ihren Augen mit Dvminiko (dem Spitzbubeuchef)
geschnäbelt?" „New, niemals", sagt unser Held. „Da sehen Sie" fährt der
Priester, Hehler und Polizeispion salbungsvoll fort: „Daß nur im Süden du'
Frauen Takt besitzen!"

Genug. Armes Frankreich, du hast mancherlei gesündigt, aber solche Be¬
schützer hast du eigentlich doch nicht verdient!

Die zweite Burleske des französischen Nationalhasses wirkt um so er
heiternder, als sie ernst gemeint ist. M. Reville übersetzt zu Nutz und Fromme»
seiner Landsleute Cäsars »cle dello Mllieo" nebst Kommentaren, die er seiner¬
seits mit Kommentaren versieht, um zu beweisen, daß die heutigen Franzosen
direkt und ohne jede nennenswerthe Vermischung mit anderem Blut von den


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[0270] die beiden Bersaglieri erst betrunken zu machen und dann zu ermorden, was unser Held nach kurzer Erwägung verwirft, als ebenfalls nicht großmüthig. Diese Erwägung aber lautet: „Wenn ein großes Melch seinen Nachbar ein¬ schläfert durch allerhand freundliches Entgegenkommen, dann sich unversehens aus ihn stürzt, ihn mit Schlägen mißhandelt, seine Uhr und sein Geld ihm stiehlt, und ihm ein Glied seines Leibes abschneidet, so ruft man: Ruhm n»d Sieg! Wenn Tartaglia (so heißt der Bandit) es ebenso macht, so schreit man über Mord und Verrath. Das scheint mir ungerecht!" Falls Monnier hier nicht das Verfahren Frankreichs kennzeichnen will, wie es nnter Ludwig XlV, sich eines Theils von Piemont mit der Festung Casale, und Straßburgs be¬ mächtigte, ohne Kriegserklärung, mitten im Frieden, so muß man annehmen, daß er das deutsche Reich damit meint. Im ferneren Verlauf der Geschichte schildert er die Sittsamkeit der Frauen romanischen Geblütes, in der Person der Diebszuhälterin Carmela, indem er einem Mitglied seiner katholischen Kirche, das Seelsorger, Diebshehler und Poli' zeispivn ist, folgende Betrachtung in den Mund legt, als dieser Brave mit dem Helden der Geschichte, der oben erwähnten Carmela und einem jungen Italiener, in deu sie sich als Ur. Z verliebt hat, aus gestohlenen Maulthieren dnrchbrennt. Bemerken Sie wohl, daß Carmela nur Ihrem und meinem Maulthier mit¬ unter auf die Croupe springt, niemals dem vou Angelo?" (so heißt ihr dritter Liebling). „Wie sittsam! Da hätten Sie neulich einmal den Gegensatz studire» können, da führte ich «in meiner damaligen augenblicklichen Dienststellnng als Negieruugsspion) ein junges Ehepaar in den Ruinen von Pompeji herum! Das waren Deutsche! Wir fuhren bis an Ort und Stelle in der Eisen¬ bahn, 2. Klasse, sie umarmten sich fortwährend, alle Mitreisenden waren über dies Benehmen entrüstet. Selbst in der Basilika faßten sie sich wieder beim Halse, ja im Zeustempel küßten sie sich, schließlich sogar in der Straße der antiken Grüber. Es war eine Schändung der heiligen Alterthümer! Carmela hat gewiß niemals sich vor Ihren Augen mit Dvminiko (dem Spitzbubeuchef) geschnäbelt?" „New, niemals", sagt unser Held. „Da sehen Sie" fährt der Priester, Hehler und Polizeispion salbungsvoll fort: „Daß nur im Süden du' Frauen Takt besitzen!" Genug. Armes Frankreich, du hast mancherlei gesündigt, aber solche Be¬ schützer hast du eigentlich doch nicht verdient! Die zweite Burleske des französischen Nationalhasses wirkt um so er heiternder, als sie ernst gemeint ist. M. Reville übersetzt zu Nutz und Fromme» seiner Landsleute Cäsars »cle dello Mllieo" nebst Kommentaren, die er seiner¬ seits mit Kommentaren versieht, um zu beweisen, daß die heutigen Franzosen direkt und ohne jede nennenswerthe Vermischung mit anderem Blut von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/270>, abgerufen am 24.08.2024.