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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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überweltlich und die Welt völlig bedingend, auf der anderen Seite der Mensch,
das Kind der Zeit, schwach und gebrechlich, das waren die Gruudfaktvreu des
religiösen und sittlichen Bewußtseins des israelitischen Volks. Nur wie eine
in Nebel gehüllte Fernsicht erschien der Scheol am Horizont. Und doch sollte
das irdische Leben des Individuums uicht als werthlos empfunden, nicht pan-
theistisch als eine schnell verranschende Welle in der Fluth des Seins gefühlt
werden, vielmehr als Verwirklichung des göttlichen Gesetzes mit dein reichsten
Inhalt sich erfüllen. Der Schwerpunkt des sittlichen Lebens wurde in das
Diesseits gelegt, hier und uur hier war die Stätte der Vergeltung. Durch diese
unmittelbare Nähe der richtenden Geschicke sollte das sittliche Bewußtsein ge¬
schärft werden. Es ist daher die feste Ueberzeugung der Frommen des Alten
Bundes, daß noch hier ans Erden der Gottlose gestraft, der Fromme belohnt
werde. Es ist für sie die schwerste Glanbensprüfuug, wenn diese Hoffnung
getäuscht zu werden scheint. Aber es ist auch für sie der größte Glanbens-
sieg, trotz aller widersprechenden Erfahrungen, die Zuversicht uicht aufzugeben,
daß sie endlich doch noch hier auf Erden die Wege der göttlichen Gerechtigkeit
erleben werde".

Durch die tiefgreifendsten Geschicke, durch die schmerzlichste" Führungen
sollte Israel auf eine höhere Stufe der Erkenntniß erhöbe" werde". Die
sichtbare Theokratie zerbrach, das Volk der Wahl wurde in die Gefangenschaft
geführt, der Heiden Hand lag schwer ans ihm. Wohl sieht der hoffende
Glaube anch ein irdisches Ende dieser Zeit des Elends. Die Stimme der
Weissagung verkündet die Rückkehr in das Land der Verheißung. Das einem
Leichnam gleiche Volk wird auferstehen. Aber die Einzelnen? Wieviele werden
den Tag der Freude uicht sehen! Jesaias -- 26, 14 - klagt noch, die Ver¬
storbenen stehen uicht auf --, uur am Volk als Ganzem wird die vergeltende
Hand sichtbar, aber Daniel, der auf eine andere Zeit des Schreckens blickt,
""f die Glanbeuskümpfe uuter Antiochus Epiphanes, er ist der Prophet eines
Sieges über den Tod auch für den Einzelnen, er weissagt eine Auferstehung
des Individuums, und zwar knüpft er an sie die Vergeltung. Die Einen
wachen auf zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Schmach und Schande.
^ Daniel 12, 2. 3. 13. -- Aber auch sein Blick ist noch beschränkt, es sind
uur die Glieder seines Volks, die an der Auferstehung Theil nehmen.

Ans demselben Boden steht auch das zweite Buch der Makkabäer, eine
allgemeine, auch die Heiden umfassende Auferstehung wird von ihm uicht ge¬
lehrt. Das Buch Judith schließt sie sogar von derselben ans, ihr Leib wird
geplagt mit Feuer und Würmern, sie brennen und heulen in Ewigkeit -- 16, 21. --

Aber dieser Glaube an eine Auferstehung war kein allgemeiner, die ver¬
schiedensten Anschauungen machten sich geltend, die Einheit des religiösen Be-


überweltlich und die Welt völlig bedingend, auf der anderen Seite der Mensch,
das Kind der Zeit, schwach und gebrechlich, das waren die Gruudfaktvreu des
religiösen und sittlichen Bewußtseins des israelitischen Volks. Nur wie eine
in Nebel gehüllte Fernsicht erschien der Scheol am Horizont. Und doch sollte
das irdische Leben des Individuums uicht als werthlos empfunden, nicht pan-
theistisch als eine schnell verranschende Welle in der Fluth des Seins gefühlt
werden, vielmehr als Verwirklichung des göttlichen Gesetzes mit dein reichsten
Inhalt sich erfüllen. Der Schwerpunkt des sittlichen Lebens wurde in das
Diesseits gelegt, hier und uur hier war die Stätte der Vergeltung. Durch diese
unmittelbare Nähe der richtenden Geschicke sollte das sittliche Bewußtsein ge¬
schärft werden. Es ist daher die feste Ueberzeugung der Frommen des Alten
Bundes, daß noch hier ans Erden der Gottlose gestraft, der Fromme belohnt
werde. Es ist für sie die schwerste Glanbensprüfuug, wenn diese Hoffnung
getäuscht zu werden scheint. Aber es ist auch für sie der größte Glanbens-
sieg, trotz aller widersprechenden Erfahrungen, die Zuversicht uicht aufzugeben,
daß sie endlich doch noch hier auf Erden die Wege der göttlichen Gerechtigkeit
erleben werde».

Durch die tiefgreifendsten Geschicke, durch die schmerzlichste» Führungen
sollte Israel auf eine höhere Stufe der Erkenntniß erhöbe» werde». Die
sichtbare Theokratie zerbrach, das Volk der Wahl wurde in die Gefangenschaft
geführt, der Heiden Hand lag schwer ans ihm. Wohl sieht der hoffende
Glaube anch ein irdisches Ende dieser Zeit des Elends. Die Stimme der
Weissagung verkündet die Rückkehr in das Land der Verheißung. Das einem
Leichnam gleiche Volk wird auferstehen. Aber die Einzelnen? Wieviele werden
den Tag der Freude uicht sehen! Jesaias — 26, 14 - klagt noch, die Ver¬
storbenen stehen uicht auf —, uur am Volk als Ganzem wird die vergeltende
Hand sichtbar, aber Daniel, der auf eine andere Zeit des Schreckens blickt,
"»f die Glanbeuskümpfe uuter Antiochus Epiphanes, er ist der Prophet eines
Sieges über den Tod auch für den Einzelnen, er weissagt eine Auferstehung
des Individuums, und zwar knüpft er an sie die Vergeltung. Die Einen
wachen auf zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Schmach und Schande.
^ Daniel 12, 2. 3. 13. — Aber auch sein Blick ist noch beschränkt, es sind
uur die Glieder seines Volks, die an der Auferstehung Theil nehmen.

Ans demselben Boden steht auch das zweite Buch der Makkabäer, eine
allgemeine, auch die Heiden umfassende Auferstehung wird von ihm uicht ge¬
lehrt. Das Buch Judith schließt sie sogar von derselben ans, ihr Leib wird
geplagt mit Feuer und Würmern, sie brennen und heulen in Ewigkeit — 16, 21. —

Aber dieser Glaube an eine Auferstehung war kein allgemeiner, die ver¬
schiedensten Anschauungen machten sich geltend, die Einheit des religiösen Be-


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[0257] überweltlich und die Welt völlig bedingend, auf der anderen Seite der Mensch, das Kind der Zeit, schwach und gebrechlich, das waren die Gruudfaktvreu des religiösen und sittlichen Bewußtseins des israelitischen Volks. Nur wie eine in Nebel gehüllte Fernsicht erschien der Scheol am Horizont. Und doch sollte das irdische Leben des Individuums uicht als werthlos empfunden, nicht pan- theistisch als eine schnell verranschende Welle in der Fluth des Seins gefühlt werden, vielmehr als Verwirklichung des göttlichen Gesetzes mit dein reichsten Inhalt sich erfüllen. Der Schwerpunkt des sittlichen Lebens wurde in das Diesseits gelegt, hier und uur hier war die Stätte der Vergeltung. Durch diese unmittelbare Nähe der richtenden Geschicke sollte das sittliche Bewußtsein ge¬ schärft werden. Es ist daher die feste Ueberzeugung der Frommen des Alten Bundes, daß noch hier ans Erden der Gottlose gestraft, der Fromme belohnt werde. Es ist für sie die schwerste Glanbensprüfuug, wenn diese Hoffnung getäuscht zu werden scheint. Aber es ist auch für sie der größte Glanbens- sieg, trotz aller widersprechenden Erfahrungen, die Zuversicht uicht aufzugeben, daß sie endlich doch noch hier auf Erden die Wege der göttlichen Gerechtigkeit erleben werde». Durch die tiefgreifendsten Geschicke, durch die schmerzlichste» Führungen sollte Israel auf eine höhere Stufe der Erkenntniß erhöbe» werde». Die sichtbare Theokratie zerbrach, das Volk der Wahl wurde in die Gefangenschaft geführt, der Heiden Hand lag schwer ans ihm. Wohl sieht der hoffende Glaube anch ein irdisches Ende dieser Zeit des Elends. Die Stimme der Weissagung verkündet die Rückkehr in das Land der Verheißung. Das einem Leichnam gleiche Volk wird auferstehen. Aber die Einzelnen? Wieviele werden den Tag der Freude uicht sehen! Jesaias — 26, 14 - klagt noch, die Ver¬ storbenen stehen uicht auf —, uur am Volk als Ganzem wird die vergeltende Hand sichtbar, aber Daniel, der auf eine andere Zeit des Schreckens blickt, "»f die Glanbeuskümpfe uuter Antiochus Epiphanes, er ist der Prophet eines Sieges über den Tod auch für den Einzelnen, er weissagt eine Auferstehung des Individuums, und zwar knüpft er an sie die Vergeltung. Die Einen wachen auf zum ewigen Leben, die andern zur ewigen Schmach und Schande. ^ Daniel 12, 2. 3. 13. — Aber auch sein Blick ist noch beschränkt, es sind uur die Glieder seines Volks, die an der Auferstehung Theil nehmen. Ans demselben Boden steht auch das zweite Buch der Makkabäer, eine allgemeine, auch die Heiden umfassende Auferstehung wird von ihm uicht ge¬ lehrt. Das Buch Judith schließt sie sogar von derselben ans, ihr Leib wird geplagt mit Feuer und Würmern, sie brennen und heulen in Ewigkeit — 16, 21. — Aber dieser Glaube an eine Auferstehung war kein allgemeiner, die ver¬ schiedensten Anschauungen machten sich geltend, die Einheit des religiösen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/257>, abgerufen am 23.07.2024.