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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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beiden außerchristlicheu Religionen des Monotheismus, ans welche er, nach
dem Plan seines Werkes, unsere Aufmerksamkeit richtet.

Es gehört zu den Problemen der Religionsgeschichte, daß das Volk der
Offenbarung, der Träger des Monotheismus, hinter andern Nationen in der
Entwicklung der Unsterblichkeitsidee zurückgeblieben ist, und daß ein bestimm¬
teres Erfassen derselben erst eintritt, nachdem theils persische, theils griechische
Einflüsse sich geltend gemacht haben. An der Armuth der israelitischen Escha¬
tologie kann nicht gezweifelt werden. Das Leben uach dein Tode erscheint
durchgängig als ein bewnßtloses Schattendasein, so nichtig und leer, daß es kaum
noch ein Sein, keinesfalls ein Leben genannt werden kann. Mitunter empfangen
wir sogar den Eindruck, als werde das Sein selbst verneint, und die Unter¬
welt sei nicht anderes als das Grab -- Psalm M, 6. 7 --. Es ist ans
jeden Fall ein trostloser Zustand, der des Gestorbenen harrt, weder Gott ge¬
denkt seiner, uoch er Gottes -- Psalm 6, l>. 115, 17 --, die einzige Em
pfinduug, deren der Mensch im Scheol fähig ist, das ist der Schmerz -
Hiob 14, 21 --. Begreiflich, daß ein solcher Ort nicht als Stätte der Ver¬
geltung gedacht werden kann. Die individuelle Persönlichkeit erlischt hier bis
ans einen dürftigen formalen Rest. Ebenso begreiflich, daß der Tod mir
Gegenstand der Furcht und des Schreckens ist, kein Gegenstand der Sehnsucht,
es sei denn, daß er vor dein Erleben schweren irdischen Unglücks bewahrt --
Jesaias 57, 1--2.

Dies religionsgeschichtliche Problem steigert sich, wenn wir uns vergegen¬
wärtigen, daß die Israeliten aus Aegypten kamen, daß Moses ägyptische
Bildung genossen hatte, welche die Unsterblichkeitsidee als einen wesentlichen
Bestandtheil in sich trug. Aber grade diese Erwägung giebt uns anch den
Schlüssel zur Lösung des Problems. Die Unsterblichkeitsidee existirte bei den
Aeghptern theils in der Form der Seelenwanderung theils als pantheistische
Resorption in die Gottheit, stand also das eine Mal in: Widerspruch mit der
Idee der menschlichen, das andere Mal mit der Idee der göttlichen Person
lichkeit, war daher in keiner Hinsicht geeignet, mit dein Glanben Israels zu
verschmelzen. Wo sonst aber ans heidnischem Gebiet die Idee der Unsterblich¬
keit sich fand, stand sie in Verbindung mit mythologischen und polytheistischen
Anschauungen und nährte sie. Die Geister der Verstorbenen empfingen göttliche
Verehrung. Sollte daher der polytheistische Hang des israelischen Volks unter¬
drückt werden, so mußte ein dichter Schleier das Jenseits des Grabes verhüllen.

Noch etwas andres kommt in Betracht. Die alttestamentliche Institution
sollte die sittlichen Ideen ans dem Boden einer sichtbaren zeitlichen Theokratie
verwirklichen. Dem entsprach es, daß der Gesichtskreis des Volks wesentlich
die Schranken des Diesseits nicht überschritt. Ans der einen Seite Gott, ewig,


beiden außerchristlicheu Religionen des Monotheismus, ans welche er, nach
dem Plan seines Werkes, unsere Aufmerksamkeit richtet.

Es gehört zu den Problemen der Religionsgeschichte, daß das Volk der
Offenbarung, der Träger des Monotheismus, hinter andern Nationen in der
Entwicklung der Unsterblichkeitsidee zurückgeblieben ist, und daß ein bestimm¬
teres Erfassen derselben erst eintritt, nachdem theils persische, theils griechische
Einflüsse sich geltend gemacht haben. An der Armuth der israelitischen Escha¬
tologie kann nicht gezweifelt werden. Das Leben uach dein Tode erscheint
durchgängig als ein bewnßtloses Schattendasein, so nichtig und leer, daß es kaum
noch ein Sein, keinesfalls ein Leben genannt werden kann. Mitunter empfangen
wir sogar den Eindruck, als werde das Sein selbst verneint, und die Unter¬
welt sei nicht anderes als das Grab — Psalm M, 6. 7 —. Es ist ans
jeden Fall ein trostloser Zustand, der des Gestorbenen harrt, weder Gott ge¬
denkt seiner, uoch er Gottes — Psalm 6, l>. 115, 17 —, die einzige Em
pfinduug, deren der Mensch im Scheol fähig ist, das ist der Schmerz -
Hiob 14, 21 —. Begreiflich, daß ein solcher Ort nicht als Stätte der Ver¬
geltung gedacht werden kann. Die individuelle Persönlichkeit erlischt hier bis
ans einen dürftigen formalen Rest. Ebenso begreiflich, daß der Tod mir
Gegenstand der Furcht und des Schreckens ist, kein Gegenstand der Sehnsucht,
es sei denn, daß er vor dein Erleben schweren irdischen Unglücks bewahrt —
Jesaias 57, 1—2.

Dies religionsgeschichtliche Problem steigert sich, wenn wir uns vergegen¬
wärtigen, daß die Israeliten aus Aegypten kamen, daß Moses ägyptische
Bildung genossen hatte, welche die Unsterblichkeitsidee als einen wesentlichen
Bestandtheil in sich trug. Aber grade diese Erwägung giebt uns anch den
Schlüssel zur Lösung des Problems. Die Unsterblichkeitsidee existirte bei den
Aeghptern theils in der Form der Seelenwanderung theils als pantheistische
Resorption in die Gottheit, stand also das eine Mal in: Widerspruch mit der
Idee der menschlichen, das andere Mal mit der Idee der göttlichen Person
lichkeit, war daher in keiner Hinsicht geeignet, mit dein Glanben Israels zu
verschmelzen. Wo sonst aber ans heidnischem Gebiet die Idee der Unsterblich¬
keit sich fand, stand sie in Verbindung mit mythologischen und polytheistischen
Anschauungen und nährte sie. Die Geister der Verstorbenen empfingen göttliche
Verehrung. Sollte daher der polytheistische Hang des israelischen Volks unter¬
drückt werden, so mußte ein dichter Schleier das Jenseits des Grabes verhüllen.

Noch etwas andres kommt in Betracht. Die alttestamentliche Institution
sollte die sittlichen Ideen ans dem Boden einer sichtbaren zeitlichen Theokratie
verwirklichen. Dem entsprach es, daß der Gesichtskreis des Volks wesentlich
die Schranken des Diesseits nicht überschritt. Ans der einen Seite Gott, ewig,


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[0256] beiden außerchristlicheu Religionen des Monotheismus, ans welche er, nach dem Plan seines Werkes, unsere Aufmerksamkeit richtet. Es gehört zu den Problemen der Religionsgeschichte, daß das Volk der Offenbarung, der Träger des Monotheismus, hinter andern Nationen in der Entwicklung der Unsterblichkeitsidee zurückgeblieben ist, und daß ein bestimm¬ teres Erfassen derselben erst eintritt, nachdem theils persische, theils griechische Einflüsse sich geltend gemacht haben. An der Armuth der israelitischen Escha¬ tologie kann nicht gezweifelt werden. Das Leben uach dein Tode erscheint durchgängig als ein bewnßtloses Schattendasein, so nichtig und leer, daß es kaum noch ein Sein, keinesfalls ein Leben genannt werden kann. Mitunter empfangen wir sogar den Eindruck, als werde das Sein selbst verneint, und die Unter¬ welt sei nicht anderes als das Grab — Psalm M, 6. 7 —. Es ist ans jeden Fall ein trostloser Zustand, der des Gestorbenen harrt, weder Gott ge¬ denkt seiner, uoch er Gottes — Psalm 6, l>. 115, 17 —, die einzige Em pfinduug, deren der Mensch im Scheol fähig ist, das ist der Schmerz - Hiob 14, 21 —. Begreiflich, daß ein solcher Ort nicht als Stätte der Ver¬ geltung gedacht werden kann. Die individuelle Persönlichkeit erlischt hier bis ans einen dürftigen formalen Rest. Ebenso begreiflich, daß der Tod mir Gegenstand der Furcht und des Schreckens ist, kein Gegenstand der Sehnsucht, es sei denn, daß er vor dein Erleben schweren irdischen Unglücks bewahrt — Jesaias 57, 1—2. Dies religionsgeschichtliche Problem steigert sich, wenn wir uns vergegen¬ wärtigen, daß die Israeliten aus Aegypten kamen, daß Moses ägyptische Bildung genossen hatte, welche die Unsterblichkeitsidee als einen wesentlichen Bestandtheil in sich trug. Aber grade diese Erwägung giebt uns anch den Schlüssel zur Lösung des Problems. Die Unsterblichkeitsidee existirte bei den Aeghptern theils in der Form der Seelenwanderung theils als pantheistische Resorption in die Gottheit, stand also das eine Mal in: Widerspruch mit der Idee der menschlichen, das andere Mal mit der Idee der göttlichen Person lichkeit, war daher in keiner Hinsicht geeignet, mit dein Glanben Israels zu verschmelzen. Wo sonst aber ans heidnischem Gebiet die Idee der Unsterblich¬ keit sich fand, stand sie in Verbindung mit mythologischen und polytheistischen Anschauungen und nährte sie. Die Geister der Verstorbenen empfingen göttliche Verehrung. Sollte daher der polytheistische Hang des israelischen Volks unter¬ drückt werden, so mußte ein dichter Schleier das Jenseits des Grabes verhüllen. Noch etwas andres kommt in Betracht. Die alttestamentliche Institution sollte die sittlichen Ideen ans dem Boden einer sichtbaren zeitlichen Theokratie verwirklichen. Dem entsprach es, daß der Gesichtskreis des Volks wesentlich die Schranken des Diesseits nicht überschritt. Ans der einen Seite Gott, ewig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/256>, abgerufen am 23.07.2024.