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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Vorstellungswelt zum Gegenstand der Forschung gewählt, welcher für sie
von eentraler Bedeutung ist. Nach der Beurtheilung des Todes bemißt sich
die Beurtheilung des Lebens; und die Art und Weise, wie das Leben nach dem
Tode gedacht wird, ist ein Gradmesser für den Werth der allgemeinen religiösen
und sittlichen Gesammtanschauung.

Daß der Verfasser sich auf die außerchristliche Welt beschränkt hat, können
wir nur billigen, da die Hineinziehung der christlichen Lehre dem Werke einen
zu großen Umfang gegeben haben würde. Uebrigens hat er es nicht unter¬
lassen, wo die Gelegenheit sich bot, ans Analogien zwischen beiden Anschauungs¬
kreisen die Aufmerksamkeit zu richten.

Er beginnt den Rundgang mit der Beobachtung der Vorstellungen der
Naturvölker und kommt hier zu dem Ergebniß, daß auch auf den niedrigsten
Stufen des geistigen Lebens die Wahrheit, daß mit dem Tode das Dasein der
Seele nicht erlischt, sich zur Geltung gebracht habe. Es gibt kein Volk, dem
der Glaube an die Fortdauer der Seele nach dem Tode fehlt. Wir können
noch weiter gehen. Bei den Naturvölkern, wenigstens bei sehr vielen, finden
wir den Einfluß sittlicher Ideen in Bezug auf die Gestaltung des Bildes, in
dem sie das Leben nach dem Tode sich vergegenwärtigen. Es gibt Neger-
stämme in Afrika, welche die Verstorbenen je nach Verdienst in die Gesellschaft
guter oder böser Geister eintreten lassen. Die Bewohner der Fidji-Inseln
glauben, daß die Seelen nach dem Tode vor dem Richterstuhl des Gottes
Stdeugei erscheinen müssen, der sie entweder in Gnaden annimmt oder sie weg¬
schickt, in welchem Falle sie als Gespenster um ihre frühere Wohnstätte spuken,
oder sie den bösen Geistern hinwirft oder sie endlich eine Zeit lang in ein
hartes Gefängniß einschließt, um sie dann der Vernichtung preis zu geben.
Auch die Eskimos unterscheiden einen Himmel und eine Hölle, ebenso die Pe¬
rnatter und die Azteken, welche letzteren indessen jenen nur mit den in der
Schlacht gefallenen Kriegern bevölkern, während sie den friedlich Gestorbenen
einen Ort empfindungsloser Ruhe anweisen. In anderer Weise hat sich der
Gedanke einer Vergeltung nach dem Tode bei den Indianern Nordamerikas
Bahn gebrochen. Sie lassen die Guten 'ohne Schwierigkeit über das Wasser
gelangen, welches den Weg zur anderen Welt bildet, die Bösen aber entweder
darin untergehen oder bis zum Kinn in seine Tiefe sinken und vergeblich sich
bemühen, das nahe, lockende Land zu erreichen, oder endlich nach langem
Ringen an dasselbe kommen.

Sehr verbreitet ist die Scheu vor einer Beziehung zu den abgeschiedenen
Geistern. Die Sioux-Indianer bitten sie dringend zu bleiben, wo ihr eigent¬
licher Aufenthalt sei, und durch ihre Rückkehr die Hinterbliebenen nicht zu
beunruhigen. Die afrikanischen Neger, welche von der Einwirkung der Geister-


Vorstellungswelt zum Gegenstand der Forschung gewählt, welcher für sie
von eentraler Bedeutung ist. Nach der Beurtheilung des Todes bemißt sich
die Beurtheilung des Lebens; und die Art und Weise, wie das Leben nach dem
Tode gedacht wird, ist ein Gradmesser für den Werth der allgemeinen religiösen
und sittlichen Gesammtanschauung.

Daß der Verfasser sich auf die außerchristliche Welt beschränkt hat, können
wir nur billigen, da die Hineinziehung der christlichen Lehre dem Werke einen
zu großen Umfang gegeben haben würde. Uebrigens hat er es nicht unter¬
lassen, wo die Gelegenheit sich bot, ans Analogien zwischen beiden Anschauungs¬
kreisen die Aufmerksamkeit zu richten.

Er beginnt den Rundgang mit der Beobachtung der Vorstellungen der
Naturvölker und kommt hier zu dem Ergebniß, daß auch auf den niedrigsten
Stufen des geistigen Lebens die Wahrheit, daß mit dem Tode das Dasein der
Seele nicht erlischt, sich zur Geltung gebracht habe. Es gibt kein Volk, dem
der Glaube an die Fortdauer der Seele nach dem Tode fehlt. Wir können
noch weiter gehen. Bei den Naturvölkern, wenigstens bei sehr vielen, finden
wir den Einfluß sittlicher Ideen in Bezug auf die Gestaltung des Bildes, in
dem sie das Leben nach dem Tode sich vergegenwärtigen. Es gibt Neger-
stämme in Afrika, welche die Verstorbenen je nach Verdienst in die Gesellschaft
guter oder böser Geister eintreten lassen. Die Bewohner der Fidji-Inseln
glauben, daß die Seelen nach dem Tode vor dem Richterstuhl des Gottes
Stdeugei erscheinen müssen, der sie entweder in Gnaden annimmt oder sie weg¬
schickt, in welchem Falle sie als Gespenster um ihre frühere Wohnstätte spuken,
oder sie den bösen Geistern hinwirft oder sie endlich eine Zeit lang in ein
hartes Gefängniß einschließt, um sie dann der Vernichtung preis zu geben.
Auch die Eskimos unterscheiden einen Himmel und eine Hölle, ebenso die Pe¬
rnatter und die Azteken, welche letzteren indessen jenen nur mit den in der
Schlacht gefallenen Kriegern bevölkern, während sie den friedlich Gestorbenen
einen Ort empfindungsloser Ruhe anweisen. In anderer Weise hat sich der
Gedanke einer Vergeltung nach dem Tode bei den Indianern Nordamerikas
Bahn gebrochen. Sie lassen die Guten 'ohne Schwierigkeit über das Wasser
gelangen, welches den Weg zur anderen Welt bildet, die Bösen aber entweder
darin untergehen oder bis zum Kinn in seine Tiefe sinken und vergeblich sich
bemühen, das nahe, lockende Land zu erreichen, oder endlich nach langem
Ringen an dasselbe kommen.

Sehr verbreitet ist die Scheu vor einer Beziehung zu den abgeschiedenen
Geistern. Die Sioux-Indianer bitten sie dringend zu bleiben, wo ihr eigent¬
licher Aufenthalt sei, und durch ihre Rückkehr die Hinterbliebenen nicht zu
beunruhigen. Die afrikanischen Neger, welche von der Einwirkung der Geister-


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[0246] Vorstellungswelt zum Gegenstand der Forschung gewählt, welcher für sie von eentraler Bedeutung ist. Nach der Beurtheilung des Todes bemißt sich die Beurtheilung des Lebens; und die Art und Weise, wie das Leben nach dem Tode gedacht wird, ist ein Gradmesser für den Werth der allgemeinen religiösen und sittlichen Gesammtanschauung. Daß der Verfasser sich auf die außerchristliche Welt beschränkt hat, können wir nur billigen, da die Hineinziehung der christlichen Lehre dem Werke einen zu großen Umfang gegeben haben würde. Uebrigens hat er es nicht unter¬ lassen, wo die Gelegenheit sich bot, ans Analogien zwischen beiden Anschauungs¬ kreisen die Aufmerksamkeit zu richten. Er beginnt den Rundgang mit der Beobachtung der Vorstellungen der Naturvölker und kommt hier zu dem Ergebniß, daß auch auf den niedrigsten Stufen des geistigen Lebens die Wahrheit, daß mit dem Tode das Dasein der Seele nicht erlischt, sich zur Geltung gebracht habe. Es gibt kein Volk, dem der Glaube an die Fortdauer der Seele nach dem Tode fehlt. Wir können noch weiter gehen. Bei den Naturvölkern, wenigstens bei sehr vielen, finden wir den Einfluß sittlicher Ideen in Bezug auf die Gestaltung des Bildes, in dem sie das Leben nach dem Tode sich vergegenwärtigen. Es gibt Neger- stämme in Afrika, welche die Verstorbenen je nach Verdienst in die Gesellschaft guter oder böser Geister eintreten lassen. Die Bewohner der Fidji-Inseln glauben, daß die Seelen nach dem Tode vor dem Richterstuhl des Gottes Stdeugei erscheinen müssen, der sie entweder in Gnaden annimmt oder sie weg¬ schickt, in welchem Falle sie als Gespenster um ihre frühere Wohnstätte spuken, oder sie den bösen Geistern hinwirft oder sie endlich eine Zeit lang in ein hartes Gefängniß einschließt, um sie dann der Vernichtung preis zu geben. Auch die Eskimos unterscheiden einen Himmel und eine Hölle, ebenso die Pe¬ rnatter und die Azteken, welche letzteren indessen jenen nur mit den in der Schlacht gefallenen Kriegern bevölkern, während sie den friedlich Gestorbenen einen Ort empfindungsloser Ruhe anweisen. In anderer Weise hat sich der Gedanke einer Vergeltung nach dem Tode bei den Indianern Nordamerikas Bahn gebrochen. Sie lassen die Guten 'ohne Schwierigkeit über das Wasser gelangen, welches den Weg zur anderen Welt bildet, die Bösen aber entweder darin untergehen oder bis zum Kinn in seine Tiefe sinken und vergeblich sich bemühen, das nahe, lockende Land zu erreichen, oder endlich nach langem Ringen an dasselbe kommen. Sehr verbreitet ist die Scheu vor einer Beziehung zu den abgeschiedenen Geistern. Die Sioux-Indianer bitten sie dringend zu bleiben, wo ihr eigent¬ licher Aufenthalt sei, und durch ihre Rückkehr die Hinterbliebenen nicht zu beunruhigen. Die afrikanischen Neger, welche von der Einwirkung der Geister-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/246>, abgerufen am 23.07.2024.