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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Welt auf ihr Thun und Treiben durchdrungen sind, die Träume und Einfälle
auf sie zurückführen, sehen in allem Schmerzlichen, was sie trifft, das Walten
böser Geister, darunter anch der Verstorbenen, und suchen sie durch Fackeln,
Waffen und Geheul zu verscheuchen.

Der Zustand nach dein Tode erscheint für alle Naturvölker als eine
Steigerung des Glücks, natürlich nur für die Guten; und so können wir uns
nicht wundern, daß sie bald ohne Furcht dem Tode entgegen gehen, bald die¬
selbe zu besiegen suchen, bald sogar mit Sehnsucht auf ihn warten. Ohne
Zagen sieht ihn der Indianer kommen, getröstet ruft ein mexikanischer Dichter:
"Erlauchte Fürsten, getreue Unterthanen, laßt uns nach dem Himmel trachten,
wo Alles ewig ist und Verderben nicht kommen kann. Die Schrecken des
Grabes sind mir die Wiege des Sonnenlebens, und die Schatten des Todes
werden strahlende Lichter unter den Sternen." Das höchste Maß der Todes¬
freudigkeit zeigt sich bei den Eskimos, bei denen es als Pflicht der Kinder
gilt, die alt gewordenen Eltern zu todten, um sie aus dem Lande, wo die
Sonne keine Gluth und die Erde keine Kraft der Hervorbringung hat, in eine
bessere Welt zu führen.

Daß das Leben nach dein Tode nur als eine Art Fortsetzung dieses
sinnlichen Daseins erscheint, entspricht der Entwicklungsstufe des Geistes, auf
der die Naturvölker stehen. Es erklärt sich daraus, daß sie in das Grab legen,
was dem Verstorbenen lieb und werth gewesen, was ihm Mittel der
Existenz war, Waffen, Kleider, Nahrungsmittel. Aber auch die Sitte, beim
Begräbniß vornehmer Personen Frauen und Sklaven zu schlachten, begreift
sich aus dieser Voraussetzung, es soll dasür gesorgt werden, daß auch in jener
Welt es dem Abgeschiedenen nicht an dienenden Geistern fehle.

Die Wanderung durch die eschatologischen *) Vorstellungen der Kultur¬
völker beginnt mit den Aegyptern. Wir hätten hier eine größere Ausführlich¬
keit gewünscht, der Verfasser läßt hier Lücken, die wir gern ausgefüllt gesehen
hätten und die bei einer etwas gedrängteren Darstellung ohne Ueberschreitung
des verwandten Raumes sich leicht hätten vermeiden lassen. Das bekannte
Werk Döllingers**) ist hier viel reichhaltiger. Wir benutzen dasselbe daher
zur Ergänzung.

Wir beschränken uns auf die Hervorhebung der charakteristischen Züge.
Die Mumifizirung der Leichname und die Idee der Seelenwanderung erscheinen
als die bedeutungsvollsten Elemente, um die eigenthümliche Auffassung des
ägyptischen Glaubens über das Leben nach dem Tode zu bestimmen. Freilich




*) Eschatologie-Lehre von den letzten Dingen.
*) Heidenthum und Judenthum. Regensburg, 18S7.

Welt auf ihr Thun und Treiben durchdrungen sind, die Träume und Einfälle
auf sie zurückführen, sehen in allem Schmerzlichen, was sie trifft, das Walten
böser Geister, darunter anch der Verstorbenen, und suchen sie durch Fackeln,
Waffen und Geheul zu verscheuchen.

Der Zustand nach dein Tode erscheint für alle Naturvölker als eine
Steigerung des Glücks, natürlich nur für die Guten; und so können wir uns
nicht wundern, daß sie bald ohne Furcht dem Tode entgegen gehen, bald die¬
selbe zu besiegen suchen, bald sogar mit Sehnsucht auf ihn warten. Ohne
Zagen sieht ihn der Indianer kommen, getröstet ruft ein mexikanischer Dichter:
„Erlauchte Fürsten, getreue Unterthanen, laßt uns nach dem Himmel trachten,
wo Alles ewig ist und Verderben nicht kommen kann. Die Schrecken des
Grabes sind mir die Wiege des Sonnenlebens, und die Schatten des Todes
werden strahlende Lichter unter den Sternen." Das höchste Maß der Todes¬
freudigkeit zeigt sich bei den Eskimos, bei denen es als Pflicht der Kinder
gilt, die alt gewordenen Eltern zu todten, um sie aus dem Lande, wo die
Sonne keine Gluth und die Erde keine Kraft der Hervorbringung hat, in eine
bessere Welt zu führen.

Daß das Leben nach dein Tode nur als eine Art Fortsetzung dieses
sinnlichen Daseins erscheint, entspricht der Entwicklungsstufe des Geistes, auf
der die Naturvölker stehen. Es erklärt sich daraus, daß sie in das Grab legen,
was dem Verstorbenen lieb und werth gewesen, was ihm Mittel der
Existenz war, Waffen, Kleider, Nahrungsmittel. Aber auch die Sitte, beim
Begräbniß vornehmer Personen Frauen und Sklaven zu schlachten, begreift
sich aus dieser Voraussetzung, es soll dasür gesorgt werden, daß auch in jener
Welt es dem Abgeschiedenen nicht an dienenden Geistern fehle.

Die Wanderung durch die eschatologischen *) Vorstellungen der Kultur¬
völker beginnt mit den Aegyptern. Wir hätten hier eine größere Ausführlich¬
keit gewünscht, der Verfasser läßt hier Lücken, die wir gern ausgefüllt gesehen
hätten und die bei einer etwas gedrängteren Darstellung ohne Ueberschreitung
des verwandten Raumes sich leicht hätten vermeiden lassen. Das bekannte
Werk Döllingers**) ist hier viel reichhaltiger. Wir benutzen dasselbe daher
zur Ergänzung.

Wir beschränken uns auf die Hervorhebung der charakteristischen Züge.
Die Mumifizirung der Leichname und die Idee der Seelenwanderung erscheinen
als die bedeutungsvollsten Elemente, um die eigenthümliche Auffassung des
ägyptischen Glaubens über das Leben nach dem Tode zu bestimmen. Freilich




*) Eschatologie-Lehre von den letzten Dingen.
*) Heidenthum und Judenthum. Regensburg, 18S7.
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[0247] Welt auf ihr Thun und Treiben durchdrungen sind, die Träume und Einfälle auf sie zurückführen, sehen in allem Schmerzlichen, was sie trifft, das Walten böser Geister, darunter anch der Verstorbenen, und suchen sie durch Fackeln, Waffen und Geheul zu verscheuchen. Der Zustand nach dein Tode erscheint für alle Naturvölker als eine Steigerung des Glücks, natürlich nur für die Guten; und so können wir uns nicht wundern, daß sie bald ohne Furcht dem Tode entgegen gehen, bald die¬ selbe zu besiegen suchen, bald sogar mit Sehnsucht auf ihn warten. Ohne Zagen sieht ihn der Indianer kommen, getröstet ruft ein mexikanischer Dichter: „Erlauchte Fürsten, getreue Unterthanen, laßt uns nach dem Himmel trachten, wo Alles ewig ist und Verderben nicht kommen kann. Die Schrecken des Grabes sind mir die Wiege des Sonnenlebens, und die Schatten des Todes werden strahlende Lichter unter den Sternen." Das höchste Maß der Todes¬ freudigkeit zeigt sich bei den Eskimos, bei denen es als Pflicht der Kinder gilt, die alt gewordenen Eltern zu todten, um sie aus dem Lande, wo die Sonne keine Gluth und die Erde keine Kraft der Hervorbringung hat, in eine bessere Welt zu führen. Daß das Leben nach dein Tode nur als eine Art Fortsetzung dieses sinnlichen Daseins erscheint, entspricht der Entwicklungsstufe des Geistes, auf der die Naturvölker stehen. Es erklärt sich daraus, daß sie in das Grab legen, was dem Verstorbenen lieb und werth gewesen, was ihm Mittel der Existenz war, Waffen, Kleider, Nahrungsmittel. Aber auch die Sitte, beim Begräbniß vornehmer Personen Frauen und Sklaven zu schlachten, begreift sich aus dieser Voraussetzung, es soll dasür gesorgt werden, daß auch in jener Welt es dem Abgeschiedenen nicht an dienenden Geistern fehle. Die Wanderung durch die eschatologischen *) Vorstellungen der Kultur¬ völker beginnt mit den Aegyptern. Wir hätten hier eine größere Ausführlich¬ keit gewünscht, der Verfasser läßt hier Lücken, die wir gern ausgefüllt gesehen hätten und die bei einer etwas gedrängteren Darstellung ohne Ueberschreitung des verwandten Raumes sich leicht hätten vermeiden lassen. Das bekannte Werk Döllingers**) ist hier viel reichhaltiger. Wir benutzen dasselbe daher zur Ergänzung. Wir beschränken uns auf die Hervorhebung der charakteristischen Züge. Die Mumifizirung der Leichname und die Idee der Seelenwanderung erscheinen als die bedeutungsvollsten Elemente, um die eigenthümliche Auffassung des ägyptischen Glaubens über das Leben nach dem Tode zu bestimmen. Freilich *) Eschatologie-Lehre von den letzten Dingen. *) Heidenthum und Judenthum. Regensburg, 18S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/247>, abgerufen am 23.07.2024.