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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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wie der Minister selbst? Was liegt ihr daran, daß dieser Mann, und daß mit ihm
das ganze Staatsministerium sich mit seiner Ehre dafür verbürgt: die Ver¬
waltungsreform ist nicht ausgegeben, sie wird im bisherigen Geiste zum Ab¬
schluß gebracht werden? Die Fortschrittspartei erklärt den Ministern: die
Entscheidung liegt nicht bei Euch, soudern beim Fürsten Bismarck; darum trauen
wir Euren Versprechungen nicht. Für den Widerspruch im eigenen Raisonne-
ment, die einzelnen Minister dem Ministerpräsidenten gegenüber als Nullen
darzustellen und gleichzeitig das ganze Heil der Verwaltuugsreform an die
Person des bisherigen Ministers des Innern zu knüpfen, scheint man auf jener
Seite gar kein Auge zu haben.

Allerdings konnten die Erklärungen der Negierung nicht vollständig be¬
friedigen. Den Liberalen ist niemals zweifelhaft gewesen, daß die Verwaltungs¬
reform sich nicht allein auf die Kreis- und Provinzialordnung sowie auf die
Behördenorganisation, sondern auch auf die Städteordnung und die Landge¬
meindeordnung zu erstrecken haben würde. Nach den jetzigen Andeutungen des
Ministers Friedenthal leugnet die Regierung nicht die Reformbedürftigkeit der
Städteordnung und die Nothwendigkeit einer Landgemeindeorduuug, aber sie
betrachtet diese Aufgaben nicht als integrirende Bestandtheile des die Gesetzgebung
zur Zeit beschäftigenden Reformplanes. In diesem Punkte befindet sie sich im
Gegensatze auch zur nationalliberalen Partei -- eine Differenz, welche von
Laster klar und scharf betont wurde. Aber sollte die nationalliberale Partei
um dieses Punktes willen den Männern, welche sie seit Jahren unterstützt,
plötzlich ihr ganzes Vertrauen entziehen, und mehr noch: sollte sie um dieses
Punktes willen das Chaos heraufbeschwören, welches einem Mißtrauensvotum
unfehlbar gefolgt wäre? Sie hat geglaubt, im Interesse des allgemeinen Besten
zu handeln, indem sie der Fortschrittspartei den Rücken kehrte, andererseis aber
der Regierung die Nothwendigkeit einer Verständigung über jene Differenz
nicht verhehlte, wenn anders sie der Unterstützung der Partei auch ferner sicher
sein wolle.

Damit war das Schicksal des fortschrittlichen Antrages entschieden. Der¬
jenige des Centrums trat von Anfang an in den Hintergrund, obgleich seine
Urheber schließlich noch den Luxus einer namentlicher Abstimmung für den¬
selben in Anspruch nahmen. Der Antrag gehörte nicht zur Sache, diente ledig¬
lich als Dekorationsstück und ermöglichte dem Centrum, sich von der Fortschritts¬
partei, nach dem überaus treffenden Ausdruck des Herrn Virchow, vor aller
Welt die Schleppe tragen zu lassen -- sonst hatte es keinen Zweck; die ultra¬
montanen Herren hüteten sich wohl, die fortschrittliche Freundlichkeit zu erwi¬
dern. So stand schließlich die engere Gefolgschaft der Richter und Virchow
vollständig isolirt. Dafür wird an den bösen Nationalliberalen grausame


wie der Minister selbst? Was liegt ihr daran, daß dieser Mann, und daß mit ihm
das ganze Staatsministerium sich mit seiner Ehre dafür verbürgt: die Ver¬
waltungsreform ist nicht ausgegeben, sie wird im bisherigen Geiste zum Ab¬
schluß gebracht werden? Die Fortschrittspartei erklärt den Ministern: die
Entscheidung liegt nicht bei Euch, soudern beim Fürsten Bismarck; darum trauen
wir Euren Versprechungen nicht. Für den Widerspruch im eigenen Raisonne-
ment, die einzelnen Minister dem Ministerpräsidenten gegenüber als Nullen
darzustellen und gleichzeitig das ganze Heil der Verwaltuugsreform an die
Person des bisherigen Ministers des Innern zu knüpfen, scheint man auf jener
Seite gar kein Auge zu haben.

Allerdings konnten die Erklärungen der Negierung nicht vollständig be¬
friedigen. Den Liberalen ist niemals zweifelhaft gewesen, daß die Verwaltungs¬
reform sich nicht allein auf die Kreis- und Provinzialordnung sowie auf die
Behördenorganisation, sondern auch auf die Städteordnung und die Landge¬
meindeordnung zu erstrecken haben würde. Nach den jetzigen Andeutungen des
Ministers Friedenthal leugnet die Regierung nicht die Reformbedürftigkeit der
Städteordnung und die Nothwendigkeit einer Landgemeindeorduuug, aber sie
betrachtet diese Aufgaben nicht als integrirende Bestandtheile des die Gesetzgebung
zur Zeit beschäftigenden Reformplanes. In diesem Punkte befindet sie sich im
Gegensatze auch zur nationalliberalen Partei — eine Differenz, welche von
Laster klar und scharf betont wurde. Aber sollte die nationalliberale Partei
um dieses Punktes willen den Männern, welche sie seit Jahren unterstützt,
plötzlich ihr ganzes Vertrauen entziehen, und mehr noch: sollte sie um dieses
Punktes willen das Chaos heraufbeschwören, welches einem Mißtrauensvotum
unfehlbar gefolgt wäre? Sie hat geglaubt, im Interesse des allgemeinen Besten
zu handeln, indem sie der Fortschrittspartei den Rücken kehrte, andererseis aber
der Regierung die Nothwendigkeit einer Verständigung über jene Differenz
nicht verhehlte, wenn anders sie der Unterstützung der Partei auch ferner sicher
sein wolle.

Damit war das Schicksal des fortschrittlichen Antrages entschieden. Der¬
jenige des Centrums trat von Anfang an in den Hintergrund, obgleich seine
Urheber schließlich noch den Luxus einer namentlicher Abstimmung für den¬
selben in Anspruch nahmen. Der Antrag gehörte nicht zur Sache, diente ledig¬
lich als Dekorationsstück und ermöglichte dem Centrum, sich von der Fortschritts¬
partei, nach dem überaus treffenden Ausdruck des Herrn Virchow, vor aller
Welt die Schleppe tragen zu lassen — sonst hatte es keinen Zweck; die ultra¬
montanen Herren hüteten sich wohl, die fortschrittliche Freundlichkeit zu erwi¬
dern. So stand schließlich die engere Gefolgschaft der Richter und Virchow
vollständig isolirt. Dafür wird an den bösen Nationalliberalen grausame


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[0242] wie der Minister selbst? Was liegt ihr daran, daß dieser Mann, und daß mit ihm das ganze Staatsministerium sich mit seiner Ehre dafür verbürgt: die Ver¬ waltungsreform ist nicht ausgegeben, sie wird im bisherigen Geiste zum Ab¬ schluß gebracht werden? Die Fortschrittspartei erklärt den Ministern: die Entscheidung liegt nicht bei Euch, soudern beim Fürsten Bismarck; darum trauen wir Euren Versprechungen nicht. Für den Widerspruch im eigenen Raisonne- ment, die einzelnen Minister dem Ministerpräsidenten gegenüber als Nullen darzustellen und gleichzeitig das ganze Heil der Verwaltuugsreform an die Person des bisherigen Ministers des Innern zu knüpfen, scheint man auf jener Seite gar kein Auge zu haben. Allerdings konnten die Erklärungen der Negierung nicht vollständig be¬ friedigen. Den Liberalen ist niemals zweifelhaft gewesen, daß die Verwaltungs¬ reform sich nicht allein auf die Kreis- und Provinzialordnung sowie auf die Behördenorganisation, sondern auch auf die Städteordnung und die Landge¬ meindeordnung zu erstrecken haben würde. Nach den jetzigen Andeutungen des Ministers Friedenthal leugnet die Regierung nicht die Reformbedürftigkeit der Städteordnung und die Nothwendigkeit einer Landgemeindeorduuug, aber sie betrachtet diese Aufgaben nicht als integrirende Bestandtheile des die Gesetzgebung zur Zeit beschäftigenden Reformplanes. In diesem Punkte befindet sie sich im Gegensatze auch zur nationalliberalen Partei — eine Differenz, welche von Laster klar und scharf betont wurde. Aber sollte die nationalliberale Partei um dieses Punktes willen den Männern, welche sie seit Jahren unterstützt, plötzlich ihr ganzes Vertrauen entziehen, und mehr noch: sollte sie um dieses Punktes willen das Chaos heraufbeschwören, welches einem Mißtrauensvotum unfehlbar gefolgt wäre? Sie hat geglaubt, im Interesse des allgemeinen Besten zu handeln, indem sie der Fortschrittspartei den Rücken kehrte, andererseis aber der Regierung die Nothwendigkeit einer Verständigung über jene Differenz nicht verhehlte, wenn anders sie der Unterstützung der Partei auch ferner sicher sein wolle. Damit war das Schicksal des fortschrittlichen Antrages entschieden. Der¬ jenige des Centrums trat von Anfang an in den Hintergrund, obgleich seine Urheber schließlich noch den Luxus einer namentlicher Abstimmung für den¬ selben in Anspruch nahmen. Der Antrag gehörte nicht zur Sache, diente ledig¬ lich als Dekorationsstück und ermöglichte dem Centrum, sich von der Fortschritts¬ partei, nach dem überaus treffenden Ausdruck des Herrn Virchow, vor aller Welt die Schleppe tragen zu lassen — sonst hatte es keinen Zweck; die ultra¬ montanen Herren hüteten sich wohl, die fortschrittliche Freundlichkeit zu erwi¬ dern. So stand schließlich die engere Gefolgschaft der Richter und Virchow vollständig isolirt. Dafür wird an den bösen Nationalliberalen grausame

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/242>, abgerufen am 22.07.2024.