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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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übernommenen Stellvertretung. Herr Friedenthal ist danach für die nächsten
sechs Monate vollkommen selbstständiger Minister des Innern, mit der vollen
Verantwortlichkeit für dieses Ressort. Die angebliche Wandlung in der inneren
Politik der Staatsregierung aber stellte er entschieden in Abrede. Im Geiste
und auf der Grundlage der Kreisordunng von 1872 soll die Verwaltungs¬
reform zu Eude geführt werden. Der Viceprüsideut des Staatsministeriums
Camphausen säumte nicht, diese Versicherungen im Namen der Regierung zu
bekräftigen.

Die Frage war, ob Angesichts dieser Erklürnngen das von der Fort¬
schrittspartei beantragte Mißtrauensvotum als berechtigt gelten könne. Sicherlich
lag kein Grund vor, die konkrete Thatsache der Beurlaubung des Grafen
Eulenburg zum Ausgangspunkte eines solchen Votums zu machen. In Frage
konnte nur kommen, ob eine sechsmonatliche Stellvertretung im Prinzipe als
dem Geiste einer konstitutionellen Verfassung entsprechend zu betrachten sei.
Die Ernennung und Beurlaubung der Minister gehört zu den Prärogativen
der Krone, formell kann also im vorliegenden Falle nichts eingewendet werden.
Unter den Umständen aber, unter welchen dieser Fall eingetreten, ist er das
Symptom einer Unklarheit in der inneren Lage, welche mit einer ersprießlichen
konstitutionellen Staatsentwickelung auf die Dauer nicht verträglich ist. Pflicht
der Freunde einer solchen Entwickelung war es, auf diese Unverträglichkeiten
hinzuweisen und Beseitigung der Unklarheit zu fordern. Aber was berechtigte
dazu, ans dieser Unklarheit einen ausgemachten Wandel in der inneren Politik
herauszulesen? War denn Graf Eulenburg wirklich die einzige Garantie für die
Durchführung der Verwaltnngsreform? Es ist wahr, Graf Eulenburg hat
das Gesetzgebungswerk der Kreisordunng, nachdem er es einmal begonnen, mit
Zähigkeit durchgeführt. Aber alle Welt weiß, daß er in der ganzen Angelegen¬
heit der Verwaltungsreform stets mehr der Geschobene, als der schiebende
war. Seine Thätigkeit ans diesem Felde hatte weder Initiative noch Plan¬
mäßigkeit. Bei der Berathung der Provinzialordnung erlebte man die seltsame
Erscheinung, daß Graf Eulenburg während der Dauer der Session seine An-
schaung in sehr wesentlichen Punkten vollständig änderte. Zum schwersten
Vorwurfe aber gereicht ihm, daß er zwar neue Verwaltungsgesetze schuf, zur
Ausführung derselben aber den alten und notorisch vielfach widerstrebenden
Apparat möglichst unverändert beibehielt. Und nun soll die Thatsache, daß
dieser Maun sich von den Geschäften zurückzieht, die Umkehr der inneren
Politik zur Reaktion bedeuten? In der That, eine drollige Zumuthung an
den gesunden Menschenverstand! Aber unsere Fortschrittspartei will es so.
Weis liegt ihr daran, daß Graf Eulenburg ersetzt ist durch einen Mann, der
^un Zustandekommen der Kreisordunng reichlich ebensoviel beigetragen hat,


übernommenen Stellvertretung. Herr Friedenthal ist danach für die nächsten
sechs Monate vollkommen selbstständiger Minister des Innern, mit der vollen
Verantwortlichkeit für dieses Ressort. Die angebliche Wandlung in der inneren
Politik der Staatsregierung aber stellte er entschieden in Abrede. Im Geiste
und auf der Grundlage der Kreisordunng von 1872 soll die Verwaltungs¬
reform zu Eude geführt werden. Der Viceprüsideut des Staatsministeriums
Camphausen säumte nicht, diese Versicherungen im Namen der Regierung zu
bekräftigen.

Die Frage war, ob Angesichts dieser Erklürnngen das von der Fort¬
schrittspartei beantragte Mißtrauensvotum als berechtigt gelten könne. Sicherlich
lag kein Grund vor, die konkrete Thatsache der Beurlaubung des Grafen
Eulenburg zum Ausgangspunkte eines solchen Votums zu machen. In Frage
konnte nur kommen, ob eine sechsmonatliche Stellvertretung im Prinzipe als
dem Geiste einer konstitutionellen Verfassung entsprechend zu betrachten sei.
Die Ernennung und Beurlaubung der Minister gehört zu den Prärogativen
der Krone, formell kann also im vorliegenden Falle nichts eingewendet werden.
Unter den Umständen aber, unter welchen dieser Fall eingetreten, ist er das
Symptom einer Unklarheit in der inneren Lage, welche mit einer ersprießlichen
konstitutionellen Staatsentwickelung auf die Dauer nicht verträglich ist. Pflicht
der Freunde einer solchen Entwickelung war es, auf diese Unverträglichkeiten
hinzuweisen und Beseitigung der Unklarheit zu fordern. Aber was berechtigte
dazu, ans dieser Unklarheit einen ausgemachten Wandel in der inneren Politik
herauszulesen? War denn Graf Eulenburg wirklich die einzige Garantie für die
Durchführung der Verwaltnngsreform? Es ist wahr, Graf Eulenburg hat
das Gesetzgebungswerk der Kreisordunng, nachdem er es einmal begonnen, mit
Zähigkeit durchgeführt. Aber alle Welt weiß, daß er in der ganzen Angelegen¬
heit der Verwaltungsreform stets mehr der Geschobene, als der schiebende
war. Seine Thätigkeit ans diesem Felde hatte weder Initiative noch Plan¬
mäßigkeit. Bei der Berathung der Provinzialordnung erlebte man die seltsame
Erscheinung, daß Graf Eulenburg während der Dauer der Session seine An-
schaung in sehr wesentlichen Punkten vollständig änderte. Zum schwersten
Vorwurfe aber gereicht ihm, daß er zwar neue Verwaltungsgesetze schuf, zur
Ausführung derselben aber den alten und notorisch vielfach widerstrebenden
Apparat möglichst unverändert beibehielt. Und nun soll die Thatsache, daß
dieser Maun sich von den Geschäften zurückzieht, die Umkehr der inneren
Politik zur Reaktion bedeuten? In der That, eine drollige Zumuthung an
den gesunden Menschenverstand! Aber unsere Fortschrittspartei will es so.
Weis liegt ihr daran, daß Graf Eulenburg ersetzt ist durch einen Mann, der
^un Zustandekommen der Kreisordunng reichlich ebensoviel beigetragen hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/241>, abgerufen am 22.07.2024.