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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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reform, unter wesentlicher Berücksichtigung der im vorigen Jahre vom Abge¬
ordnetenhause gefaßten Beschlüsse, ausgearbeitet sei. Da erschien Fürst Bismarck
ans einige Tage in Berlin und mit einem Schlage war die Situation wie
umgewandelt. Der Städteordnuugsentwurf war im Staatsministerium verworfen
worden, und sein Urheber, der Minister des Innern Graf Eulenburg, reichte
seine Entlassung ein. Es verbreitete sich das Gerücht, daß die Verwaltnngs-
reform sistirt sei. Bald darauf wurde das Entlassnngsgesuch des Grafen
Eulenburg abgelehnt und ihm ein sechsmonatlicher Urlaub ertheilt. Zugleich
wurde von offiziöser Seite betont, daß die Kanzlerkrise fortbestehe und daß
das Wie ihres endlichen Abschlusses davon abhänge, ob die umfassenden
Reformpläne des Fürsten Bismarck sowohl oben wie unten die erforderliche
Unterstützung finden würden. Es blieb also Alles in der Schwebe.

Schwerlich hat sich jemals eine Volksvertretung im Augenblicke ihres
Zusammentrittes einer unklareren Lage gegenüber befunden, als diesmal der
Landtag. Die Thronrede beseitigte nicht die vorhandenen Zweifel; in dem
Punkte, auf welchen es im Rahmen des preußischen Staatswesens vor Allem
ankam, in der Stelle über die Verwaltnngsreform, bestärkte sie dieselben fast
noch. Unmöglich konnte das Abgeordnetenhaus zu dieser Sachlage schweigen.
Es lag nahe, das Schreiben des Vicepräsidenten des Staatsministeriums,
in welchem dem Hause die Beurlaubung des Grafen Eulenburg und feine
Vertretung durch den Minister Friedenthal angezeigt wurde, zum Gegen¬
stand einer Besprechung zu machen. Man durfte voraussetzen, auf diesem
Wege eine bündige Erklärung der Regierung zu erlangen, auf Grund welcher
das Hans Stellung nehmen könnte. Fortschrittspartei und Centrum aber
hielten für gut, diese Erklärung gar nicht erst abzuwarten. Die erstere glaubte
auf Grund des erwähnten unklaren Passus der Thronrede eine in der inneren
Politik der Staatsregierung eingetretene Wandlung konstatiren zu können, und
beantragte, zu erklären, daß dnrch diese Wandlung im Zusammenhange mit
der Beurlaubung des Ministers des Innern die als nothwendig erkannte
Fortentwickelung der Gesetzgebung geschädigt und die konstitutionelle Verant¬
wortlichkeit der Minister gegenüber dem Landtage beeinträchtigt werde. Das
Centrum seinerseits wollte von der Regierung eine Gesetzesvorlage über eine
feste Organisation des Swatsministerinms und die Verantwortlichkeit der
Staatsminister zu fordern wissen. Korrekter handelten ohne Zweifel die übrigen
Parteien, indem sie ohne vorgefaßte Meinung in die Verhandlung eintraten.

Die Erklärung des Ministers Friedenthal suchte die beiden Erwügungs-
gründe der Fortschrittspartei von vornherein zu entkräften. Die Behauptung
einer Beeinträchtigung der konstitutionellen Verantwortlichkeit der Minister
widerlegte er mit eiuer unzweideutigen Darstellung der Natur der von ihm


reform, unter wesentlicher Berücksichtigung der im vorigen Jahre vom Abge¬
ordnetenhause gefaßten Beschlüsse, ausgearbeitet sei. Da erschien Fürst Bismarck
ans einige Tage in Berlin und mit einem Schlage war die Situation wie
umgewandelt. Der Städteordnuugsentwurf war im Staatsministerium verworfen
worden, und sein Urheber, der Minister des Innern Graf Eulenburg, reichte
seine Entlassung ein. Es verbreitete sich das Gerücht, daß die Verwaltnngs-
reform sistirt sei. Bald darauf wurde das Entlassnngsgesuch des Grafen
Eulenburg abgelehnt und ihm ein sechsmonatlicher Urlaub ertheilt. Zugleich
wurde von offiziöser Seite betont, daß die Kanzlerkrise fortbestehe und daß
das Wie ihres endlichen Abschlusses davon abhänge, ob die umfassenden
Reformpläne des Fürsten Bismarck sowohl oben wie unten die erforderliche
Unterstützung finden würden. Es blieb also Alles in der Schwebe.

Schwerlich hat sich jemals eine Volksvertretung im Augenblicke ihres
Zusammentrittes einer unklareren Lage gegenüber befunden, als diesmal der
Landtag. Die Thronrede beseitigte nicht die vorhandenen Zweifel; in dem
Punkte, auf welchen es im Rahmen des preußischen Staatswesens vor Allem
ankam, in der Stelle über die Verwaltnngsreform, bestärkte sie dieselben fast
noch. Unmöglich konnte das Abgeordnetenhaus zu dieser Sachlage schweigen.
Es lag nahe, das Schreiben des Vicepräsidenten des Staatsministeriums,
in welchem dem Hause die Beurlaubung des Grafen Eulenburg und feine
Vertretung durch den Minister Friedenthal angezeigt wurde, zum Gegen¬
stand einer Besprechung zu machen. Man durfte voraussetzen, auf diesem
Wege eine bündige Erklärung der Regierung zu erlangen, auf Grund welcher
das Hans Stellung nehmen könnte. Fortschrittspartei und Centrum aber
hielten für gut, diese Erklärung gar nicht erst abzuwarten. Die erstere glaubte
auf Grund des erwähnten unklaren Passus der Thronrede eine in der inneren
Politik der Staatsregierung eingetretene Wandlung konstatiren zu können, und
beantragte, zu erklären, daß dnrch diese Wandlung im Zusammenhange mit
der Beurlaubung des Ministers des Innern die als nothwendig erkannte
Fortentwickelung der Gesetzgebung geschädigt und die konstitutionelle Verant¬
wortlichkeit der Minister gegenüber dem Landtage beeinträchtigt werde. Das
Centrum seinerseits wollte von der Regierung eine Gesetzesvorlage über eine
feste Organisation des Swatsministerinms und die Verantwortlichkeit der
Staatsminister zu fordern wissen. Korrekter handelten ohne Zweifel die übrigen
Parteien, indem sie ohne vorgefaßte Meinung in die Verhandlung eintraten.

Die Erklärung des Ministers Friedenthal suchte die beiden Erwügungs-
gründe der Fortschrittspartei von vornherein zu entkräften. Die Behauptung
einer Beeinträchtigung der konstitutionellen Verantwortlichkeit der Minister
widerlegte er mit eiuer unzweideutigen Darstellung der Natur der von ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/240>, abgerufen am 22.07.2024.