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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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furchtbaren Höllenwächter. Nicht anders wird es sein. Gehorche ihm nicht,
sondern bete Gott an und ihm nahe Dich."

Auch dem unbefangenen Leser, anch dem, der nicht weiß, daß unter dem
Menschen, von dem hier die Rede ist, Abu Jacht, ein geschworner Feind
Mohammeds, gemeint war, dem muß sofort die Anzüglichkeit dieser Verse auf¬
fallen und diese Ausntttzung einer angeblich göttlichen Offenbarung ist nicht
gerade lobenswerth. Aber dem sei, wie ihm wolle. Im Ramadan, in der
Nacht El Kadr, d. h. der Nacht der göttlichen Bestimmung, soll Mohammed
die erste Vision gehabt haben. Nun siud aber die Ausleger des Korans gerade
darüber uneinig, wann die Nacht Kadr war. Man weiß von dem Propheten
selbst, daß sie besser als tausend Monate ist, daß die Nacht Friede und Heil
bringt bis zur Morgenröthe, daß in ihr Allah mit Weisheit über alle Dinge
entscheidet: über die Feier der gesegneten Nacht ist man indessen nicht im Reinen.
Die Meisten halten die Vormacht des 27. Ramadan heilig; allein es find die¬
jenigen, welche die Kolet-el-Kadr auf eine der letzten zehn Nächte des Ramadan
setzen, noch nicht widerlegt worden. Da in dieser heiligen Nacht die Engel
Zu den Sterblichen herabsteigen, sie segnend, die Thore des Himmels hinter
ihnen offen lastend, so daß die Bitten der Menschen Einlaß finden, sind die
Moscheen in den letzten zehn Rcnnadcmnächten sehr besucht. Da ist kein Muslime,
der in der Nacht El Kadr, in welcher Allah alle menschlichen Schicksale für
das kommende Jahr entscheidet, nicht inbrünstig bete, auf daß sein Jahr er¬
träglich sei; da war kein Muslime, der in dieser Nacht durch die offenen
Thore des Himmels nicht um Sieg von Allah erfleht hätte, Sieg gegen den
"Moskomi."

Die Frommen beteten während zehn Nächten, die minder Frommen thaten
Salz in eine Schale voll Wasser und versuchten das salzige Naß hin und
wieder, denn es geht im Orient der Aberglauben, daß das Salz sich in der
heiligen Nacht El Kadr in Zucker verwandle. Und diese beteten nur in der
Nacht, wo ihren Gaumen das Wasser süß zu schmecken schien.

Es ist daher kein Wunder, daß Mohammed diesen mit einer Art Nimbus
umgebenen Monat zur Fastenzeit erkor. Zwar war dieses Fasten kein neues
Gebot, denn der Mekkanische Prophet gestattete seinen Gläubigen den Jon
Kipnr zu fasten, der ein jüdischer Fasttag- war Damals hoffte er die Juden,
deren Religion ja so ziemlich mit der mohammedanischen übereinstimmt, für sich
Su gewinnen. Der Zeit, in welcher Mohammed den von so manchem Europäer
als Muster der Toleranz gepriesene Vers offenbarte, der da lautet: "Diejenigen,
welche glauben, Juden, Christen und Sabäer, wer an Gott glaubt und den
jüngsten Tag und gute Werke übt, der hat Nichts zu befürchten und wird nicht
betrübt", dieser milden Zeit folgte eine andere, in der es hieß: "Wer einer


furchtbaren Höllenwächter. Nicht anders wird es sein. Gehorche ihm nicht,
sondern bete Gott an und ihm nahe Dich."

Auch dem unbefangenen Leser, anch dem, der nicht weiß, daß unter dem
Menschen, von dem hier die Rede ist, Abu Jacht, ein geschworner Feind
Mohammeds, gemeint war, dem muß sofort die Anzüglichkeit dieser Verse auf¬
fallen und diese Ausntttzung einer angeblich göttlichen Offenbarung ist nicht
gerade lobenswerth. Aber dem sei, wie ihm wolle. Im Ramadan, in der
Nacht El Kadr, d. h. der Nacht der göttlichen Bestimmung, soll Mohammed
die erste Vision gehabt haben. Nun siud aber die Ausleger des Korans gerade
darüber uneinig, wann die Nacht Kadr war. Man weiß von dem Propheten
selbst, daß sie besser als tausend Monate ist, daß die Nacht Friede und Heil
bringt bis zur Morgenröthe, daß in ihr Allah mit Weisheit über alle Dinge
entscheidet: über die Feier der gesegneten Nacht ist man indessen nicht im Reinen.
Die Meisten halten die Vormacht des 27. Ramadan heilig; allein es find die¬
jenigen, welche die Kolet-el-Kadr auf eine der letzten zehn Nächte des Ramadan
setzen, noch nicht widerlegt worden. Da in dieser heiligen Nacht die Engel
Zu den Sterblichen herabsteigen, sie segnend, die Thore des Himmels hinter
ihnen offen lastend, so daß die Bitten der Menschen Einlaß finden, sind die
Moscheen in den letzten zehn Rcnnadcmnächten sehr besucht. Da ist kein Muslime,
der in der Nacht El Kadr, in welcher Allah alle menschlichen Schicksale für
das kommende Jahr entscheidet, nicht inbrünstig bete, auf daß sein Jahr er¬
träglich sei; da war kein Muslime, der in dieser Nacht durch die offenen
Thore des Himmels nicht um Sieg von Allah erfleht hätte, Sieg gegen den
"Moskomi."

Die Frommen beteten während zehn Nächten, die minder Frommen thaten
Salz in eine Schale voll Wasser und versuchten das salzige Naß hin und
wieder, denn es geht im Orient der Aberglauben, daß das Salz sich in der
heiligen Nacht El Kadr in Zucker verwandle. Und diese beteten nur in der
Nacht, wo ihren Gaumen das Wasser süß zu schmecken schien.

Es ist daher kein Wunder, daß Mohammed diesen mit einer Art Nimbus
umgebenen Monat zur Fastenzeit erkor. Zwar war dieses Fasten kein neues
Gebot, denn der Mekkanische Prophet gestattete seinen Gläubigen den Jon
Kipnr zu fasten, der ein jüdischer Fasttag- war Damals hoffte er die Juden,
deren Religion ja so ziemlich mit der mohammedanischen übereinstimmt, für sich
Su gewinnen. Der Zeit, in welcher Mohammed den von so manchem Europäer
als Muster der Toleranz gepriesene Vers offenbarte, der da lautet: „Diejenigen,
welche glauben, Juden, Christen und Sabäer, wer an Gott glaubt und den
jüngsten Tag und gute Werke übt, der hat Nichts zu befürchten und wird nicht
betrübt", dieser milden Zeit folgte eine andere, in der es hieß: „Wer einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/233>, abgerufen am 02.07.2024.