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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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neue Schöpfung, wie eine geharnischte Minerva hervorspringen, so hatte er sich
allerdings getäuscht, denn als der Krieg mit Rußland (1828 und 29) in Sicht
stand, steckte die neue türkische Armee noch in den Windeln. Nichtsdestoweniger
hat sie unter unfähigen Führern in einem der unglücklichsten Kriege das
Möglichste geleistet und namentlich bei der Vertheidigung der festen Plätze, wie
Schnmla, Varnci und Silistria, eine unerwartete Zähigkeit an den Tag gelegt.
Jedenfalls fand die russische Armee nicht so leichtes Spiel, wie sie vielleicht
erwartet hatte. Immerhin waren jedoch die Anfänge einer neuen Schöpfung
wieder zertrümmert worden und nach dem Frieden von Adrianopel ließ es sich
Mahmud angelegen sein, mit Bildung einer europäisch disziplinirten und exer-
zirten Armee wiederum zu beginnen. Allerdings mit wenig Erfolg, denn die
fortgesetzten Aufstände ließen die Armee nicht zur Ruhe kommen.

Noch im Jahre .1835 bestand die Ausbildung der regulären Soldaten
lediglich im Exerzitium, welches uach dem von einem französischen Korporal
Gaillard dem alten Seraskier Chosrew Pascha beigebrachten französischen
Werkchen, "l'öeoliz ein yotä^t" betrieben wurde. Die Beförderung erfolgte nach
Gunst und körperlichen Vorzügen. Schreiben und Lesen galt wohl als Em¬
pfehlung, aber nicht als Erforderniß um Offizier zu werden.

Das Bestreben, sich ausländische Jnstruktoren zu verschaffen, scheiterte
Jahre lang an der Eifersucht der verschiedenen Mächte. Da wandte sich endlich
die Pforte mit einem bezüglichen Antrage an Preußen, von dessen uneigen¬
nützigen Wohlwollen man sich versichert hielt. Indessen der preußische Gesandte
Graf Königsmark, dessen Vermittelung man angerufen hatte, hielt Zurück¬
haltung für geboten, und die Angelegenheit würde sich noch lange hingezogen
haben, wenn nicht ein günstiger Zufall zwei ausgezeichnete preußische Genercil-
stabs-Offiziere, von Moltke und von Berg, gegen Ende des Jahres 1835 auf
einer Reise nach Konstantinopel geführt hätte. Bei dem sich bald anbahnenden
Verkehr zwischen den beiden Offizieren und dem Seraskier Chosrew Pascha
ging diesem eine ganze Welt von neuen Ideen ans. Er faßte namentlich ZU
Moltke unbedingtes Vertrauen und wußte es durchzusetzen, daß dessen Urlaub
von der preußischen Regierung verlängert wurde. Mittlerweile nahmen tue
weiteren Verhandlungen mit dieser, unter russischer Fürsprache, insoweit einen
glücklichen Verlauf, als König Friedrich Wilhelm III. das weitere Verbleiben
Moltkes in Konstantinopel genehmigte und die Ueberweisung noch anderer In-
struktions-Offiziere zusagte. Bei einer im Frühjahr 1837 von Mahmud
unternommenen Rundreise durch Bulgarien und Rumelien mußte ihn Moltke
begleiten. Er wurde hierbei in militärischen Angelegenheiten vielfach zu Rathe
gezogen und erwarb sich das volle Vertrauen des Sultans. In dessen Auf¬
trage bereiste er demnächst die wichtigsten Reichsfestungen und die Dardanellen-


neue Schöpfung, wie eine geharnischte Minerva hervorspringen, so hatte er sich
allerdings getäuscht, denn als der Krieg mit Rußland (1828 und 29) in Sicht
stand, steckte die neue türkische Armee noch in den Windeln. Nichtsdestoweniger
hat sie unter unfähigen Führern in einem der unglücklichsten Kriege das
Möglichste geleistet und namentlich bei der Vertheidigung der festen Plätze, wie
Schnmla, Varnci und Silistria, eine unerwartete Zähigkeit an den Tag gelegt.
Jedenfalls fand die russische Armee nicht so leichtes Spiel, wie sie vielleicht
erwartet hatte. Immerhin waren jedoch die Anfänge einer neuen Schöpfung
wieder zertrümmert worden und nach dem Frieden von Adrianopel ließ es sich
Mahmud angelegen sein, mit Bildung einer europäisch disziplinirten und exer-
zirten Armee wiederum zu beginnen. Allerdings mit wenig Erfolg, denn die
fortgesetzten Aufstände ließen die Armee nicht zur Ruhe kommen.

Noch im Jahre .1835 bestand die Ausbildung der regulären Soldaten
lediglich im Exerzitium, welches uach dem von einem französischen Korporal
Gaillard dem alten Seraskier Chosrew Pascha beigebrachten französischen
Werkchen, „l'öeoliz ein yotä^t" betrieben wurde. Die Beförderung erfolgte nach
Gunst und körperlichen Vorzügen. Schreiben und Lesen galt wohl als Em¬
pfehlung, aber nicht als Erforderniß um Offizier zu werden.

Das Bestreben, sich ausländische Jnstruktoren zu verschaffen, scheiterte
Jahre lang an der Eifersucht der verschiedenen Mächte. Da wandte sich endlich
die Pforte mit einem bezüglichen Antrage an Preußen, von dessen uneigen¬
nützigen Wohlwollen man sich versichert hielt. Indessen der preußische Gesandte
Graf Königsmark, dessen Vermittelung man angerufen hatte, hielt Zurück¬
haltung für geboten, und die Angelegenheit würde sich noch lange hingezogen
haben, wenn nicht ein günstiger Zufall zwei ausgezeichnete preußische Genercil-
stabs-Offiziere, von Moltke und von Berg, gegen Ende des Jahres 1835 auf
einer Reise nach Konstantinopel geführt hätte. Bei dem sich bald anbahnenden
Verkehr zwischen den beiden Offizieren und dem Seraskier Chosrew Pascha
ging diesem eine ganze Welt von neuen Ideen ans. Er faßte namentlich ZU
Moltke unbedingtes Vertrauen und wußte es durchzusetzen, daß dessen Urlaub
von der preußischen Regierung verlängert wurde. Mittlerweile nahmen tue
weiteren Verhandlungen mit dieser, unter russischer Fürsprache, insoweit einen
glücklichen Verlauf, als König Friedrich Wilhelm III. das weitere Verbleiben
Moltkes in Konstantinopel genehmigte und die Ueberweisung noch anderer In-
struktions-Offiziere zusagte. Bei einer im Frühjahr 1837 von Mahmud
unternommenen Rundreise durch Bulgarien und Rumelien mußte ihn Moltke
begleiten. Er wurde hierbei in militärischen Angelegenheiten vielfach zu Rathe
gezogen und erwarb sich das volle Vertrauen des Sultans. In dessen Auf¬
trage bereiste er demnächst die wichtigsten Reichsfestungen und die Dardanellen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/222>, abgerufen am 22.07.2024.