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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Ich verzichte darauf, zu zeigen, wie Theologie, Jurisprudenz und Medizin sich
auslösten ans dem Verband der Philosophie; es genügt mir für meinen Zweck,
nur bis zum Schluß des Mittelalters zurückzugreifen, bis zu der Zeit, in
welcher auf dem politisch zerrissenen, durch endlose Kriege erschöpften, aber doch
noch lebenskräftigen Boden des deutschen Reichs die ersten deutschen Universi¬
täten erwuchsen.

Im Jahre 1348 wurde die Universität in Prag, die Universität in Heidel¬
berg 1386, die Universität Leipzig 1409, Rostock 1419, Greifswald 1456,
Freiburg 1457, Bern 1460, Tübingen, welches eben sein 400jähriges Jubiläum
gefeiert hat, 1477 begründet. Dann folgte als erste Frucht der Reforma¬
tion und als erste protestantisch-gegründete Universität: Marburg 1527. Alle
diese Universitäten besaßen, wie Billroth berichtet, zur Zeit ihrer Gründung
höchstens zwei Lehrer der Medizin, oft mußte auch für lange Zeit ein einziger
genügen. Die ersten Statuten der Universität Marburg enthalten den Satz: tmdvawr
s,6 minus unus in<MeinÄ6 Professor, ckoews simul et plus: "es soll mindestens
ein Professor der Medizin gehalten werden, und zwar einer, der gelehrt und
zugleich fromm ist." Das waren die Ansprüche, die man damals an den
einzigen Professor der Medizin stellte. Für viele Universitäten genügten auf
lange Zeiten zwei medizinische Lehrer; nur Leipzig machte eine Ausnahme, in¬
dem es schon nach einem Jahrhundert des Bestehens seiner medizinischen Fa¬
kultät außer den beiden ursprünglichen Lehrstühlen dieser Fakulät einen dritten
und schon 1534 einen vierten medizinischen Lehrstuhl begründete. Basel besaß
hundert Jahre lang nur zwei Professoren der Medizin bis ungefähr zur Mitte
des 16. Jahrhunderts, einen für die Theorie und den zweiten für die Praxis.
Von Freiburg wird angeführt, daß noch 1750 ein einziger Lehrer die medizi¬
nische Fakultät vertrat. Ueber die ersten Anfänge der medizinischen Lehrthätig¬
keit an unserer Universität berichtet das bekannte vorzügliche Werk Kose-
garten's welches nicht nur für die Geschichte unserer Universität grundlegend
ist, sondern auch für die gesammte Geschichte der deutschen Universitäten eine
reiche Fundgrube darstellt. Uuter Benutzung dieses Werkes mag mir gestattet
sein, über die Entwickelung der hiesigen medizinischen Fakultät einige Angaben
zusammen zu reihen.

Am Tage nach der Einweihung der Universität 1456 promovirte Johan¬
nes Stalköper, welcher Canonicus von Rcitzebnrg war, den Vitalis Fleck aus
Merseburg zum Doctor der Medizin. Dieser war der erste und zunächst ein¬
zige Lehrer der Medizin, und mußte zum Zweck der Prüfung, um ein Prii-
fungskollegium herzustellen, sich mit zwei Mitgliedern der Juristen-Fakultät
mit dem berühmten Mitstifter der Universität, Heinrich Rubenow und Georg
Walter in Verbindung setzen. Wie sein Promotor die Würde einer kirchlichen


Ich verzichte darauf, zu zeigen, wie Theologie, Jurisprudenz und Medizin sich
auslösten ans dem Verband der Philosophie; es genügt mir für meinen Zweck,
nur bis zum Schluß des Mittelalters zurückzugreifen, bis zu der Zeit, in
welcher auf dem politisch zerrissenen, durch endlose Kriege erschöpften, aber doch
noch lebenskräftigen Boden des deutschen Reichs die ersten deutschen Universi¬
täten erwuchsen.

Im Jahre 1348 wurde die Universität in Prag, die Universität in Heidel¬
berg 1386, die Universität Leipzig 1409, Rostock 1419, Greifswald 1456,
Freiburg 1457, Bern 1460, Tübingen, welches eben sein 400jähriges Jubiläum
gefeiert hat, 1477 begründet. Dann folgte als erste Frucht der Reforma¬
tion und als erste protestantisch-gegründete Universität: Marburg 1527. Alle
diese Universitäten besaßen, wie Billroth berichtet, zur Zeit ihrer Gründung
höchstens zwei Lehrer der Medizin, oft mußte auch für lange Zeit ein einziger
genügen. Die ersten Statuten der Universität Marburg enthalten den Satz: tmdvawr
s,6 minus unus in<MeinÄ6 Professor, ckoews simul et plus: „es soll mindestens
ein Professor der Medizin gehalten werden, und zwar einer, der gelehrt und
zugleich fromm ist." Das waren die Ansprüche, die man damals an den
einzigen Professor der Medizin stellte. Für viele Universitäten genügten auf
lange Zeiten zwei medizinische Lehrer; nur Leipzig machte eine Ausnahme, in¬
dem es schon nach einem Jahrhundert des Bestehens seiner medizinischen Fa¬
kultät außer den beiden ursprünglichen Lehrstühlen dieser Fakulät einen dritten
und schon 1534 einen vierten medizinischen Lehrstuhl begründete. Basel besaß
hundert Jahre lang nur zwei Professoren der Medizin bis ungefähr zur Mitte
des 16. Jahrhunderts, einen für die Theorie und den zweiten für die Praxis.
Von Freiburg wird angeführt, daß noch 1750 ein einziger Lehrer die medizi¬
nische Fakultät vertrat. Ueber die ersten Anfänge der medizinischen Lehrthätig¬
keit an unserer Universität berichtet das bekannte vorzügliche Werk Kose-
garten's welches nicht nur für die Geschichte unserer Universität grundlegend
ist, sondern auch für die gesammte Geschichte der deutschen Universitäten eine
reiche Fundgrube darstellt. Uuter Benutzung dieses Werkes mag mir gestattet
sein, über die Entwickelung der hiesigen medizinischen Fakultät einige Angaben
zusammen zu reihen.

Am Tage nach der Einweihung der Universität 1456 promovirte Johan¬
nes Stalköper, welcher Canonicus von Rcitzebnrg war, den Vitalis Fleck aus
Merseburg zum Doctor der Medizin. Dieser war der erste und zunächst ein¬
zige Lehrer der Medizin, und mußte zum Zweck der Prüfung, um ein Prii-
fungskollegium herzustellen, sich mit zwei Mitgliedern der Juristen-Fakultät
mit dem berühmten Mitstifter der Universität, Heinrich Rubenow und Georg
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/200>, abgerufen am 27.09.2024.