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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der Arbeitstheilung ein, so lange, bis die gegenseitigen Ansprüche in Einklang
gebracht sind und dann der Zweck des allgemeinen Wohlergehens erreicht wird.
Betrachtet man die Geschichte der Arbeitstheilung von diesem hohen Gesichts¬
punkt aus, so hat mau auf diesem Gebiet einfach den bekannten philosophischen
Satz anzuerkennen: Alles was ist, das ist vernünftig, und alles, was vernünftig
ist, das ist. Man kann diesen Satz einfach dahin übersetzen: jede Arbeitsthei¬
lung, welche sich in geordneter geschichtlicher Entwickelung vollzogen hat, ist
vernünftig und jede Art von Arbeitstheilung muß sich nothwendig vollziehen,
so weit sie dem allgemeinen Besten entspricht.

Aber gerade das wachsende Verständniß vom Nutzen der Arbeits¬
theilung birgt die Gefahr in sich, daß ein mißverstandener Eifer die lang¬
same geschichtliche Entwickelung der Arbeitstheilung zu überholen trachtet,
hierdurch die Wohlfahrt des Ganzen in Frage stellt und den Nutzen der Ar¬
beitstheilung geradezu in Schaden verwandelt. Ich brauche hier uur, um ein
Beispiel aus der Politik zu wählen, an die bekannten Aussprüche der sozial-
demokratischen Partei zu erinnern, welche vom Staat verlangt, daß er jedem
Arbeiter eine lohnende Arbeit sichere. Es würde diese Forderung nur dann
erfüllt werde" können, wenn der Staat das Geheimniß einer nützlichen Arbeits¬
theilung für jetzt und für die Zukunft und für jede Art der Arbeit enthüllt
Hütte - ein Geheimniß, welches so lange Geheimniß bleiben wird, als die
Menschheit mit den Kräften der Natur und mit den krankhaften Leidenschaften
ihrer einzelnen Bestandtheile zu ringen haben wird.

Auch für wissenschaftliches Lehren und Lernen kann man annehmen, daß
diejenige Art von Arbeitstheilung, welche sich in ruhiger geschichtlicher Ent¬
wickelung vollzogen hat, der Zweckmäßigkeit entspricht, aber auch auf diesem
Gebiet hat es in jüngster Zeit nicht an Versuchen gefehlt, die Arbeitstheilung
an übereilen, über das richtige Maaß hinauszuführen, und in der nächsten
Zukunft wird es an weiteren Versuchen ähnlicher Art nicht fehlen. Es bedarf
kaum der Erwähnung, daß das Maß der Arbeitstheilung, welches sich in den
ätzten Jahrhunderten entwickelt hat, ein bedeutendes ist; und nicht gleichgültig
ist es für die Zukunft, daß auf die letzten Jahrzehnte eine bedeutende Steigerung
der Arbeitstheilung im wissenschaftlichen Lehren und Lernen füllt. Es sei mir
hier gestattet, an einem Beispiel zahlenmäßig zu erweisen, wie der Gang der
Entwickelung gewesen ist. Daß ich hier das Beispiel der medizinischen Wissen¬
schaft wähle, wird man meinen persönlichen Interessen zu Gut halten, auch
wird man mir, einem nicht historisch geschulten Vertreter einer Disziplin, welche
erst in neuer Zeit zur Wissenschaft herangewachsen ist, nicht verargen, wenn ich
nicht in die graue Vorzeit des Alterthums, und auch nicht in die für die Ent¬
wickelung der Wissenschaften noch grauere Zeit des frühen Mittelalters zurückgehe.


der Arbeitstheilung ein, so lange, bis die gegenseitigen Ansprüche in Einklang
gebracht sind und dann der Zweck des allgemeinen Wohlergehens erreicht wird.
Betrachtet man die Geschichte der Arbeitstheilung von diesem hohen Gesichts¬
punkt aus, so hat mau auf diesem Gebiet einfach den bekannten philosophischen
Satz anzuerkennen: Alles was ist, das ist vernünftig, und alles, was vernünftig
ist, das ist. Man kann diesen Satz einfach dahin übersetzen: jede Arbeitsthei¬
lung, welche sich in geordneter geschichtlicher Entwickelung vollzogen hat, ist
vernünftig und jede Art von Arbeitstheilung muß sich nothwendig vollziehen,
so weit sie dem allgemeinen Besten entspricht.

Aber gerade das wachsende Verständniß vom Nutzen der Arbeits¬
theilung birgt die Gefahr in sich, daß ein mißverstandener Eifer die lang¬
same geschichtliche Entwickelung der Arbeitstheilung zu überholen trachtet,
hierdurch die Wohlfahrt des Ganzen in Frage stellt und den Nutzen der Ar¬
beitstheilung geradezu in Schaden verwandelt. Ich brauche hier uur, um ein
Beispiel aus der Politik zu wählen, an die bekannten Aussprüche der sozial-
demokratischen Partei zu erinnern, welche vom Staat verlangt, daß er jedem
Arbeiter eine lohnende Arbeit sichere. Es würde diese Forderung nur dann
erfüllt werde» können, wenn der Staat das Geheimniß einer nützlichen Arbeits¬
theilung für jetzt und für die Zukunft und für jede Art der Arbeit enthüllt
Hütte - ein Geheimniß, welches so lange Geheimniß bleiben wird, als die
Menschheit mit den Kräften der Natur und mit den krankhaften Leidenschaften
ihrer einzelnen Bestandtheile zu ringen haben wird.

Auch für wissenschaftliches Lehren und Lernen kann man annehmen, daß
diejenige Art von Arbeitstheilung, welche sich in ruhiger geschichtlicher Ent¬
wickelung vollzogen hat, der Zweckmäßigkeit entspricht, aber auch auf diesem
Gebiet hat es in jüngster Zeit nicht an Versuchen gefehlt, die Arbeitstheilung
an übereilen, über das richtige Maaß hinauszuführen, und in der nächsten
Zukunft wird es an weiteren Versuchen ähnlicher Art nicht fehlen. Es bedarf
kaum der Erwähnung, daß das Maß der Arbeitstheilung, welches sich in den
ätzten Jahrhunderten entwickelt hat, ein bedeutendes ist; und nicht gleichgültig
ist es für die Zukunft, daß auf die letzten Jahrzehnte eine bedeutende Steigerung
der Arbeitstheilung im wissenschaftlichen Lehren und Lernen füllt. Es sei mir
hier gestattet, an einem Beispiel zahlenmäßig zu erweisen, wie der Gang der
Entwickelung gewesen ist. Daß ich hier das Beispiel der medizinischen Wissen¬
schaft wähle, wird man meinen persönlichen Interessen zu Gut halten, auch
wird man mir, einem nicht historisch geschulten Vertreter einer Disziplin, welche
erst in neuer Zeit zur Wissenschaft herangewachsen ist, nicht verargen, wenn ich
nicht in die graue Vorzeit des Alterthums, und auch nicht in die für die Ent¬
wickelung der Wissenschaften noch grauere Zeit des frühen Mittelalters zurückgehe.


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[0199] der Arbeitstheilung ein, so lange, bis die gegenseitigen Ansprüche in Einklang gebracht sind und dann der Zweck des allgemeinen Wohlergehens erreicht wird. Betrachtet man die Geschichte der Arbeitstheilung von diesem hohen Gesichts¬ punkt aus, so hat mau auf diesem Gebiet einfach den bekannten philosophischen Satz anzuerkennen: Alles was ist, das ist vernünftig, und alles, was vernünftig ist, das ist. Man kann diesen Satz einfach dahin übersetzen: jede Arbeitsthei¬ lung, welche sich in geordneter geschichtlicher Entwickelung vollzogen hat, ist vernünftig und jede Art von Arbeitstheilung muß sich nothwendig vollziehen, so weit sie dem allgemeinen Besten entspricht. Aber gerade das wachsende Verständniß vom Nutzen der Arbeits¬ theilung birgt die Gefahr in sich, daß ein mißverstandener Eifer die lang¬ same geschichtliche Entwickelung der Arbeitstheilung zu überholen trachtet, hierdurch die Wohlfahrt des Ganzen in Frage stellt und den Nutzen der Ar¬ beitstheilung geradezu in Schaden verwandelt. Ich brauche hier uur, um ein Beispiel aus der Politik zu wählen, an die bekannten Aussprüche der sozial- demokratischen Partei zu erinnern, welche vom Staat verlangt, daß er jedem Arbeiter eine lohnende Arbeit sichere. Es würde diese Forderung nur dann erfüllt werde» können, wenn der Staat das Geheimniß einer nützlichen Arbeits¬ theilung für jetzt und für die Zukunft und für jede Art der Arbeit enthüllt Hütte - ein Geheimniß, welches so lange Geheimniß bleiben wird, als die Menschheit mit den Kräften der Natur und mit den krankhaften Leidenschaften ihrer einzelnen Bestandtheile zu ringen haben wird. Auch für wissenschaftliches Lehren und Lernen kann man annehmen, daß diejenige Art von Arbeitstheilung, welche sich in ruhiger geschichtlicher Ent¬ wickelung vollzogen hat, der Zweckmäßigkeit entspricht, aber auch auf diesem Gebiet hat es in jüngster Zeit nicht an Versuchen gefehlt, die Arbeitstheilung an übereilen, über das richtige Maaß hinauszuführen, und in der nächsten Zukunft wird es an weiteren Versuchen ähnlicher Art nicht fehlen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß das Maß der Arbeitstheilung, welches sich in den ätzten Jahrhunderten entwickelt hat, ein bedeutendes ist; und nicht gleichgültig ist es für die Zukunft, daß auf die letzten Jahrzehnte eine bedeutende Steigerung der Arbeitstheilung im wissenschaftlichen Lehren und Lernen füllt. Es sei mir hier gestattet, an einem Beispiel zahlenmäßig zu erweisen, wie der Gang der Entwickelung gewesen ist. Daß ich hier das Beispiel der medizinischen Wissen¬ schaft wähle, wird man meinen persönlichen Interessen zu Gut halten, auch wird man mir, einem nicht historisch geschulten Vertreter einer Disziplin, welche erst in neuer Zeit zur Wissenschaft herangewachsen ist, nicht verargen, wenn ich nicht in die graue Vorzeit des Alterthums, und auch nicht in die für die Ent¬ wickelung der Wissenschaften noch grauere Zeit des frühen Mittelalters zurückgehe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/199>, abgerufen am 02.10.2024.