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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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ten Gehorsam, an Abhärtungen aller Art zu gewöhnen und einen Corpsgeist
heranzubilden, der seiue Spitze in der Person des Großherrn hatte. Trotzdem
ließ man ihnen im Verkehr nach Außen, namentlich am Beiramfeste, die Zügel
wohl schießen, wenigstens galten die Abscheu-Oglcins in Konstantinopel für eine
ausgelassene Bande, welche von der Bevölkerung, insbesondere der christlichen,
fast noch mehr gefürchtet wurde, als die Janitscharen.

Zu eigentlichen Waffenübungen und militärischen Exercitien wurden die¬
jenigen, die sich überhaupt für das Janitscharen-Corps tauglich erwiesen, erst
dann herangezogen, wenn der Körper völlig ausgebildet und für das schwere
Handwerk des Kriegers genugsam abgehärtet war. Schwächliche Naturen wur¬
den in den Gärten des Großherrn oder überhaupt zu deu Diensten im Serai
verwendet. Nach vollständiger militärischer Ausbildung erfolgte dann die Auf¬
nahme unter die Janitscharen, was in der ersten Zeit gemeiniglich nicht vor
dem 24. Jahre geschah.

Was waren nun die Erfolge dieses raffinirtesten aller militärischen Er¬
ziehungssysteme? Man vernichtete in den jungen Leuten jede Erinnerung, die
sie an den Ursprung ihres Daseins noch hätte fesseln können, man erfüllte ihren
Geist mit einem hochgradigen Standesbewußtsein, jedoch verbunden mit unbe-
dingter Hingebung für ihren Gebieter, und durchtränkte ihr Gemüth mit einem
blutigen Fanatismus, der jedoch zuweilen in Unbändigkeit und wilden Trotz
ausartete und nicht nur ihre Feinde, sondern am Ende selbst ihre Herren
zittern machte.

War der Abscheu-Oglan zum Janitscharen befördert, so trat er vorerst
nur als dienender Bruder in die Rotte ein, der er zugewiesen wurde. Als
solcher hatte er die Verpflichtung, den älteren Janitscharen alle jene kleinen
Dienste zu leisten, welche das gemeinschaftliche Leben in Krieg und Frieden mit
sich bringt. Unbedingter und schweigender Gehorsam war anch hierbei, wie in
ihrer ganzen Existenz, das erste Gesetz. Die Soldverhältnisse regelten sich nach
besonderen Verdiensten oder der Zahl der Dienstjahre der Einzelnen, so daß
die älteren Janitscharen auch hierin einen Vorzug gegen die jüngeren hatten.
Um die Janitscharen bei guter Stimmung zu erhalten, wurde fast bei jeder
Thronbesteigung der Sold erhöht, so daß er bereits im 17. Jahrhundert vou
dem ursprünglichen Satz auf das Vierundzwanzigfache gestiegen war.

Auf die Bekleidung, welche einfach und zweckmäßig, verwandte man eine
besondere Sorgfalt. Der lange bis auf die Knöchel hinabreichende Rock, der
an den Seiten aufgeschlagen werden konnte, war leicht und schützte gegen die
üblen Einflüsse der Witterung. Den Kopf deckte eine auffallend geformte Mütze
von weißem Filz, stark genug um Säbelhiebe abzuhalten, mit hinten herab¬
hängendem Streifen, dessen Bedeutung wir schon erwähnt haben. Der einzige


ten Gehorsam, an Abhärtungen aller Art zu gewöhnen und einen Corpsgeist
heranzubilden, der seiue Spitze in der Person des Großherrn hatte. Trotzdem
ließ man ihnen im Verkehr nach Außen, namentlich am Beiramfeste, die Zügel
wohl schießen, wenigstens galten die Abscheu-Oglcins in Konstantinopel für eine
ausgelassene Bande, welche von der Bevölkerung, insbesondere der christlichen,
fast noch mehr gefürchtet wurde, als die Janitscharen.

Zu eigentlichen Waffenübungen und militärischen Exercitien wurden die¬
jenigen, die sich überhaupt für das Janitscharen-Corps tauglich erwiesen, erst
dann herangezogen, wenn der Körper völlig ausgebildet und für das schwere
Handwerk des Kriegers genugsam abgehärtet war. Schwächliche Naturen wur¬
den in den Gärten des Großherrn oder überhaupt zu deu Diensten im Serai
verwendet. Nach vollständiger militärischer Ausbildung erfolgte dann die Auf¬
nahme unter die Janitscharen, was in der ersten Zeit gemeiniglich nicht vor
dem 24. Jahre geschah.

Was waren nun die Erfolge dieses raffinirtesten aller militärischen Er¬
ziehungssysteme? Man vernichtete in den jungen Leuten jede Erinnerung, die
sie an den Ursprung ihres Daseins noch hätte fesseln können, man erfüllte ihren
Geist mit einem hochgradigen Standesbewußtsein, jedoch verbunden mit unbe-
dingter Hingebung für ihren Gebieter, und durchtränkte ihr Gemüth mit einem
blutigen Fanatismus, der jedoch zuweilen in Unbändigkeit und wilden Trotz
ausartete und nicht nur ihre Feinde, sondern am Ende selbst ihre Herren
zittern machte.

War der Abscheu-Oglan zum Janitscharen befördert, so trat er vorerst
nur als dienender Bruder in die Rotte ein, der er zugewiesen wurde. Als
solcher hatte er die Verpflichtung, den älteren Janitscharen alle jene kleinen
Dienste zu leisten, welche das gemeinschaftliche Leben in Krieg und Frieden mit
sich bringt. Unbedingter und schweigender Gehorsam war anch hierbei, wie in
ihrer ganzen Existenz, das erste Gesetz. Die Soldverhältnisse regelten sich nach
besonderen Verdiensten oder der Zahl der Dienstjahre der Einzelnen, so daß
die älteren Janitscharen auch hierin einen Vorzug gegen die jüngeren hatten.
Um die Janitscharen bei guter Stimmung zu erhalten, wurde fast bei jeder
Thronbesteigung der Sold erhöht, so daß er bereits im 17. Jahrhundert vou
dem ursprünglichen Satz auf das Vierundzwanzigfache gestiegen war.

Auf die Bekleidung, welche einfach und zweckmäßig, verwandte man eine
besondere Sorgfalt. Der lange bis auf die Knöchel hinabreichende Rock, der
an den Seiten aufgeschlagen werden konnte, war leicht und schützte gegen die
üblen Einflüsse der Witterung. Den Kopf deckte eine auffallend geformte Mütze
von weißem Filz, stark genug um Säbelhiebe abzuhalten, mit hinten herab¬
hängendem Streifen, dessen Bedeutung wir schon erwähnt haben. Der einzige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/193>, abgerufen am 24.08.2024.