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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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6--7 Jahren eingezogen wurden, wählte man später nnr Knaben von 10--15
Jahren aus. Daß noch anderweitige Mißbräuche sich mit der Zeit einschlichen,
ist selbstverständlich. Die mit der Aushebung beauftragten Beamten machten
dieselbe zu einem ebenso schündlicheu wie einträglichen Geldgeschäft. Nicht
genug, daß sie reichen Leuten gestatteten sich mit schweren Summen loszukaufen,
zogen sie auch weit mehr Knaben ein, als ihnen gestattet war und verkaufte,:
sie für eigene Rechnung als Sklaven. Nach dem anfänglichen Gesetz sollten,
wie sich das bei dem Kindesalter eigentlich von selbst versteht, nur ledige junge
Leute eingezogen werden. Um nun der Aushebung zu entgehen, ließen die
Christen ihre Söhne mit dem 8. 9. oder 10. Jahre schon heirathen. Das
erwies sich jedoch bald als fruchtlos und um all dem Jammer zu entgehen
blieben den Armen, die ihre Kinder nicht loskaufen konnten, nur zwei Mittel
übrig: entweder der Uebertritt zum Islam oder die Flucht. Das erstere
Mittel wollte jedoch schließlich auch uicht mehr vorhalten, weil mit der Zeit
die Bekehrung zum rechten Glanben von den Sultanen mindestens nicht
gefördert wurde, aus Furcht es würden am Ende keine Christen mehr übrig
bleiben, die mit der Blutsteuer belegt werden könnten. Zuweilen machte sich
auch der Widerwille gegen dieselben durch blutige Empörung Luft.

Leider muß jedoch auch bemerkt werden, wie in Folge des materiellen
und moralischen Elendes, unter welchem die christliche Bevölkerung seufzte,
der Widerwille gegen diese Einrichtung, namentlich in späteren Zeiten, nicht
überall ein gleichmäßiger war. Es gab Aeltern genug, welche durch hohen
Sold und andere Vortheile gelockt, ihre Kinder willig Hingaben und nicht selten
sehnten sich die jungen Burschen selbst nach einer Sklaverei, die ihnen Sold,
Brod und schöne Kleider in Aussicht stellte. War es doch schon zu Ausgang
des 16. Jahrhunderts dahin gekommen, daß die angesehensten Türken bittere
Klage führten über die Menge von Christenknaben, welche jährlich nach Kon¬
stantinopel kämen, und mit der Zeit zu den höchsten Stellen am Hofe und im
Staate gelangten, während ihre Söhne unbeachtet blieben. Ja es ging am
^nde so weit, daß Türken, um nur der Gunst theilhaftig zu werden, ihre
Kinder in die Janitscharen eingereiht zu sehen, dieselben den Christen Über¬
gaben, damit diese sie anstatt ihrer eigenen zur Bezahlung der Blutsteuer
gebrauchen sollten.

Ehe wir jedoch das weitere Schicksal dieser ausgehobenen jungen Heeres-
Mchtigen verfolgen, müssen wir noch einer ganz eigenthümlichen Erscheinung
Leben des osmanischen Reiches gedenken, darin bestehend, daß nicht nnr
die Armee sich in gedachter Weise ergänzte, sondern daß auch die Angestellten
"n Dienste des Hofes und der Staatsverwaltung fast lediglich aus ursprünglichen
Zungen Christensklaven bestanden. Zur Heranbildung derselben existirten zwei


6—7 Jahren eingezogen wurden, wählte man später nnr Knaben von 10—15
Jahren aus. Daß noch anderweitige Mißbräuche sich mit der Zeit einschlichen,
ist selbstverständlich. Die mit der Aushebung beauftragten Beamten machten
dieselbe zu einem ebenso schündlicheu wie einträglichen Geldgeschäft. Nicht
genug, daß sie reichen Leuten gestatteten sich mit schweren Summen loszukaufen,
zogen sie auch weit mehr Knaben ein, als ihnen gestattet war und verkaufte,:
sie für eigene Rechnung als Sklaven. Nach dem anfänglichen Gesetz sollten,
wie sich das bei dem Kindesalter eigentlich von selbst versteht, nur ledige junge
Leute eingezogen werden. Um nun der Aushebung zu entgehen, ließen die
Christen ihre Söhne mit dem 8. 9. oder 10. Jahre schon heirathen. Das
erwies sich jedoch bald als fruchtlos und um all dem Jammer zu entgehen
blieben den Armen, die ihre Kinder nicht loskaufen konnten, nur zwei Mittel
übrig: entweder der Uebertritt zum Islam oder die Flucht. Das erstere
Mittel wollte jedoch schließlich auch uicht mehr vorhalten, weil mit der Zeit
die Bekehrung zum rechten Glanben von den Sultanen mindestens nicht
gefördert wurde, aus Furcht es würden am Ende keine Christen mehr übrig
bleiben, die mit der Blutsteuer belegt werden könnten. Zuweilen machte sich
auch der Widerwille gegen dieselben durch blutige Empörung Luft.

Leider muß jedoch auch bemerkt werden, wie in Folge des materiellen
und moralischen Elendes, unter welchem die christliche Bevölkerung seufzte,
der Widerwille gegen diese Einrichtung, namentlich in späteren Zeiten, nicht
überall ein gleichmäßiger war. Es gab Aeltern genug, welche durch hohen
Sold und andere Vortheile gelockt, ihre Kinder willig Hingaben und nicht selten
sehnten sich die jungen Burschen selbst nach einer Sklaverei, die ihnen Sold,
Brod und schöne Kleider in Aussicht stellte. War es doch schon zu Ausgang
des 16. Jahrhunderts dahin gekommen, daß die angesehensten Türken bittere
Klage führten über die Menge von Christenknaben, welche jährlich nach Kon¬
stantinopel kämen, und mit der Zeit zu den höchsten Stellen am Hofe und im
Staate gelangten, während ihre Söhne unbeachtet blieben. Ja es ging am
^nde so weit, daß Türken, um nur der Gunst theilhaftig zu werden, ihre
Kinder in die Janitscharen eingereiht zu sehen, dieselben den Christen Über¬
gaben, damit diese sie anstatt ihrer eigenen zur Bezahlung der Blutsteuer
gebrauchen sollten.

Ehe wir jedoch das weitere Schicksal dieser ausgehobenen jungen Heeres-
Mchtigen verfolgen, müssen wir noch einer ganz eigenthümlichen Erscheinung
Leben des osmanischen Reiches gedenken, darin bestehend, daß nicht nnr
die Armee sich in gedachter Weise ergänzte, sondern daß auch die Angestellten
"n Dienste des Hofes und der Staatsverwaltung fast lediglich aus ursprünglichen
Zungen Christensklaven bestanden. Zur Heranbildung derselben existirten zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/191>, abgerufen am 25.08.2024.