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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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einem geordneten Kriegsdienst zu Fuß geradezu als untauglich. Dies ver¬
anlaßte den Sultan, sein Augenmerk auf die zahlreichen christlichen Unterthanen
seines neuen Reiches zu werfen. Doch kein Ungläubiger durfte unter der Fahne
des Propheten dienen. Wollte man nichtsdestoweniger die Christen zum Dienste
heranziehen, so bedürfte es einer vorherigen Bekehrung zum Islam. Dies
ließ sich jedoch uur bei Kindern mit Aussicht auf dauernden Erfolg durchführen.
So ordnete denn Sultan Orchan zunächst einen allgemeinen Kinderraub an
und ließ im Jahre 1330 tausend Christenknaben den Ihrigen mit Gewalt
entreißen. Sie bildeten den ersten Stamm der Janitscharen. Selbstverständlich
konnten diese Knaben nicht sofort dem Heere eingereiht werden. Wir werden
später berichten, in welcher Weise ein mehrere Jahre währendes Noviciat sie
in wahrhaft raffinirter Weise für ihren Beruf vorbereitete.

Was den Ursprung des Namens dieser neuen Truppe anbetrifft, so wird
erzählt, daß auf Veranlassung des Sultans ein im Geruch der Heiligkeit stehender
Derwisch Hadschi-Begtasch die Knaben für ihren kriegerischen Beruf geweiht
und ihnen hierbei den Namen Imi-Tscheri, d. h. die neue Truppe, gegeben habe.
Zum Andenken an diese Weihe erhielt die Kopfbedeckung der Janitscharen jene
sonderbare Form, welche sich von allen übrigen osmanischen Kopfbedeckungen
durch einen nach hinten lang herabhängenden breiten Streifen unterschied und
an dem herabhängenden weißen Aermel des Heiligen, als er seine rechte
Hand segnend über die junge Truppe hielt, erinnern sollte. Jedenfalls war
Begtasch zu alleu Zeiten der Schutzpatron der Janitscharen.

Dieser Stamm erhielt einen weiteren Zuwachs durch die Christenkinder,
welche bei den fortgesetzten Eroberungszügen theils als Kriegsbeute, theils als
Geschenke den Großen des Reiches dargebracht wurden. Denn es gab eine
Zeit, wo kein Pascha dem Thron des Großherrn zu ucihen wagte, ohne sich
durch eine solche Gabe seiner besonderen Gunst zu versichern. Um jedoch des
Ersatzes immer sicher zu sein, sah man sich später genöthigt, jene erste Beraubung,
als eine Art von Blutsteuer mit gesetzlichen Formen umgeben, zu wiederhole"
und eine regelmäßige Aushebung von Chrisienknaben anzuordnen. Nach den
Vorschriften Selim I. war immer der fünfte Knabe der christlichen Bevölkerung
dieustpflichtig und sollten, zur Vermeidung von cillzngroßen Härten für
Einzelne, gewisse Rücksichten genommen werden- Doch was im Interesse der
Christen erlassene Hattischerifs auch selbst dann zu bedeuten haben, wenn es
sich um Milderung der grausamsten Ungerechtigkeiten handelt, davon gibt die
türkische Geschichte bis in die neueste Zeit Zeugniß. Bald kehrte man sich
nicht mehr an die Vorschriften Selims, sondern nahm so viel Knaben, wie man
brauchte, und ohne jede weitere andere Rücksicht, die schönsten, tüchtigsten und
begabtesten natürlich zuerst. Während in der ersten Zeit noch Kinder von


einem geordneten Kriegsdienst zu Fuß geradezu als untauglich. Dies ver¬
anlaßte den Sultan, sein Augenmerk auf die zahlreichen christlichen Unterthanen
seines neuen Reiches zu werfen. Doch kein Ungläubiger durfte unter der Fahne
des Propheten dienen. Wollte man nichtsdestoweniger die Christen zum Dienste
heranziehen, so bedürfte es einer vorherigen Bekehrung zum Islam. Dies
ließ sich jedoch uur bei Kindern mit Aussicht auf dauernden Erfolg durchführen.
So ordnete denn Sultan Orchan zunächst einen allgemeinen Kinderraub an
und ließ im Jahre 1330 tausend Christenknaben den Ihrigen mit Gewalt
entreißen. Sie bildeten den ersten Stamm der Janitscharen. Selbstverständlich
konnten diese Knaben nicht sofort dem Heere eingereiht werden. Wir werden
später berichten, in welcher Weise ein mehrere Jahre währendes Noviciat sie
in wahrhaft raffinirter Weise für ihren Beruf vorbereitete.

Was den Ursprung des Namens dieser neuen Truppe anbetrifft, so wird
erzählt, daß auf Veranlassung des Sultans ein im Geruch der Heiligkeit stehender
Derwisch Hadschi-Begtasch die Knaben für ihren kriegerischen Beruf geweiht
und ihnen hierbei den Namen Imi-Tscheri, d. h. die neue Truppe, gegeben habe.
Zum Andenken an diese Weihe erhielt die Kopfbedeckung der Janitscharen jene
sonderbare Form, welche sich von allen übrigen osmanischen Kopfbedeckungen
durch einen nach hinten lang herabhängenden breiten Streifen unterschied und
an dem herabhängenden weißen Aermel des Heiligen, als er seine rechte
Hand segnend über die junge Truppe hielt, erinnern sollte. Jedenfalls war
Begtasch zu alleu Zeiten der Schutzpatron der Janitscharen.

Dieser Stamm erhielt einen weiteren Zuwachs durch die Christenkinder,
welche bei den fortgesetzten Eroberungszügen theils als Kriegsbeute, theils als
Geschenke den Großen des Reiches dargebracht wurden. Denn es gab eine
Zeit, wo kein Pascha dem Thron des Großherrn zu ucihen wagte, ohne sich
durch eine solche Gabe seiner besonderen Gunst zu versichern. Um jedoch des
Ersatzes immer sicher zu sein, sah man sich später genöthigt, jene erste Beraubung,
als eine Art von Blutsteuer mit gesetzlichen Formen umgeben, zu wiederhole»
und eine regelmäßige Aushebung von Chrisienknaben anzuordnen. Nach den
Vorschriften Selim I. war immer der fünfte Knabe der christlichen Bevölkerung
dieustpflichtig und sollten, zur Vermeidung von cillzngroßen Härten für
Einzelne, gewisse Rücksichten genommen werden- Doch was im Interesse der
Christen erlassene Hattischerifs auch selbst dann zu bedeuten haben, wenn es
sich um Milderung der grausamsten Ungerechtigkeiten handelt, davon gibt die
türkische Geschichte bis in die neueste Zeit Zeugniß. Bald kehrte man sich
nicht mehr an die Vorschriften Selims, sondern nahm so viel Knaben, wie man
brauchte, und ohne jede weitere andere Rücksicht, die schönsten, tüchtigsten und
begabtesten natürlich zuerst. Während in der ersten Zeit noch Kinder von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/190>, abgerufen am 25.08.2024.