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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Friedrich Wilhelm III. selbst. Ranke hat darauf schon die Aufmerksamkeit hin¬
gelenkt, "daß der König bei Hardenberg nicht allezeit in dem vortheilhaften
Lichte erscheint, in welchem man ihn zu sehen gewohnt ist;" er fügt hinzu:
"wir glauben nicht, daß das Urtheil der Nachwelt über den König von dem
Eindruck abhängt, den der Minister in den Tagen schwankender Entschlüsse und
unaufhörlicher Verluste von ihm erhalten hatte." Das ist ein Satz, den ich in
seiner vollen Tragweite nicht zu unterschreiben im Stande. Ja, wenn das
Urtheil und Zeugniß Hardenbergs über die Persönlichkeit und den Charakter
dieses Königs ein isolirtes wäre! Das aber ist keineswegs der Fall. Der
Sachverhalt ist hier vielmehr dieser: Hardenberg's für den König recht un¬
günstiges Urtheil verstärkt und bekräftigt alle die bitteren und ungünstigen
Zeugnisse, die der Person des Königs nahestehende, royalistisch und patriotisch
fühlende und einsichtige Zeitgenossen über ihn abgelegt haben. Hardenbergs
ans der engsten nud nächsten Beobachtung beruhende, wohl erwogene Ansicht über
den König kann nicht mit Ranke's Bemerkung, "ihre Anschauungen gingen eben
auseinander", abgethan werden. Die übliche günstigere Auffassung dieses
König's aber, auf welche Ranke hinweist, ist, abgesehen natürlich von populären
Lobpreisungen des Monarchen, vorwiegend jüngeren Ursprungs. Die Meinung
der bestunterrichteten Zeitgenossen befindet sich vielmehr größtentheils auf Harden¬
bergs Seite; ich meine nicht etwa Stein oder die patriotischen Heißsporne, ich
denke vielmehr an so kühle und objektive Männer wie etwa Schladen oder an
so loyale und ihrer Stellung nach zu ausschließlichem Loben berufene Persön¬
lichkeiten, wie etwa die Oberhofmeisterin Gräfin Voß: wenn man z. B. die
Aeußerungen der letzteren über die Rathlosigkeit, den Mangel an Entschlossen¬
heit und Muth in dem Könige sich vergegenwärtigt, so sieht man, daß die von
ihr hervorgehobenen Charakterzüge ganz und genau zu dem Bilde, das Harden¬
berg von ihm gezeichnet, passen. Und in dieser Beziehung dürfte allerdings das '
Wort begründet erscheinen, das ein hervorragender Staatsmann unserer Tage
nach dem Erscheinen der Hardenberg'schen Denkwürdigkeiten geäußert haben
soll, es sei das oppositionellste Buch das in diesem Jahrhundert erschienen.

An thatsächlichen Aufschlüssen, an Bereicherungen unseres historischen
Wissens kommt weniges dieser Publikation gleich. Gleichsam auf Schritt und
Tritt lernen wir neue Dinge kennen; wir fühlen es, daß wir auf dem sicheren
Boden der besten Information einherwandeln. Und doch dürfen wir bei aller
Frende über die neue und reiche Kunde, die uns zu Theil wird, keinen Augen¬
blick vergessen, daß ein bestimmtes System, eine bestimmte Tendenz die ganze
Darstellung Hardenberg's erfüllt und leitet. Der Grundgedanke feiner Schrift
ist der folgende, den zu erweisen alle Einzelheiten bestrebt sind. Diejenige
Politik, welche Preußens Schicksale 1803- 1806 bestimmt, sei, so behauptet


Friedrich Wilhelm III. selbst. Ranke hat darauf schon die Aufmerksamkeit hin¬
gelenkt, „daß der König bei Hardenberg nicht allezeit in dem vortheilhaften
Lichte erscheint, in welchem man ihn zu sehen gewohnt ist;" er fügt hinzu:
„wir glauben nicht, daß das Urtheil der Nachwelt über den König von dem
Eindruck abhängt, den der Minister in den Tagen schwankender Entschlüsse und
unaufhörlicher Verluste von ihm erhalten hatte." Das ist ein Satz, den ich in
seiner vollen Tragweite nicht zu unterschreiben im Stande. Ja, wenn das
Urtheil und Zeugniß Hardenbergs über die Persönlichkeit und den Charakter
dieses Königs ein isolirtes wäre! Das aber ist keineswegs der Fall. Der
Sachverhalt ist hier vielmehr dieser: Hardenberg's für den König recht un¬
günstiges Urtheil verstärkt und bekräftigt alle die bitteren und ungünstigen
Zeugnisse, die der Person des Königs nahestehende, royalistisch und patriotisch
fühlende und einsichtige Zeitgenossen über ihn abgelegt haben. Hardenbergs
ans der engsten nud nächsten Beobachtung beruhende, wohl erwogene Ansicht über
den König kann nicht mit Ranke's Bemerkung, „ihre Anschauungen gingen eben
auseinander", abgethan werden. Die übliche günstigere Auffassung dieses
König's aber, auf welche Ranke hinweist, ist, abgesehen natürlich von populären
Lobpreisungen des Monarchen, vorwiegend jüngeren Ursprungs. Die Meinung
der bestunterrichteten Zeitgenossen befindet sich vielmehr größtentheils auf Harden¬
bergs Seite; ich meine nicht etwa Stein oder die patriotischen Heißsporne, ich
denke vielmehr an so kühle und objektive Männer wie etwa Schladen oder an
so loyale und ihrer Stellung nach zu ausschließlichem Loben berufene Persön¬
lichkeiten, wie etwa die Oberhofmeisterin Gräfin Voß: wenn man z. B. die
Aeußerungen der letzteren über die Rathlosigkeit, den Mangel an Entschlossen¬
heit und Muth in dem Könige sich vergegenwärtigt, so sieht man, daß die von
ihr hervorgehobenen Charakterzüge ganz und genau zu dem Bilde, das Harden¬
berg von ihm gezeichnet, passen. Und in dieser Beziehung dürfte allerdings das '
Wort begründet erscheinen, das ein hervorragender Staatsmann unserer Tage
nach dem Erscheinen der Hardenberg'schen Denkwürdigkeiten geäußert haben
soll, es sei das oppositionellste Buch das in diesem Jahrhundert erschienen.

An thatsächlichen Aufschlüssen, an Bereicherungen unseres historischen
Wissens kommt weniges dieser Publikation gleich. Gleichsam auf Schritt und
Tritt lernen wir neue Dinge kennen; wir fühlen es, daß wir auf dem sicheren
Boden der besten Information einherwandeln. Und doch dürfen wir bei aller
Frende über die neue und reiche Kunde, die uns zu Theil wird, keinen Augen¬
blick vergessen, daß ein bestimmtes System, eine bestimmte Tendenz die ganze
Darstellung Hardenberg's erfüllt und leitet. Der Grundgedanke feiner Schrift
ist der folgende, den zu erweisen alle Einzelheiten bestrebt sind. Diejenige
Politik, welche Preußens Schicksale 1803- 1806 bestimmt, sei, so behauptet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/14>, abgerufen am 22.07.2024.