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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Persönliches Urtheil ist ein so gewichtiges und so sehr ein sachlich begründetes,
daß für eine Reihe von Fragen das Urtheil des Historikers von ihm sich wird
leiten lassen dürfen.

Recht ausführlich unterrichtet Hardenberg uns über seine persönliche Stellung
zu Haugwitz und zu den Kabinetsräthen Lombard und Beyme; und da er
Dokumente und Briefe über diese persönlichen Beziehungen reichlich mittheilt,
so nehmen diese Dinge eiuen beträchtlichen Raum in seiner ganzen Erzählung
ein. Da könnte nun Jemand sagen, es sei des Guten in dieser Richtung zu
viel geschehen; er sei in seiner Denkschrift zu viel mit seiner Persönlichkeit be¬
schäftigt. Ich könnte diesen Einwand nicht für begründet halten. Das persön¬
liche Moment hat hier eine große sachliche Bedeutung; und nnr dnrch sehr
detaillirte und sehr unumwunden ausführliche Darlegung der persönlichen Ver¬
hältnisse konnte Hardenberg hoffen der wirklichen Stellung, in der er sich lange
befunden, gerechte Würdigung zu verschaffen. Im August und September 1803
hatte er den Minister, der die auswärtige Politik bis dahin in vollster Ueber¬
einstimmung mit dem persönlichen Willen des Königs geleitet, ,den Grafen
Haugwitz in der Geschäftsführung vertreten, natürlich ohne selbstständige Action
ganz im Geleise des Haugwitz'schen Ministerium. Dann, 1804, hatte Haugwitz
für längere Zeit wiederum zurücktreten wollen; Hardenberg aber war nicht noch
einmal bereit, ein zweites Vikariat für Haugwitz zu übernehmen; wenn er die
Geschäfte führen sollte, so wollte er mit voller Verantwortlichkeit selbstständiger
Minister sein. Haugwitz und Beyme fügten sich scheinbar in diese Bedingung
die Hardenberg aufgestellt; der König aber gedachte nicht sich definitiv von
Haugwitz zu trennen. In dieser Differenz der Anschauungen über die Grund¬
lagen seiner ministeriellen Stellung versäumte Hardenberg es, sich direkt volle
^ Klarheit bei Friedrich Wilhelm zu verschaffen, Haugwitz und Beyme erhielten
ihn -- wie wir mit Hardenberg felbst wohl urtheilen werden, -- absichtlich
in Unklarheit über die Lage. Als die Krisis im Herbste 1805 eintrat, wurde
Hardenberg gewahr, daß er nicht alleiniger Meister der Situation, daß neben
ihm der König Haugwitz eonsultirte, ja daß Haugwitz's Einfluß der vou ihm
selbst befürworteten Richtung überlegen. Haugwitz wurde wiederum als College
Hardenbergs in Aktivität gesetzt. In peinlicher, unklarer und unbefriedigender
Haltung erlebte Hardenberg die schmachvollen Wendungen und Sprünge der
Preußischen Politik vom Dezember 1805 bis Februar 1806. Die persönliche
Bitterkeit, die sich in seiner Schrift über diese Periode ausspricht, war eine
gerechtfertigte; sie erklärt es, weßhalb er 1807 ans das hartnäckigste sich ge¬
sträubt mit dem Personale des vorhergehenden Jahres zusammen zu arbeiten
zur Rettung und Erhebung des Staates.

Ein zweiter charakteristischer Zug ist das scharfe Urtheil über deu König


Grenzboten IV. 1L77. 2

Persönliches Urtheil ist ein so gewichtiges und so sehr ein sachlich begründetes,
daß für eine Reihe von Fragen das Urtheil des Historikers von ihm sich wird
leiten lassen dürfen.

Recht ausführlich unterrichtet Hardenberg uns über seine persönliche Stellung
zu Haugwitz und zu den Kabinetsräthen Lombard und Beyme; und da er
Dokumente und Briefe über diese persönlichen Beziehungen reichlich mittheilt,
so nehmen diese Dinge eiuen beträchtlichen Raum in seiner ganzen Erzählung
ein. Da könnte nun Jemand sagen, es sei des Guten in dieser Richtung zu
viel geschehen; er sei in seiner Denkschrift zu viel mit seiner Persönlichkeit be¬
schäftigt. Ich könnte diesen Einwand nicht für begründet halten. Das persön¬
liche Moment hat hier eine große sachliche Bedeutung; und nnr dnrch sehr
detaillirte und sehr unumwunden ausführliche Darlegung der persönlichen Ver¬
hältnisse konnte Hardenberg hoffen der wirklichen Stellung, in der er sich lange
befunden, gerechte Würdigung zu verschaffen. Im August und September 1803
hatte er den Minister, der die auswärtige Politik bis dahin in vollster Ueber¬
einstimmung mit dem persönlichen Willen des Königs geleitet, ,den Grafen
Haugwitz in der Geschäftsführung vertreten, natürlich ohne selbstständige Action
ganz im Geleise des Haugwitz'schen Ministerium. Dann, 1804, hatte Haugwitz
für längere Zeit wiederum zurücktreten wollen; Hardenberg aber war nicht noch
einmal bereit, ein zweites Vikariat für Haugwitz zu übernehmen; wenn er die
Geschäfte führen sollte, so wollte er mit voller Verantwortlichkeit selbstständiger
Minister sein. Haugwitz und Beyme fügten sich scheinbar in diese Bedingung
die Hardenberg aufgestellt; der König aber gedachte nicht sich definitiv von
Haugwitz zu trennen. In dieser Differenz der Anschauungen über die Grund¬
lagen seiner ministeriellen Stellung versäumte Hardenberg es, sich direkt volle
^ Klarheit bei Friedrich Wilhelm zu verschaffen, Haugwitz und Beyme erhielten
ihn — wie wir mit Hardenberg felbst wohl urtheilen werden, — absichtlich
in Unklarheit über die Lage. Als die Krisis im Herbste 1805 eintrat, wurde
Hardenberg gewahr, daß er nicht alleiniger Meister der Situation, daß neben
ihm der König Haugwitz eonsultirte, ja daß Haugwitz's Einfluß der vou ihm
selbst befürworteten Richtung überlegen. Haugwitz wurde wiederum als College
Hardenbergs in Aktivität gesetzt. In peinlicher, unklarer und unbefriedigender
Haltung erlebte Hardenberg die schmachvollen Wendungen und Sprünge der
Preußischen Politik vom Dezember 1805 bis Februar 1806. Die persönliche
Bitterkeit, die sich in seiner Schrift über diese Periode ausspricht, war eine
gerechtfertigte; sie erklärt es, weßhalb er 1807 ans das hartnäckigste sich ge¬
sträubt mit dem Personale des vorhergehenden Jahres zusammen zu arbeiten
zur Rettung und Erhebung des Staates.

Ein zweiter charakteristischer Zug ist das scharfe Urtheil über deu König


Grenzboten IV. 1L77. 2
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[0013] Persönliches Urtheil ist ein so gewichtiges und so sehr ein sachlich begründetes, daß für eine Reihe von Fragen das Urtheil des Historikers von ihm sich wird leiten lassen dürfen. Recht ausführlich unterrichtet Hardenberg uns über seine persönliche Stellung zu Haugwitz und zu den Kabinetsräthen Lombard und Beyme; und da er Dokumente und Briefe über diese persönlichen Beziehungen reichlich mittheilt, so nehmen diese Dinge eiuen beträchtlichen Raum in seiner ganzen Erzählung ein. Da könnte nun Jemand sagen, es sei des Guten in dieser Richtung zu viel geschehen; er sei in seiner Denkschrift zu viel mit seiner Persönlichkeit be¬ schäftigt. Ich könnte diesen Einwand nicht für begründet halten. Das persön¬ liche Moment hat hier eine große sachliche Bedeutung; und nnr dnrch sehr detaillirte und sehr unumwunden ausführliche Darlegung der persönlichen Ver¬ hältnisse konnte Hardenberg hoffen der wirklichen Stellung, in der er sich lange befunden, gerechte Würdigung zu verschaffen. Im August und September 1803 hatte er den Minister, der die auswärtige Politik bis dahin in vollster Ueber¬ einstimmung mit dem persönlichen Willen des Königs geleitet, ,den Grafen Haugwitz in der Geschäftsführung vertreten, natürlich ohne selbstständige Action ganz im Geleise des Haugwitz'schen Ministerium. Dann, 1804, hatte Haugwitz für längere Zeit wiederum zurücktreten wollen; Hardenberg aber war nicht noch einmal bereit, ein zweites Vikariat für Haugwitz zu übernehmen; wenn er die Geschäfte führen sollte, so wollte er mit voller Verantwortlichkeit selbstständiger Minister sein. Haugwitz und Beyme fügten sich scheinbar in diese Bedingung die Hardenberg aufgestellt; der König aber gedachte nicht sich definitiv von Haugwitz zu trennen. In dieser Differenz der Anschauungen über die Grund¬ lagen seiner ministeriellen Stellung versäumte Hardenberg es, sich direkt volle ^ Klarheit bei Friedrich Wilhelm zu verschaffen, Haugwitz und Beyme erhielten ihn — wie wir mit Hardenberg felbst wohl urtheilen werden, — absichtlich in Unklarheit über die Lage. Als die Krisis im Herbste 1805 eintrat, wurde Hardenberg gewahr, daß er nicht alleiniger Meister der Situation, daß neben ihm der König Haugwitz eonsultirte, ja daß Haugwitz's Einfluß der vou ihm selbst befürworteten Richtung überlegen. Haugwitz wurde wiederum als College Hardenbergs in Aktivität gesetzt. In peinlicher, unklarer und unbefriedigender Haltung erlebte Hardenberg die schmachvollen Wendungen und Sprünge der Preußischen Politik vom Dezember 1805 bis Februar 1806. Die persönliche Bitterkeit, die sich in seiner Schrift über diese Periode ausspricht, war eine gerechtfertigte; sie erklärt es, weßhalb er 1807 ans das hartnäckigste sich ge¬ sträubt mit dem Personale des vorhergehenden Jahres zusammen zu arbeiten zur Rettung und Erhebung des Staates. Ein zweiter charakteristischer Zug ist das scharfe Urtheil über deu König Grenzboten IV. 1L77. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/13>, abgerufen am 22.07.2024.