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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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geführt, daß an Junker und Kaufmann, an Pfaffe und Jude Befugnisse,
die wir mit allen Kulturvölkern als Ausfluß staatlicher Hoheitsrechte ansehen
müssen, verschenkt, verkauft, versetzt werden konnten; sie hatte eine Anzahl mehr
oder minder selbständiger Herrschaftsbezirke gebildet, die je kleiner desto eifer¬
süchtiger auf ihre unverletzliche Kompetenz pochten, lauter kleine Quasisouveraine,
Inhaber des in minutiöse Partikelchen theilbaren unklaren üueale (Her-
zvgsrecht); dem Landesherrn selbst, der im Prinzip doch noch immer der
Träger der Staatsgewalt war, einen nndefinirbaren Rest halb anerkannter,
halb streitiger Reservatrechte übriglassend, die so wenig bedeuteten, daß die
kleinen und kleinsten Herren, Stifter und Städte eigentlich international -- man
verzeihe den damals noch ungebräuchlichen Ausdruck -- verkehrten und ver¬
kehren mußten. Von Rechtsschutz kounte da kaum die Rede sein und es ist
furchtbar, wie ausgesprochen das Mißtrauen in den Quellen der Rechtsgeschichte
uns entgegentritt, welches mau gegen jedes fremde Gericht hatte und das war
meist schon das Gericht des Nachbarortes. Nur wenn die eigene gnädige Herr¬
schaft Macht und guten Willen hatte, durch Androhung von Repressalien der
Klage gehörig Nachdruck zu geben, dann durfte man auf Gerechtigkeit bei dem
Richter des Beklagten rechnen und thatsächlich sehen wir nun, daß in Folge
der privatrechtlichen Korruption des Staatsrechts die einfachste Geldfordernng
zwischen Bürgern von Breslau und solchen vielleicht von Görlitz der Alabama¬
frage gleich diplomatisch betrieben wird und daß schließlich, wenn der gute
Wille der Parteien die Sache nicht friedlich zum Abschluß brachte oder ihre
Ohnmacht sie unentschieden im Sande verlaufen ließ, die Selbsthülfe, der Krieg
oder, technisch zu sagen, die Fehde eintreten mußte. Das Privatrecht ward
zum Völkerrecht. -- Die Fehde, sei es zwischen den ursprünglichen Parteien
selbst oder deren interessirten Herrschaften, die Negation des Rechtsschutzes also,
war das Charakteristische der Periode der Rechtsgeschichte, von welcher wir
sprechen.

Wenn in unserem Falle es für jetzt nicht zur Fehde kam, wem: Herr
Christoph Rindfleisch nicht seinem Widerpart absägte und dessen Dörfer nicht
brannte, die Bauern nicht ausknüpfte, so war dies natürlich, er konnte wenig
dadurch erreichen und viel verlieren, ungleiches Spiel gegen Herren von der
Art Siegmunds von Kanffung und Christophs von Reisewitz. Und der Rath
der Stadt, der Verweser der Hauptmannschaft im Fürstenthum, er fand es auch
nicht für opportun mit äußerer Kraft für den Mitbürger einzutreten. Zwar
beschloß er nochmals, des Königs Majestät vorzutragen "wie er allezeit die
von der Ritterschaft und Mannschaft mit Bitten, mit Geboten und Befehl dazu
angehalten und vermahnet, daß sie sich nach der königlichen Majestät Vorschriften
halten und richten sollen und in der Bank des Rechten sitzen, damit die Recht


geführt, daß an Junker und Kaufmann, an Pfaffe und Jude Befugnisse,
die wir mit allen Kulturvölkern als Ausfluß staatlicher Hoheitsrechte ansehen
müssen, verschenkt, verkauft, versetzt werden konnten; sie hatte eine Anzahl mehr
oder minder selbständiger Herrschaftsbezirke gebildet, die je kleiner desto eifer¬
süchtiger auf ihre unverletzliche Kompetenz pochten, lauter kleine Quasisouveraine,
Inhaber des in minutiöse Partikelchen theilbaren unklaren üueale (Her-
zvgsrecht); dem Landesherrn selbst, der im Prinzip doch noch immer der
Träger der Staatsgewalt war, einen nndefinirbaren Rest halb anerkannter,
halb streitiger Reservatrechte übriglassend, die so wenig bedeuteten, daß die
kleinen und kleinsten Herren, Stifter und Städte eigentlich international — man
verzeihe den damals noch ungebräuchlichen Ausdruck — verkehrten und ver¬
kehren mußten. Von Rechtsschutz kounte da kaum die Rede sein und es ist
furchtbar, wie ausgesprochen das Mißtrauen in den Quellen der Rechtsgeschichte
uns entgegentritt, welches mau gegen jedes fremde Gericht hatte und das war
meist schon das Gericht des Nachbarortes. Nur wenn die eigene gnädige Herr¬
schaft Macht und guten Willen hatte, durch Androhung von Repressalien der
Klage gehörig Nachdruck zu geben, dann durfte man auf Gerechtigkeit bei dem
Richter des Beklagten rechnen und thatsächlich sehen wir nun, daß in Folge
der privatrechtlichen Korruption des Staatsrechts die einfachste Geldfordernng
zwischen Bürgern von Breslau und solchen vielleicht von Görlitz der Alabama¬
frage gleich diplomatisch betrieben wird und daß schließlich, wenn der gute
Wille der Parteien die Sache nicht friedlich zum Abschluß brachte oder ihre
Ohnmacht sie unentschieden im Sande verlaufen ließ, die Selbsthülfe, der Krieg
oder, technisch zu sagen, die Fehde eintreten mußte. Das Privatrecht ward
zum Völkerrecht. — Die Fehde, sei es zwischen den ursprünglichen Parteien
selbst oder deren interessirten Herrschaften, die Negation des Rechtsschutzes also,
war das Charakteristische der Periode der Rechtsgeschichte, von welcher wir
sprechen.

Wenn in unserem Falle es für jetzt nicht zur Fehde kam, wem: Herr
Christoph Rindfleisch nicht seinem Widerpart absägte und dessen Dörfer nicht
brannte, die Bauern nicht ausknüpfte, so war dies natürlich, er konnte wenig
dadurch erreichen und viel verlieren, ungleiches Spiel gegen Herren von der
Art Siegmunds von Kanffung und Christophs von Reisewitz. Und der Rath
der Stadt, der Verweser der Hauptmannschaft im Fürstenthum, er fand es auch
nicht für opportun mit äußerer Kraft für den Mitbürger einzutreten. Zwar
beschloß er nochmals, des Königs Majestät vorzutragen „wie er allezeit die
von der Ritterschaft und Mannschaft mit Bitten, mit Geboten und Befehl dazu
angehalten und vermahnet, daß sie sich nach der königlichen Majestät Vorschriften
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/130>, abgerufen am 24.08.2024.