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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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erkannten christlichen Kirche. Zu diesem Zwecke wurde den in den geheimen
Bund Aufgenommenen das entwürdigende Ritual des obseönen Kusses, die Ent-
weihung des Kreuzes angemuthet, zu diesem Zwecke den Brüdern vorgeschrie¬
ben, daß sie alle Aemter und Würden des Ordens und Staates mit Brüdern
des engern Bundes besetzen müßten, mit alleiniger Ausnahme des Großmeister-
Postens, weil der Großmeister doch nur eine Strohpuppe der engeren Genossen¬
schaft wäre.

Die Prüfung der Echtheit dieser Geheimstatuten wird den Kirchenhistorikern
ein weites und dankbares Feld kritischer Thätigkeit bieten. Merzdorf läßt die
Frage offen, aber er neigt sich doch entschieden nach der Richtung, die Echtheit
zu bejahen. Welchen Antheil an dieser Entscheidung seine offen bekundete und
begründete Abneigung gegen diejenigen Kreise der Freimaurerei gehabt hat, die
sich als die Nachfolger der christlichen Templer bezeichnen, kann dahin gestellt
bleiben, da seine Argumente unter allen Umständen höchst beachtenswerth sind.
Er weist nach, daß die Namen der Templer, welche unter den Geheimstatuten
stehen, durchaus historisch beglaubigt sind; daß das genaueste Spiegelbild der
häretischen Sekten jener Zeit, des intimen Verkehrs des Templerordens mit
dem Orient, die genaueste Uebereinstimmung der Geheimstatuten mit dem
Politisch-Hierarchischen Wirken des Ordens in den Geheiinstatnten wiedergegeben
sei; daß schon zur Zeit des Prozesses gegen den Orden, und dann so oft als
derselbe Prozeß wissenschaftlichen Untersuchungen unterlag, die Behauptung von
dem Vorhandensein derartiger Geheimstatuten, ergänzt durch gleichzeitige Zeugen¬
aussagen, aufgetaucht sei; daß endlich keine der in den Geheimstatuten ent¬
haltene Ordens- oder Ritualbestimmung anderen geheimen Gesellschaften der¬
selben Zeit fremdartig gewesen sei.

Auch hier soll die Echtheit des Originaldokumentes im Vatikan, dem nach
unserer Ansicht die vorliegende Schrift entnommen ist, keineswegs endgültig
entschieden werden. Der Raum dieser Zeitschrift würde zu solcher Untersuchung
kaum zureichen. Aber dennoch kann nicht verschwiegen werden, daß sich sehr
gewichtige Bedenken gegen die Echtheit jener merkwürdigen Urkunde erheben.
Merzdorf gibt selbst zu, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, die Helfers¬
helfer des König Philipp von Frankreich, den es nach deu reichen Gütern der
Tempelherren gelüstete, und der ihnen hauptsächlich aus diesem Grunde den
Prozeß machte, seien bei Abfassung dieses angeblichen Geheimstatnts im Spiele
gewesen. Unzweifelhaft lassen sich alle Gründe, welche Merzdorf für die Echt¬
heit der Urkunde anführt, gerade für eine Fälschung ans Philipps Kreisen
geltend machen. Die Kurie widerstrebte so lange sie konnte dein Prozesse
gegen die Templer. Sie hat die von ihr schließlich gegen den Orden erlassene
Bulle "ad xrvviätun tüluisti vienrii" stets geheim gehalten. Sie hatte ihre


erkannten christlichen Kirche. Zu diesem Zwecke wurde den in den geheimen
Bund Aufgenommenen das entwürdigende Ritual des obseönen Kusses, die Ent-
weihung des Kreuzes angemuthet, zu diesem Zwecke den Brüdern vorgeschrie¬
ben, daß sie alle Aemter und Würden des Ordens und Staates mit Brüdern
des engern Bundes besetzen müßten, mit alleiniger Ausnahme des Großmeister-
Postens, weil der Großmeister doch nur eine Strohpuppe der engeren Genossen¬
schaft wäre.

Die Prüfung der Echtheit dieser Geheimstatuten wird den Kirchenhistorikern
ein weites und dankbares Feld kritischer Thätigkeit bieten. Merzdorf läßt die
Frage offen, aber er neigt sich doch entschieden nach der Richtung, die Echtheit
zu bejahen. Welchen Antheil an dieser Entscheidung seine offen bekundete und
begründete Abneigung gegen diejenigen Kreise der Freimaurerei gehabt hat, die
sich als die Nachfolger der christlichen Templer bezeichnen, kann dahin gestellt
bleiben, da seine Argumente unter allen Umständen höchst beachtenswerth sind.
Er weist nach, daß die Namen der Templer, welche unter den Geheimstatuten
stehen, durchaus historisch beglaubigt sind; daß das genaueste Spiegelbild der
häretischen Sekten jener Zeit, des intimen Verkehrs des Templerordens mit
dem Orient, die genaueste Uebereinstimmung der Geheimstatuten mit dem
Politisch-Hierarchischen Wirken des Ordens in den Geheiinstatnten wiedergegeben
sei; daß schon zur Zeit des Prozesses gegen den Orden, und dann so oft als
derselbe Prozeß wissenschaftlichen Untersuchungen unterlag, die Behauptung von
dem Vorhandensein derartiger Geheimstatuten, ergänzt durch gleichzeitige Zeugen¬
aussagen, aufgetaucht sei; daß endlich keine der in den Geheimstatuten ent¬
haltene Ordens- oder Ritualbestimmung anderen geheimen Gesellschaften der¬
selben Zeit fremdartig gewesen sei.

Auch hier soll die Echtheit des Originaldokumentes im Vatikan, dem nach
unserer Ansicht die vorliegende Schrift entnommen ist, keineswegs endgültig
entschieden werden. Der Raum dieser Zeitschrift würde zu solcher Untersuchung
kaum zureichen. Aber dennoch kann nicht verschwiegen werden, daß sich sehr
gewichtige Bedenken gegen die Echtheit jener merkwürdigen Urkunde erheben.
Merzdorf gibt selbst zu, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, die Helfers¬
helfer des König Philipp von Frankreich, den es nach deu reichen Gütern der
Tempelherren gelüstete, und der ihnen hauptsächlich aus diesem Grunde den
Prozeß machte, seien bei Abfassung dieses angeblichen Geheimstatnts im Spiele
gewesen. Unzweifelhaft lassen sich alle Gründe, welche Merzdorf für die Echt¬
heit der Urkunde anführt, gerade für eine Fälschung ans Philipps Kreisen
geltend machen. Die Kurie widerstrebte so lange sie konnte dein Prozesse
gegen die Templer. Sie hat die von ihr schließlich gegen den Orden erlassene
Bulle „ad xrvviätun tüluisti vienrii" stets geheim gehalten. Sie hatte ihre


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[0123] erkannten christlichen Kirche. Zu diesem Zwecke wurde den in den geheimen Bund Aufgenommenen das entwürdigende Ritual des obseönen Kusses, die Ent- weihung des Kreuzes angemuthet, zu diesem Zwecke den Brüdern vorgeschrie¬ ben, daß sie alle Aemter und Würden des Ordens und Staates mit Brüdern des engern Bundes besetzen müßten, mit alleiniger Ausnahme des Großmeister- Postens, weil der Großmeister doch nur eine Strohpuppe der engeren Genossen¬ schaft wäre. Die Prüfung der Echtheit dieser Geheimstatuten wird den Kirchenhistorikern ein weites und dankbares Feld kritischer Thätigkeit bieten. Merzdorf läßt die Frage offen, aber er neigt sich doch entschieden nach der Richtung, die Echtheit zu bejahen. Welchen Antheil an dieser Entscheidung seine offen bekundete und begründete Abneigung gegen diejenigen Kreise der Freimaurerei gehabt hat, die sich als die Nachfolger der christlichen Templer bezeichnen, kann dahin gestellt bleiben, da seine Argumente unter allen Umständen höchst beachtenswerth sind. Er weist nach, daß die Namen der Templer, welche unter den Geheimstatuten stehen, durchaus historisch beglaubigt sind; daß das genaueste Spiegelbild der häretischen Sekten jener Zeit, des intimen Verkehrs des Templerordens mit dem Orient, die genaueste Uebereinstimmung der Geheimstatuten mit dem Politisch-Hierarchischen Wirken des Ordens in den Geheiinstatnten wiedergegeben sei; daß schon zur Zeit des Prozesses gegen den Orden, und dann so oft als derselbe Prozeß wissenschaftlichen Untersuchungen unterlag, die Behauptung von dem Vorhandensein derartiger Geheimstatuten, ergänzt durch gleichzeitige Zeugen¬ aussagen, aufgetaucht sei; daß endlich keine der in den Geheimstatuten ent¬ haltene Ordens- oder Ritualbestimmung anderen geheimen Gesellschaften der¬ selben Zeit fremdartig gewesen sei. Auch hier soll die Echtheit des Originaldokumentes im Vatikan, dem nach unserer Ansicht die vorliegende Schrift entnommen ist, keineswegs endgültig entschieden werden. Der Raum dieser Zeitschrift würde zu solcher Untersuchung kaum zureichen. Aber dennoch kann nicht verschwiegen werden, daß sich sehr gewichtige Bedenken gegen die Echtheit jener merkwürdigen Urkunde erheben. Merzdorf gibt selbst zu, daß die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, die Helfers¬ helfer des König Philipp von Frankreich, den es nach deu reichen Gütern der Tempelherren gelüstete, und der ihnen hauptsächlich aus diesem Grunde den Prozeß machte, seien bei Abfassung dieses angeblichen Geheimstatnts im Spiele gewesen. Unzweifelhaft lassen sich alle Gründe, welche Merzdorf für die Echt¬ heit der Urkunde anführt, gerade für eine Fälschung ans Philipps Kreisen geltend machen. Die Kurie widerstrebte so lange sie konnte dein Prozesse gegen die Templer. Sie hat die von ihr schließlich gegen den Orden erlassene Bulle „ad xrvviätun tüluisti vienrii" stets geheim gehalten. Sie hatte ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/123>, abgerufen am 24.08.2024.