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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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die Frauenzimmer-Seuche nach unserm Tode einwurzle- Wir verbieten
dies daher unser getreuen Landschaft ernstlich, allermaßen bekannt ist, daß an
den meisten Höfen durch die Reifröcke die größten und geheimsten
Affairen dem Fürsten zum Schaden und zum Verderb der Lande
und Leute zu dirigiren gesucht werden, wenn zumal die Diener
von deren Befehl dependiren oder dependiret haben." -- Er verfügte insbe¬
sondere das Einheften dieser Verfügung in die Landschaftsakten.

Ernst August trat mit dem Jahre 1740 in eine Periode von verhältniß-
'"äßig hoher Bedeutung für sein Reich; denn damals fiel ihm durch Erbschaft
der eisenacher Landestheil zu, dessen materielle Lage allerdings nicht viel
günstiger war, als die des weimarischen. Für das neue Erbe erkannte er
natürlich ebenso wenig die alten landständischen Rechte in deren ganzem Um¬
züge an. Er ging noch viel weniger nach Eisenach, um sich etwa als Landesherr"
5u zeigen. Aber trotz dieser ungünstigen Neigungen des Gebieters hatte das kleine
Eisenach eine mannhafte ständische Vertretung vor dem weimarischen Landes¬
theile voraus, die sich auch jetzt wieder bewährte und besonders in der In¬
telligenz Jenas sich stärkte. In Jena empfand man aufs bitterste, daß diese Miß-
Wirthschaft eines unfähigen Absolutismus nun auch in dem vererbten Landes¬
theile heimisch werden sollte. Zwei Jahre wartete man in Geduld, dann be¬
gann von Jena aus die Bewegung für die Wiedereinsetzung in den vorigen
Rechtsstaat. Wiederholtes Drängen aus dem nen erworbenen und dem alten
Landestheile zeigte dem Souverän gebieterisch, daß andere ihm sehr unliebsame
Bahnen eingeschlagen werden müßten. Der Herzog entschloß sich demgemäß,
^ freilich erst nach Jahren -- einen allgemeinen Landtag für jedes der Fürsten-
Unner einzuberufen. Leider war es zu spät, um das begangene Unrecht gut
Zu machen: mitten in den Vorbereitungen zu dieser neuen Aerci segnete er das
Zeitliche.

Wenn man fragt, was durch den kindlichen Militarismus des Her¬
sogs erreicht war, so ist die einfache Antwort: der Ruin des Landes. Als
Ernst August die Augen geschlossen, da faßte man sich zusammen, um einmal
gründlich auszufegen: man hörte die bisher vertretenen Städte, die kleineren
Gemeinden, die übergangenen, und die bisher auf den Landtagen anwesende
Ritterschaft. Ein Bild des Entsetzens häufte sich an in den unbeschreiblich
trübseligen Veschwerdeschriften aus allen Bevolkernngsschichten. Es steht freilich
unzweifelhaft fest, daß die willkürliche und schlechte Gesetzgebung, die üble
Finanzwirthschaft und die falschen wirthschaftlichen Prinzipien das ihre zum
Ruin des Landes mit beigetragen hatten. Aber immerhin wäre der Verfall in
diesem Maße nicht möglich gewesen, wenn Ernst August den Landständen ihre
verfassungsmäßige Mitwirkung bei der Landesregierung gestattet hätte. Neben


die Frauenzimmer-Seuche nach unserm Tode einwurzle- Wir verbieten
dies daher unser getreuen Landschaft ernstlich, allermaßen bekannt ist, daß an
den meisten Höfen durch die Reifröcke die größten und geheimsten
Affairen dem Fürsten zum Schaden und zum Verderb der Lande
und Leute zu dirigiren gesucht werden, wenn zumal die Diener
von deren Befehl dependiren oder dependiret haben." — Er verfügte insbe¬
sondere das Einheften dieser Verfügung in die Landschaftsakten.

Ernst August trat mit dem Jahre 1740 in eine Periode von verhältniß-
'"äßig hoher Bedeutung für sein Reich; denn damals fiel ihm durch Erbschaft
der eisenacher Landestheil zu, dessen materielle Lage allerdings nicht viel
günstiger war, als die des weimarischen. Für das neue Erbe erkannte er
natürlich ebenso wenig die alten landständischen Rechte in deren ganzem Um¬
züge an. Er ging noch viel weniger nach Eisenach, um sich etwa als Landesherr»
5u zeigen. Aber trotz dieser ungünstigen Neigungen des Gebieters hatte das kleine
Eisenach eine mannhafte ständische Vertretung vor dem weimarischen Landes¬
theile voraus, die sich auch jetzt wieder bewährte und besonders in der In¬
telligenz Jenas sich stärkte. In Jena empfand man aufs bitterste, daß diese Miß-
Wirthschaft eines unfähigen Absolutismus nun auch in dem vererbten Landes¬
theile heimisch werden sollte. Zwei Jahre wartete man in Geduld, dann be¬
gann von Jena aus die Bewegung für die Wiedereinsetzung in den vorigen
Rechtsstaat. Wiederholtes Drängen aus dem nen erworbenen und dem alten
Landestheile zeigte dem Souverän gebieterisch, daß andere ihm sehr unliebsame
Bahnen eingeschlagen werden müßten. Der Herzog entschloß sich demgemäß,
^ freilich erst nach Jahren — einen allgemeinen Landtag für jedes der Fürsten-
Unner einzuberufen. Leider war es zu spät, um das begangene Unrecht gut
Zu machen: mitten in den Vorbereitungen zu dieser neuen Aerci segnete er das
Zeitliche.

Wenn man fragt, was durch den kindlichen Militarismus des Her¬
sogs erreicht war, so ist die einfache Antwort: der Ruin des Landes. Als
Ernst August die Augen geschlossen, da faßte man sich zusammen, um einmal
gründlich auszufegen: man hörte die bisher vertretenen Städte, die kleineren
Gemeinden, die übergangenen, und die bisher auf den Landtagen anwesende
Ritterschaft. Ein Bild des Entsetzens häufte sich an in den unbeschreiblich
trübseligen Veschwerdeschriften aus allen Bevolkernngsschichten. Es steht freilich
unzweifelhaft fest, daß die willkürliche und schlechte Gesetzgebung, die üble
Finanzwirthschaft und die falschen wirthschaftlichen Prinzipien das ihre zum
Ruin des Landes mit beigetragen hatten. Aber immerhin wäre der Verfall in
diesem Maße nicht möglich gewesen, wenn Ernst August den Landständen ihre
verfassungsmäßige Mitwirkung bei der Landesregierung gestattet hätte. Neben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/95>, abgerufen am 23.07.2024.