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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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lonen" des Kreuzchores -- nie auch nur eine Note von Johann Sebastian
^ach, geschweige denn von Christoph Bach gesungen, und jetzt wurden hinter
dem Rücken des Kantors solche Allotria getrieben! Glücklicherweise ging die
schwierige, zweichörige Motette zu seiner vollen Zufriedenheit, wegen der ent¬
führten Partitur wurde ohne Schwierigkeit Verzeihung gewährt, und da der
Sireich so gut gelungen war, so blieben wir nicht dabei stehen, sondern
Zagten uns fort und fort an Neues. Eine zweichörige Motette von VierUng,
deren Anfangsworte mir jetzt entfalten siud, Hnuptmauus "Salve Regina"
"ud eine Anzahl kleinerer Sachen von Hauptmann und Richter, die damals
Wenfalls ohne Vorwissen des Kantors enigeschmuggelt wurden, sind mir ans
^ner Zeit noch in frischer Erinnerung, das "Salve Regina" vor allein anch
deshalb, weil eines schönen Tages, nachdem wir es schon ein paar Mal in der
Kirche gesungen hatten und es von den Leuten immer wieder begehrt wurde,
der Superintendent in die Schule schickte, als es ebeu wieder angekündigt war,
l^eh den Text ausbat und dann die weitere Aufführung verbot, weil es "ein
katholisches Lied" sei, worauf wir natürlich nichts eiligeres zu thun hatten,
uns einen andern Text unterzulegen und es nnn dennoch zu singen. So
verlockte uns unser jugendlicher Novatoreneifer beinahe zur Renitenz gegen die
^he Kirchenbehörde. Wir fühlten uns eben gehoben durch die wachsende
Theilnahme des Publikums, vou Woche zu Woche füllten sich die Vespern mehr
u"d mehr, und das Beste bei der Sache war, daß unser trefflicher Kantor
Mißlich selber seine Freude an dem Treiben hatte und nnn auch wieder in
"en Kirchenmusiken, woran er schon lange nicht mehr gedacht hatte, uns
derlei neues brachte. An zwei schöne Chöre mit Orchester von Hauptmann:
"Und Gottes Will' ist dennoch gut" und "Nicht so ganz wirst meiner du ver¬
gessen" uieiß ich mich namentlich noch wohl zu erinnern.

Den größeren Theil unseres Repertoires beherrschte natürlich Otto mit
>einen eigenen Kompositionen, und wer als Präfekt sich seine Gunst erwerben
wollte, berücksichtigte vor allen ihn bei der Auswahl der Gesangstücke. Otto
war als Komponist ungemein fruchtbar. Was von seinen Kompositionen
gedruckt ist , bildet nur einen kleinen Bruchtheil dessen, was er geschaffen.
Konnte es ihm doch gelegentlich begegnen, daß er ein Lied, welches er vor
wahren geschrieben, später selber nicht sofort als sein Produkt wieder erkannte,
^is zählt in seiner "LioZiÄMs universelle 6e8 musieiens" eine Anzahl
seiner bis zum Jahre 1862 entstandenen Kompositionen auf, darunter auch
'Uehreres ungedruckte; er neunt drei Oratorien -- "Der Sieg des Heilandes",
"Hob", "Die Feier der Erlösten" zwei Opern -- "Das Schloß am Rhein"
und "Der Schlosser von Augsburg" --, mehrere Kirchenstücke, Klavierstücke
und Lieder. Otto selbst hat im "Sächsischen Schriftstellerlexikvu" 1875 ein


lonen" des Kreuzchores — nie auch nur eine Note von Johann Sebastian
^ach, geschweige denn von Christoph Bach gesungen, und jetzt wurden hinter
dem Rücken des Kantors solche Allotria getrieben! Glücklicherweise ging die
schwierige, zweichörige Motette zu seiner vollen Zufriedenheit, wegen der ent¬
führten Partitur wurde ohne Schwierigkeit Verzeihung gewährt, und da der
Sireich so gut gelungen war, so blieben wir nicht dabei stehen, sondern
Zagten uns fort und fort an Neues. Eine zweichörige Motette von VierUng,
deren Anfangsworte mir jetzt entfalten siud, Hnuptmauus „Salve Regina"
"ud eine Anzahl kleinerer Sachen von Hauptmann und Richter, die damals
Wenfalls ohne Vorwissen des Kantors enigeschmuggelt wurden, sind mir ans
^ner Zeit noch in frischer Erinnerung, das „Salve Regina" vor allein anch
deshalb, weil eines schönen Tages, nachdem wir es schon ein paar Mal in der
Kirche gesungen hatten und es von den Leuten immer wieder begehrt wurde,
der Superintendent in die Schule schickte, als es ebeu wieder angekündigt war,
l^eh den Text ausbat und dann die weitere Aufführung verbot, weil es „ein
katholisches Lied" sei, worauf wir natürlich nichts eiligeres zu thun hatten,
uns einen andern Text unterzulegen und es nnn dennoch zu singen. So
verlockte uns unser jugendlicher Novatoreneifer beinahe zur Renitenz gegen die
^he Kirchenbehörde. Wir fühlten uns eben gehoben durch die wachsende
Theilnahme des Publikums, vou Woche zu Woche füllten sich die Vespern mehr
u»d mehr, und das Beste bei der Sache war, daß unser trefflicher Kantor
Mißlich selber seine Freude an dem Treiben hatte und nnn auch wieder in
"en Kirchenmusiken, woran er schon lange nicht mehr gedacht hatte, uns
derlei neues brachte. An zwei schöne Chöre mit Orchester von Hauptmann:
"Und Gottes Will' ist dennoch gut" und „Nicht so ganz wirst meiner du ver¬
gessen" uieiß ich mich namentlich noch wohl zu erinnern.

Den größeren Theil unseres Repertoires beherrschte natürlich Otto mit
>einen eigenen Kompositionen, und wer als Präfekt sich seine Gunst erwerben
wollte, berücksichtigte vor allen ihn bei der Auswahl der Gesangstücke. Otto
war als Komponist ungemein fruchtbar. Was von seinen Kompositionen
gedruckt ist , bildet nur einen kleinen Bruchtheil dessen, was er geschaffen.
Konnte es ihm doch gelegentlich begegnen, daß er ein Lied, welches er vor
wahren geschrieben, später selber nicht sofort als sein Produkt wieder erkannte,
^is zählt in seiner „LioZiÄMs universelle 6e8 musieiens" eine Anzahl
seiner bis zum Jahre 1862 entstandenen Kompositionen auf, darunter auch
'Uehreres ungedruckte; er neunt drei Oratorien — „Der Sieg des Heilandes",
"Hob", „Die Feier der Erlösten" zwei Opern — „Das Schloß am Rhein"
und „Der Schlosser von Augsburg" —, mehrere Kirchenstücke, Klavierstücke
und Lieder. Otto selbst hat im „Sächsischen Schriftstellerlexikvu" 1875 ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/79>, abgerufen am 01.07.2024.