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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Schladebach unter dem Titel "Teutonia" literarisch-kritische Blätter für den
deutschen Mänuergesang heraus (Glaser in Schleusingen). Im Herbst 1875
legte er sein Amt nieder.

Der Verfasser dieser Zeilen hat das Glück gehabt, auf der Kreuzschule
eine Reihe von Jahren Otto's Schüler zu sein und auch später noch ihm öfter
M Leben zu begeguen. Die besten und frischesten Jahre seiner amtlichen
Thätigkeit lagen damals freilich schon hinter ihm. Die amtliche Stellung des
"Kantors" an einem so vortrefflichen Gesanginstitute, wie es ein durch ein soge¬
nanntes "Alumnat" oder "Alnmneum" beständig zusammengehaltener Kirchen-
chor ist, kann eine sehr bequeme werden, wenn ihr Inhaber mit den vorrückenden
wahren dazu neigt, sie sich bequem zu machen. Ein solcher Chor bietet ein
Material dar, so unfehlbar, so zuverlässig, so unverwüstlich, wie kein Gesang¬
verein der Welt. Ausgenommen werden nur stimmbegabte, musikalisch be-
^higte und auch bis zu einem gewissen Grade musikalisch vorgebildete
Knaben. Diese Neulinge wachsen, auch wenn man sich nicht im mindesten um
die weitere Ausbildung des Einzelnen sorgt, von selber in kurzer Zeit in den be¬
stehenden Stamm hinein. "Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen"
heißt es hier im eigentlichsten Sinne, und wenn der Kreis der von dem Chöre aufge¬
führten Gesangwerke kein allzuweiter ist, wenn mit einiger Regelmäßigkeit dieselben
^nate nach gewissen Zeiten wiederkehren, so bildet sich hier unausbleiblich eine
Tradition heraus, die schließlich keiner besonderen Pflege mehr bedarf, wenn
Uur die eine Klugheit geübt und bei der Auswahl des jüngeren Nachwuchses
^'sichtig verfahren wird. Alle derartigen Gesanginstitute haben eine solche
Tradition, ihr verdanken sie ihre Stärke, ja sie leben zum guten Theile davon.

> Zu meiner Zeit zehrte der Dresdner Kreuzchor schon fast ausschließlich
Kor der Tradition. Otto hatte sich allmählich in ein gemüthliches wisser
eingelebt und sich's bequem gemacht. Die Auswahl und das Studium
er an jedem Sonnabend in der "Vesper" aufzuführenden Gesangstücke war
en beiden "Präfekten" überlassen, die jede Woche mit einander abwechselten;
er Kreis der zur Aufführung gelangenden Musikstücke war allmählich immer
eschränkter geworden, ein Band "Motetten" und ein Bändchen "Arien" war
"6 ganze Material, mit dem jahraus, jahrein gewirthschaftet wurde, der
ganze Chor sang sie fast auswendig, und so war eigentlich nicht viel mehr zu
pur, als daß in den ersten Tagen jeder Woche die für die nächste "Vesper"
'estünmten Stücke unter der Leitung des Präfekten einmal durchgenommen
wurden; dann kam Donnerstags der Kantor und nahm eine Probe ab, in
^ er, oft mehr um uur irgend etwas bemerkt zu haben, ein paar kleine
Ausstellungen machte, eine oder die andere Stelle wiederholen ließ, damit
parer aber seine laufenden Amtsgeschüfte erledigt. War des Sonntags


Grenzboten II. 1377. 10

Schladebach unter dem Titel „Teutonia" literarisch-kritische Blätter für den
deutschen Mänuergesang heraus (Glaser in Schleusingen). Im Herbst 1875
legte er sein Amt nieder.

Der Verfasser dieser Zeilen hat das Glück gehabt, auf der Kreuzschule
eine Reihe von Jahren Otto's Schüler zu sein und auch später noch ihm öfter
M Leben zu begeguen. Die besten und frischesten Jahre seiner amtlichen
Thätigkeit lagen damals freilich schon hinter ihm. Die amtliche Stellung des
"Kantors" an einem so vortrefflichen Gesanginstitute, wie es ein durch ein soge¬
nanntes „Alumnat" oder „Alnmneum" beständig zusammengehaltener Kirchen-
chor ist, kann eine sehr bequeme werden, wenn ihr Inhaber mit den vorrückenden
wahren dazu neigt, sie sich bequem zu machen. Ein solcher Chor bietet ein
Material dar, so unfehlbar, so zuverlässig, so unverwüstlich, wie kein Gesang¬
verein der Welt. Ausgenommen werden nur stimmbegabte, musikalisch be-
^higte und auch bis zu einem gewissen Grade musikalisch vorgebildete
Knaben. Diese Neulinge wachsen, auch wenn man sich nicht im mindesten um
die weitere Ausbildung des Einzelnen sorgt, von selber in kurzer Zeit in den be¬
stehenden Stamm hinein. „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen"
heißt es hier im eigentlichsten Sinne, und wenn der Kreis der von dem Chöre aufge¬
führten Gesangwerke kein allzuweiter ist, wenn mit einiger Regelmäßigkeit dieselben
^nate nach gewissen Zeiten wiederkehren, so bildet sich hier unausbleiblich eine
Tradition heraus, die schließlich keiner besonderen Pflege mehr bedarf, wenn
Uur die eine Klugheit geübt und bei der Auswahl des jüngeren Nachwuchses
^'sichtig verfahren wird. Alle derartigen Gesanginstitute haben eine solche
Tradition, ihr verdanken sie ihre Stärke, ja sie leben zum guten Theile davon.

> Zu meiner Zeit zehrte der Dresdner Kreuzchor schon fast ausschließlich
Kor der Tradition. Otto hatte sich allmählich in ein gemüthliches wisser
eingelebt und sich's bequem gemacht. Die Auswahl und das Studium
er an jedem Sonnabend in der „Vesper" aufzuführenden Gesangstücke war
en beiden „Präfekten" überlassen, die jede Woche mit einander abwechselten;
er Kreis der zur Aufführung gelangenden Musikstücke war allmählich immer
eschränkter geworden, ein Band „Motetten" und ein Bändchen „Arien" war
"6 ganze Material, mit dem jahraus, jahrein gewirthschaftet wurde, der
ganze Chor sang sie fast auswendig, und so war eigentlich nicht viel mehr zu
pur, als daß in den ersten Tagen jeder Woche die für die nächste „Vesper"
'estünmten Stücke unter der Leitung des Präfekten einmal durchgenommen
wurden; dann kam Donnerstags der Kantor und nahm eine Probe ab, in
^ er, oft mehr um uur irgend etwas bemerkt zu haben, ein paar kleine
Ausstellungen machte, eine oder die andere Stelle wiederholen ließ, damit
parer aber seine laufenden Amtsgeschüfte erledigt. War des Sonntags


Grenzboten II. 1377. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/77>, abgerufen am 26.06.2024.