Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.Wer unsern kunstmäßigen Männergesang in seiner gemüthvoll naiven Ernst Julius Otto war geboren am 1. September 1804 in Königstein in- Wer unsern kunstmäßigen Männergesang in seiner gemüthvoll naiven Ernst Julius Otto war geboren am 1. September 1804 in Königstein in- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137777"/> <p xml:id="ID_172"> Wer unsern kunstmäßigen Männergesang in seiner gemüthvoll naiven<lb/> Periode kennen lernen will, der muß zurückgehen in die vierziger Jahre, in<lb/> die Zeit, wo Julius Otto's „Burschen- und Gesellenfahrten", die unsern heutigen<lb/> Liedertafeln kaum noch dem Namen nach bekannt sind, Mode waren, N'v<lb/> Otto's tiefempfundenes Lied „Das treue deutsche Herz" (Ich kenn' ein'n hellen<lb/> Edelstein), das uns leider heute schon etwas altväterisch und sentimental an-<lb/> muthet, in aller Munde lebte, Julius Otto selbst aber der Abgott aller Männer¬<lb/> gesangvereine war. Die heutige Generation hat kaum gewußt, daß der „Vater<lb/> des deutschen Männergesanges" bisher noch am Leben gewesen war, als die<lb/> Kunde kam, daß man ihn in der Frühe des 9. März in Dresden zur Ruhe<lb/> bestattet habe. Er hat das Loos derer getheilt, die, ohne Sterne erster Größe<lb/> zu sein, doch ihre Glanzzeit gehabt haben, in der sie populär waren, und denen<lb/> dann über die Zeit ihrer Popularität hinaus noch ein hohes Alter beschieden<lb/> war — das Loos, schon bei Lebzeiten halb und halb vergessen zu sein. Außer¬<lb/> halb Dresdens, wo er in den Kreisen des Münnergesanges noch fort und fort<lb/> gefeiert wurde, ist sein Name im Laufe des letzten Jahrzehntes wohl nur ver¬<lb/> einzelt noch genannt worden, auf den Konzertprogrammen unserer vornehmeren<lb/> Liedertafeln erschien er seltner und seltner, und dann mehr um der geschicht¬<lb/> liche Vollständigkeit willen, als aus wahrem Bedürfniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Ernst Julius Otto war geboren am 1. September 1804 in Königstein in-<lb/> ter sächsischen Schweiz, wo sein Vater Apotheker war. Mit zehn Jahren trat<lb/> er in den damals von Weinlig (Kantor 1814—1817) geleiteten Kreuzchvr in<lb/> Dresden ein und zeichnete sich hier durch seine hübsche Svpraustimme so ans,<lb/> daß er Solofänger wurde. Hier lernte er auch Orgel spielen, und Weinlig<lb/> selbst und später dessen Nachfolger Über (Kantor 1818—1822) führten ihn in<lb/> die Kompositionslehre ein; mit siebzehn Jahren schrieb er seine ersten Versuche,<lb/> Kantaten und Motetten. Seine entschiedene Neigung zur Kunst erregte auch<lb/> das Interesse Karl Maria v. Webers; auch dieser stand ihm mit Rath und<lb/> That bei und schenkte seinen Arbeiten Beachtung. Im Jahre 1822 bezog Otto<lb/> die Universität Leipzig, vertauschte aber bald das theologische Studium gM<lb/> und gar mit der Musik, wobei anfangs Schicht (Thomaskantor 1804-1823)<lb/> und nach dessen Tode der damalige Thomasorganist Pohlenz sein Lehrer war,<lb/> trat hier auch zuerst mit Kompositionen in die Oeffentlichkeit. Nach seiner<lb/> Rückkehr nach Dresden, 1825, ertheilte er Privatunterricht, fand dann zunächst<lb/> Anstellung als Klavier, und Gesanglehrer am „Blochmcmnschen Institut", und<lb/> als 1828 der Nachfolger Uber's am Krenzchor, Agthe, erkrankte, rückte er als<lb/> interimistischer, 1830 nach Agthe's Tode definitiv als Kantor und Musikdirektor<lb/> an der Kreuz-, Frauen- und Sophienkirche in dessen Stelle ein und hat sie-<lb/> fünfundvierzig Jahre lang bekleidet. Von 1846—1849 gab er im Verein mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Wer unsern kunstmäßigen Männergesang in seiner gemüthvoll naiven
Periode kennen lernen will, der muß zurückgehen in die vierziger Jahre, in
die Zeit, wo Julius Otto's „Burschen- und Gesellenfahrten", die unsern heutigen
Liedertafeln kaum noch dem Namen nach bekannt sind, Mode waren, N'v
Otto's tiefempfundenes Lied „Das treue deutsche Herz" (Ich kenn' ein'n hellen
Edelstein), das uns leider heute schon etwas altväterisch und sentimental an-
muthet, in aller Munde lebte, Julius Otto selbst aber der Abgott aller Männer¬
gesangvereine war. Die heutige Generation hat kaum gewußt, daß der „Vater
des deutschen Männergesanges" bisher noch am Leben gewesen war, als die
Kunde kam, daß man ihn in der Frühe des 9. März in Dresden zur Ruhe
bestattet habe. Er hat das Loos derer getheilt, die, ohne Sterne erster Größe
zu sein, doch ihre Glanzzeit gehabt haben, in der sie populär waren, und denen
dann über die Zeit ihrer Popularität hinaus noch ein hohes Alter beschieden
war — das Loos, schon bei Lebzeiten halb und halb vergessen zu sein. Außer¬
halb Dresdens, wo er in den Kreisen des Münnergesanges noch fort und fort
gefeiert wurde, ist sein Name im Laufe des letzten Jahrzehntes wohl nur ver¬
einzelt noch genannt worden, auf den Konzertprogrammen unserer vornehmeren
Liedertafeln erschien er seltner und seltner, und dann mehr um der geschicht¬
liche Vollständigkeit willen, als aus wahrem Bedürfniß.
Ernst Julius Otto war geboren am 1. September 1804 in Königstein in-
ter sächsischen Schweiz, wo sein Vater Apotheker war. Mit zehn Jahren trat
er in den damals von Weinlig (Kantor 1814—1817) geleiteten Kreuzchvr in
Dresden ein und zeichnete sich hier durch seine hübsche Svpraustimme so ans,
daß er Solofänger wurde. Hier lernte er auch Orgel spielen, und Weinlig
selbst und später dessen Nachfolger Über (Kantor 1818—1822) führten ihn in
die Kompositionslehre ein; mit siebzehn Jahren schrieb er seine ersten Versuche,
Kantaten und Motetten. Seine entschiedene Neigung zur Kunst erregte auch
das Interesse Karl Maria v. Webers; auch dieser stand ihm mit Rath und
That bei und schenkte seinen Arbeiten Beachtung. Im Jahre 1822 bezog Otto
die Universität Leipzig, vertauschte aber bald das theologische Studium gM
und gar mit der Musik, wobei anfangs Schicht (Thomaskantor 1804-1823)
und nach dessen Tode der damalige Thomasorganist Pohlenz sein Lehrer war,
trat hier auch zuerst mit Kompositionen in die Oeffentlichkeit. Nach seiner
Rückkehr nach Dresden, 1825, ertheilte er Privatunterricht, fand dann zunächst
Anstellung als Klavier, und Gesanglehrer am „Blochmcmnschen Institut", und
als 1828 der Nachfolger Uber's am Krenzchor, Agthe, erkrankte, rückte er als
interimistischer, 1830 nach Agthe's Tode definitiv als Kantor und Musikdirektor
an der Kreuz-, Frauen- und Sophienkirche in dessen Stelle ein und hat sie-
fünfundvierzig Jahre lang bekleidet. Von 1846—1849 gab er im Verein mit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |