Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Näherte man sich so mehr und mehr dem Augenblicke des Bruches mit
Frankreich, so empfand man in Breslau um so peinlicher die lange Verzöger¬
ung des Abschlusses mit Rußland. Freilich war Knesebeck, da er auf weitem
Umwege reiste, um unterwegs die Stellungen und die Stärke der Russen zu
erkunden, erst am 17. Abends in Klodawa bei Kalisch angelangt. Aber so
günstig wie er annahm, und wie es nach dem ersten Empfange beim Zaren
schien, war die Disposition des russischen Kabinets den preußischen Ideen
gegenüber mit nichten. Alexander wollte ganz Polen, und um Preußen zu
dieser Konzession zu bringen, ihm jeden Rückweg unmöglich zu machen, strebte
er, es zum schleunigen Bruche mit Frankreich zu treiben. Nicht ohne Argwohn
schrieb deshalb in Bezug auf diese russischen Ueberstürzungsversuche der König
an Hardenberg: "Es scheint, daß man uns "onde <M cones entrainiren und
kompromittiren will." (21. Febr.*)) Dein gegenüber war es, wollte man mit
dem Kaiser sich verständigen, ebensowohl nöthig, ihm Zugeständnisse in der
polnischen Sache zu machen, als jeden Versuch, Preußen mit Frankreich zu
überwerfen, entschieden abzuweisen. Das Zweite that Knesebeck, "indem er die
Zumuthungen, Preußen möge sofort losschlagen, ohne das Bündniß erst abzu¬
warten, und Bülow sich mit Wittgenstein vereinigen, bestimmt ablehnte**); im
ersten Punkte dagegen hat er sich offenbar zu starr und unnachgiebig erwiesen.
Zunächst freilich traten, die polnischen Pläne Alexanders nur verhüllt hervor,
indem er gleich zuerst als Entschädigung Sachsen anbot, freilich ohne zu sagen,
wofür; indeß war im Grnnde klar, daß dies kein Tauschobjekt für deutsche
Lande Preußens sein könne, deren Wiedererwerbung dem russischen Interesse
nicht entgegen lief***). Knesebeck sah dies nicht, sondern berichtete (18. Febr.)
nach Breslau so, als ob dem preußischen Entwürfe nichts entgegenstehe, und
deshalb begriff Hardenberg die Zögerung nicht, drängte ungeduldig zur Zeicb/
mung des Vertrags. (21. Februar.'!)) Erst am 22. legten die Russen ihren
Gegeuentwnrf vor: er setzte an Stelle des Prinzips der einfachen Wiederher¬
stellung Preußens das sehr dehnbare der Entschädigung. Statt nun sofort
diese Wendung nach Breslau zu melden, arbeitete Knesebeck einen zweiten Ent¬
wurf aus, der wieder den gestimmten altpreußischen Besitz in Polen (mit Aus¬
nahme des 1807 an Rußland abgetretenen Bezirks von Bialystoy für Preuße"
reklamirte und nur für die deutschen Lande das Prinzip der Entschädigung
annahm. **) Gleichzeitig meldete er -- aber erst am 25. Februar -- die Lage







*) Oncken 244.
**) Oncken 241 ff.
***) Oncken 24S. Ueber frühere Gedanken Alexanders in dieser Riesen,," s. Banken a. a.i
f) Oncken 246 f.
ff) Oncken 2S6 f. 2S7.

Näherte man sich so mehr und mehr dem Augenblicke des Bruches mit
Frankreich, so empfand man in Breslau um so peinlicher die lange Verzöger¬
ung des Abschlusses mit Rußland. Freilich war Knesebeck, da er auf weitem
Umwege reiste, um unterwegs die Stellungen und die Stärke der Russen zu
erkunden, erst am 17. Abends in Klodawa bei Kalisch angelangt. Aber so
günstig wie er annahm, und wie es nach dem ersten Empfange beim Zaren
schien, war die Disposition des russischen Kabinets den preußischen Ideen
gegenüber mit nichten. Alexander wollte ganz Polen, und um Preußen zu
dieser Konzession zu bringen, ihm jeden Rückweg unmöglich zu machen, strebte
er, es zum schleunigen Bruche mit Frankreich zu treiben. Nicht ohne Argwohn
schrieb deshalb in Bezug auf diese russischen Ueberstürzungsversuche der König
an Hardenberg: „Es scheint, daß man uns «onde <M cones entrainiren und
kompromittiren will." (21. Febr.*)) Dein gegenüber war es, wollte man mit
dem Kaiser sich verständigen, ebensowohl nöthig, ihm Zugeständnisse in der
polnischen Sache zu machen, als jeden Versuch, Preußen mit Frankreich zu
überwerfen, entschieden abzuweisen. Das Zweite that Knesebeck, "indem er die
Zumuthungen, Preußen möge sofort losschlagen, ohne das Bündniß erst abzu¬
warten, und Bülow sich mit Wittgenstein vereinigen, bestimmt ablehnte**); im
ersten Punkte dagegen hat er sich offenbar zu starr und unnachgiebig erwiesen.
Zunächst freilich traten, die polnischen Pläne Alexanders nur verhüllt hervor,
indem er gleich zuerst als Entschädigung Sachsen anbot, freilich ohne zu sagen,
wofür; indeß war im Grnnde klar, daß dies kein Tauschobjekt für deutsche
Lande Preußens sein könne, deren Wiedererwerbung dem russischen Interesse
nicht entgegen lief***). Knesebeck sah dies nicht, sondern berichtete (18. Febr.)
nach Breslau so, als ob dem preußischen Entwürfe nichts entgegenstehe, und
deshalb begriff Hardenberg die Zögerung nicht, drängte ungeduldig zur Zeicb/
mung des Vertrags. (21. Februar.'!)) Erst am 22. legten die Russen ihren
Gegeuentwnrf vor: er setzte an Stelle des Prinzips der einfachen Wiederher¬
stellung Preußens das sehr dehnbare der Entschädigung. Statt nun sofort
diese Wendung nach Breslau zu melden, arbeitete Knesebeck einen zweiten Ent¬
wurf aus, der wieder den gestimmten altpreußischen Besitz in Polen (mit Aus¬
nahme des 1807 an Rußland abgetretenen Bezirks von Bialystoy für Preuße«
reklamirte und nur für die deutschen Lande das Prinzip der Entschädigung
annahm. **) Gleichzeitig meldete er — aber erst am 25. Februar — die Lage







*) Oncken 244.
**) Oncken 241 ff.
***) Oncken 24S. Ueber frühere Gedanken Alexanders in dieser Riesen,,» s. Banken a. a.i
f) Oncken 246 f.
ff) Oncken 2S6 f. 2S7.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137773"/>
          <p xml:id="ID_166" next="#ID_167"> Näherte man sich so mehr und mehr dem Augenblicke des Bruches mit<lb/>
Frankreich, so empfand man in Breslau um so peinlicher die lange Verzöger¬<lb/>
ung des Abschlusses mit Rußland. Freilich war Knesebeck, da er auf weitem<lb/>
Umwege reiste, um unterwegs die Stellungen und die Stärke der Russen zu<lb/>
erkunden, erst am 17. Abends in Klodawa bei Kalisch angelangt.  Aber so<lb/>
günstig wie er annahm, und wie es nach dem ersten Empfange beim Zaren<lb/>
schien, war die Disposition des russischen Kabinets den preußischen Ideen<lb/>
gegenüber mit nichten. Alexander wollte ganz Polen, und um Preußen zu<lb/>
dieser Konzession zu bringen, ihm jeden Rückweg unmöglich zu machen, strebte<lb/>
er, es zum schleunigen Bruche mit Frankreich zu treiben. Nicht ohne Argwohn<lb/>
schrieb deshalb in Bezug auf diese russischen Ueberstürzungsversuche der König<lb/>
an Hardenberg: &#x201E;Es scheint, daß man uns «onde &lt;M cones entrainiren und<lb/>
kompromittiren will."  (21. Febr.*)) Dein gegenüber war es, wollte man mit<lb/>
dem Kaiser sich verständigen, ebensowohl nöthig, ihm Zugeständnisse in der<lb/>
polnischen Sache zu machen, als jeden Versuch, Preußen mit Frankreich zu<lb/>
überwerfen, entschieden abzuweisen. Das Zweite that Knesebeck, "indem er die<lb/>
Zumuthungen, Preußen möge sofort losschlagen, ohne das Bündniß erst abzu¬<lb/>
warten, und Bülow sich mit Wittgenstein vereinigen, bestimmt ablehnte**); im<lb/>
ersten Punkte dagegen hat er sich offenbar zu starr und unnachgiebig erwiesen.<lb/>
Zunächst freilich traten, die polnischen Pläne Alexanders nur verhüllt hervor,<lb/>
indem er gleich zuerst als Entschädigung Sachsen anbot, freilich ohne zu sagen,<lb/>
wofür; indeß war im Grnnde klar, daß dies kein Tauschobjekt für deutsche<lb/>
Lande Preußens sein könne, deren Wiedererwerbung dem russischen Interesse<lb/>
nicht entgegen lief***). Knesebeck sah dies nicht, sondern berichtete (18. Febr.)<lb/>
nach Breslau so, als ob dem preußischen Entwürfe nichts entgegenstehe, und<lb/>
deshalb begriff Hardenberg die Zögerung nicht, drängte ungeduldig zur Zeicb/<lb/>
mung des Vertrags. (21. Februar.'!)) Erst am 22. legten die Russen ihren<lb/>
Gegeuentwnrf vor: er setzte an Stelle des Prinzips der einfachen Wiederher¬<lb/>
stellung Preußens das sehr dehnbare der Entschädigung.  Statt nun sofort<lb/>
diese Wendung nach Breslau zu melden, arbeitete Knesebeck einen zweiten Ent¬<lb/>
wurf aus, der wieder den gestimmten altpreußischen Besitz in Polen (mit Aus¬<lb/>
nahme des 1807 an Rußland abgetretenen Bezirks von Bialystoy für Preuße«<lb/>
reklamirte und nur für die deutschen Lande das Prinzip der Entschädigung<lb/>
annahm. **) Gleichzeitig meldete er &#x2014; aber erst am 25. Februar &#x2014; die Lage</p><lb/>
          <note xml:id="FID_79" place="foot"> *) Oncken 244.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_80" place="foot"> **) Oncken 241 ff.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_81" place="foot"> ***) Oncken 24S. Ueber frühere Gedanken Alexanders in dieser Riesen,,» s. Banken a. a.i</note><lb/>
          <note xml:id="FID_82" place="foot"> f) Oncken 246 f.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_83" place="foot"> ff) Oncken 2S6 f. 2S7.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] Näherte man sich so mehr und mehr dem Augenblicke des Bruches mit Frankreich, so empfand man in Breslau um so peinlicher die lange Verzöger¬ ung des Abschlusses mit Rußland. Freilich war Knesebeck, da er auf weitem Umwege reiste, um unterwegs die Stellungen und die Stärke der Russen zu erkunden, erst am 17. Abends in Klodawa bei Kalisch angelangt. Aber so günstig wie er annahm, und wie es nach dem ersten Empfange beim Zaren schien, war die Disposition des russischen Kabinets den preußischen Ideen gegenüber mit nichten. Alexander wollte ganz Polen, und um Preußen zu dieser Konzession zu bringen, ihm jeden Rückweg unmöglich zu machen, strebte er, es zum schleunigen Bruche mit Frankreich zu treiben. Nicht ohne Argwohn schrieb deshalb in Bezug auf diese russischen Ueberstürzungsversuche der König an Hardenberg: „Es scheint, daß man uns «onde <M cones entrainiren und kompromittiren will." (21. Febr.*)) Dein gegenüber war es, wollte man mit dem Kaiser sich verständigen, ebensowohl nöthig, ihm Zugeständnisse in der polnischen Sache zu machen, als jeden Versuch, Preußen mit Frankreich zu überwerfen, entschieden abzuweisen. Das Zweite that Knesebeck, "indem er die Zumuthungen, Preußen möge sofort losschlagen, ohne das Bündniß erst abzu¬ warten, und Bülow sich mit Wittgenstein vereinigen, bestimmt ablehnte**); im ersten Punkte dagegen hat er sich offenbar zu starr und unnachgiebig erwiesen. Zunächst freilich traten, die polnischen Pläne Alexanders nur verhüllt hervor, indem er gleich zuerst als Entschädigung Sachsen anbot, freilich ohne zu sagen, wofür; indeß war im Grnnde klar, daß dies kein Tauschobjekt für deutsche Lande Preußens sein könne, deren Wiedererwerbung dem russischen Interesse nicht entgegen lief***). Knesebeck sah dies nicht, sondern berichtete (18. Febr.) nach Breslau so, als ob dem preußischen Entwürfe nichts entgegenstehe, und deshalb begriff Hardenberg die Zögerung nicht, drängte ungeduldig zur Zeicb/ mung des Vertrags. (21. Februar.'!)) Erst am 22. legten die Russen ihren Gegeuentwnrf vor: er setzte an Stelle des Prinzips der einfachen Wiederher¬ stellung Preußens das sehr dehnbare der Entschädigung. Statt nun sofort diese Wendung nach Breslau zu melden, arbeitete Knesebeck einen zweiten Ent¬ wurf aus, der wieder den gestimmten altpreußischen Besitz in Polen (mit Aus¬ nahme des 1807 an Rußland abgetretenen Bezirks von Bialystoy für Preuße« reklamirte und nur für die deutschen Lande das Prinzip der Entschädigung annahm. **) Gleichzeitig meldete er — aber erst am 25. Februar — die Lage *) Oncken 244. **) Oncken 241 ff. ***) Oncken 24S. Ueber frühere Gedanken Alexanders in dieser Riesen,,» s. Banken a. a.i f) Oncken 246 f. ff) Oncken 2S6 f. 2S7.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/72>, abgerufen am 29.06.2024.