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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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nach Breslau und warnte vor den russischen Absichten auf Ostpreußen, von
denen damals schwerlich mehr die Rede war. Als dann am selben Tage der
Brief Hardenbergs vom 21. und ein neuer dringenderer vom 23. bei Knese-
beck einliefen, wiederholte er in einem zweiten Schreiben seine Warnung aufs
dringendste und verantwortete sich selbst wegen seines Verfahrens, wies auch
auf die Abreise Steins nach Breslau hin, dein er eine Wirksamkeit im russischen
Sinne zutraute. Die Absendung dieses zweiten Briefes aber verzögerte er bis
zum 26. früh, da der russische Kanzler Nesselrode ihn darum bat, mit der
Motivirung, der Kaiser wolle ihn spreche,:. Als nun Knesebeck zu dieser
Audienz dennoch nicht aufgefordert wurde, sandte er sein Schreiben ab, ohne
sie abzuwarten.*)

Man kauu sich kaum des Verdachtes erwehren, daß die Russen mit Absicht
diese Verzögerung herbeigeführt haben, um sich uicht aufs neue ihre Bahnen
kreuzen zu lassen. Aber auf der audern Seite wird man ihnen nicht verargen,
wenn sie, verzweifelnd, mit dem zähen Knesebeck zum Ziele zu kommen, über
seinen Kopf hinweg zum Abschluß zu gelaugen suchten. Auf Steins Rath**)
sandte der Zar ihn und den Geheimen Staatsrath Anstatt nach Breslau. Sie kamen
dort am 25. an; da Stein gleich darauf erkrankte, fielen die Unterhandlungen Anstatt
allein zu.***) Der Eindruck, deu das von ihm überbrachte Schreiben des Zaren
(24. Februar) auf den König machte, war um so stärker, als das Breslauer
Kabinet höchst gereizt war durch die rücksichtslosen Requisitionen der Fran¬
zosen um die von ihnen besetzten Festungen und dnrch das Ausbleiben jeder
Antwort von Paris her.f) Zudem war am 21. Februar Graf Dohna mit
den Beschlüssen des Königsbergs Landtages eingetroffen, und York meldete die
großartige Erhebung der Provinz. Es war in der That schlechterdings un¬
möglich, noch länger in der Schwebe zu verharren, und daher durchaus richtig,
>"eun der König bereits am Morgen des 26. Februar die Genehmigung des
russischen Vertmgsentwnrfes aussprach. Und doch hat anch Knesebeck seinen
Alttheil an diesem Abschlüsse gehabt. Denn ans die Anregung seines am
Abende desselben Tages eingegangenen Briefes werden die beiden wichtigen
Zusätze zurückzuführen sein, welche Hardenberg dein russischen Entwürfe ein-
fügte. Der erste bestimmt, das bei der neuen Territorialgestaltnng Preußens
Wischer seinen verschiedenen Provinzen "der Zusammenhang und die Abrund-
ung, welche nothwendig sind, um einen unabhängigen Staatskörper zu bilden",






*) Oncken 2SK ff.
**
) Schon dies beweist, daß das starre Auftreten Knesebecks für die Interessen Preußens
durchaus nicht nöthig war.
**
*) Oncken 249 ff. Duncker 497 f.
f) Duncker 496 f.

nach Breslau und warnte vor den russischen Absichten auf Ostpreußen, von
denen damals schwerlich mehr die Rede war. Als dann am selben Tage der
Brief Hardenbergs vom 21. und ein neuer dringenderer vom 23. bei Knese-
beck einliefen, wiederholte er in einem zweiten Schreiben seine Warnung aufs
dringendste und verantwortete sich selbst wegen seines Verfahrens, wies auch
auf die Abreise Steins nach Breslau hin, dein er eine Wirksamkeit im russischen
Sinne zutraute. Die Absendung dieses zweiten Briefes aber verzögerte er bis
zum 26. früh, da der russische Kanzler Nesselrode ihn darum bat, mit der
Motivirung, der Kaiser wolle ihn spreche,:. Als nun Knesebeck zu dieser
Audienz dennoch nicht aufgefordert wurde, sandte er sein Schreiben ab, ohne
sie abzuwarten.*)

Man kauu sich kaum des Verdachtes erwehren, daß die Russen mit Absicht
diese Verzögerung herbeigeführt haben, um sich uicht aufs neue ihre Bahnen
kreuzen zu lassen. Aber auf der audern Seite wird man ihnen nicht verargen,
wenn sie, verzweifelnd, mit dem zähen Knesebeck zum Ziele zu kommen, über
seinen Kopf hinweg zum Abschluß zu gelaugen suchten. Auf Steins Rath**)
sandte der Zar ihn und den Geheimen Staatsrath Anstatt nach Breslau. Sie kamen
dort am 25. an; da Stein gleich darauf erkrankte, fielen die Unterhandlungen Anstatt
allein zu.***) Der Eindruck, deu das von ihm überbrachte Schreiben des Zaren
(24. Februar) auf den König machte, war um so stärker, als das Breslauer
Kabinet höchst gereizt war durch die rücksichtslosen Requisitionen der Fran¬
zosen um die von ihnen besetzten Festungen und dnrch das Ausbleiben jeder
Antwort von Paris her.f) Zudem war am 21. Februar Graf Dohna mit
den Beschlüssen des Königsbergs Landtages eingetroffen, und York meldete die
großartige Erhebung der Provinz. Es war in der That schlechterdings un¬
möglich, noch länger in der Schwebe zu verharren, und daher durchaus richtig,
>"eun der König bereits am Morgen des 26. Februar die Genehmigung des
russischen Vertmgsentwnrfes aussprach. Und doch hat anch Knesebeck seinen
Alttheil an diesem Abschlüsse gehabt. Denn ans die Anregung seines am
Abende desselben Tages eingegangenen Briefes werden die beiden wichtigen
Zusätze zurückzuführen sein, welche Hardenberg dein russischen Entwürfe ein-
fügte. Der erste bestimmt, das bei der neuen Territorialgestaltnng Preußens
Wischer seinen verschiedenen Provinzen „der Zusammenhang und die Abrund-
ung, welche nothwendig sind, um einen unabhängigen Staatskörper zu bilden",






*) Oncken 2SK ff.
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) Schon dies beweist, daß das starre Auftreten Knesebecks für die Interessen Preußens
durchaus nicht nöthig war.
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[0073] nach Breslau und warnte vor den russischen Absichten auf Ostpreußen, von denen damals schwerlich mehr die Rede war. Als dann am selben Tage der Brief Hardenbergs vom 21. und ein neuer dringenderer vom 23. bei Knese- beck einliefen, wiederholte er in einem zweiten Schreiben seine Warnung aufs dringendste und verantwortete sich selbst wegen seines Verfahrens, wies auch auf die Abreise Steins nach Breslau hin, dein er eine Wirksamkeit im russischen Sinne zutraute. Die Absendung dieses zweiten Briefes aber verzögerte er bis zum 26. früh, da der russische Kanzler Nesselrode ihn darum bat, mit der Motivirung, der Kaiser wolle ihn spreche,:. Als nun Knesebeck zu dieser Audienz dennoch nicht aufgefordert wurde, sandte er sein Schreiben ab, ohne sie abzuwarten.*) Man kauu sich kaum des Verdachtes erwehren, daß die Russen mit Absicht diese Verzögerung herbeigeführt haben, um sich uicht aufs neue ihre Bahnen kreuzen zu lassen. Aber auf der audern Seite wird man ihnen nicht verargen, wenn sie, verzweifelnd, mit dem zähen Knesebeck zum Ziele zu kommen, über seinen Kopf hinweg zum Abschluß zu gelaugen suchten. Auf Steins Rath**) sandte der Zar ihn und den Geheimen Staatsrath Anstatt nach Breslau. Sie kamen dort am 25. an; da Stein gleich darauf erkrankte, fielen die Unterhandlungen Anstatt allein zu.***) Der Eindruck, deu das von ihm überbrachte Schreiben des Zaren (24. Februar) auf den König machte, war um so stärker, als das Breslauer Kabinet höchst gereizt war durch die rücksichtslosen Requisitionen der Fran¬ zosen um die von ihnen besetzten Festungen und dnrch das Ausbleiben jeder Antwort von Paris her.f) Zudem war am 21. Februar Graf Dohna mit den Beschlüssen des Königsbergs Landtages eingetroffen, und York meldete die großartige Erhebung der Provinz. Es war in der That schlechterdings un¬ möglich, noch länger in der Schwebe zu verharren, und daher durchaus richtig, >"eun der König bereits am Morgen des 26. Februar die Genehmigung des russischen Vertmgsentwnrfes aussprach. Und doch hat anch Knesebeck seinen Alttheil an diesem Abschlüsse gehabt. Denn ans die Anregung seines am Abende desselben Tages eingegangenen Briefes werden die beiden wichtigen Zusätze zurückzuführen sein, welche Hardenberg dein russischen Entwürfe ein- fügte. Der erste bestimmt, das bei der neuen Territorialgestaltnng Preußens Wischer seinen verschiedenen Provinzen „der Zusammenhang und die Abrund- ung, welche nothwendig sind, um einen unabhängigen Staatskörper zu bilden", *) Oncken 2SK ff. ** ) Schon dies beweist, daß das starre Auftreten Knesebecks für die Interessen Preußens durchaus nicht nöthig war. ** *) Oncken 249 ff. Duncker 497 f. f) Duncker 496 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/73>, abgerufen am 26.06.2024.