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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Festigkeit ein schwankendes Rohr war, wenn der Wind der Volksgunst seine
eitle, beifallsgierige Seele anwehte, und daß er dann nicht nur sich, sondern
auch Andere mit pomphaften Reden täuschte.

Ein Beweis hierfür ist der Gipfelpunkt dieser Agitatious- und Triumph-
reise, das Stiftungsfest des Vereins, welches am 22. Mai in Ronsdorf gefeiert
wurde. Begleitet von einigen zwanzig Wagen, näherte er sich der Grenze des
Ortes, wo ihn eine Art Ehrenpforte mit der Inschrift: "Willkommen dem Dr.
Ferdinand Lassalle!" und ein Blumenregen aus den Händen von Arbeiter-
müdchen empfingen. Tausende von Arbeitern aus Solingen und Wermels-
kirchen waren zu seiner Begrüßung herbeigekommen, jubelten ihm zu und be¬
gleiteten den Wagenzug in das Dorf hinein. Die Rede aber, die er ihnen
dort hielt, sticht wie Tag von Nacht ab von jenem todtmüden, verzweifelten
Briefe vom 14. Februar. Mit Emphase gedenkt er der erreichten Ergebnisse,
des bereitwilligen Entgegenkommens, der raschen Verbreitung, welche der Verein
in allen deutschen Städten und Ländern von den größten bis zu den kleinste"
gefunden. Stolzerfüllt macht er geltend, daß "die glänzendsten Vertreter
deutscher Wissenschaft, die ruhmvollsten Namen, vor denen sich selbst der
Staatsanwalt und der Richter in Verehrung beugen würden, ihm mündlich
und schriftlich die höchste Anerkennung und die begeistertste Sympathie für
sein Buch Bastiat-Schulze ausgesprochen." Und nun fährt er fort: "Ich will
Euch aber jetzt einen Beweis vorlegen, der alles Bisherige noch bei Weitem
übersteigt. Ich werde jetzt einen Namen nennen, der vor jedem rheinischen Ge¬
richtshof nicht mehr mit Verehrung wie jene andern Namen, sondern nur mit
der höchsten Ehrfurcht wird genannt werden können. Vor Kurzem hat sich
niemand anders als ein Diener und Fürst der Kirche, der Bischof von Mainz,
Freiherr v. Ketteler, in seinem Gewissen gedrungen gesehen, seinerseits das
Wort in der Arbeiterfrage zu ergreifen. Es ist dies ein Mann, der am Rhein
sast für einen Heiligen gilt, ein Mann, der sich seit langen Jahren mit ge¬
lehrten Forschungen abgegeben. Er hat ein Buch veröffentlicht: Die Arbeiter¬
frage und das Christenthum, und hier hat er sich Punkt für Punkt für alle
meine ökonomischen Sätze und Thesen den Fortschrittlern gegenüber ausge¬
sprochen." Daß ein Geist wie Lassalle aus Eitelkeit und Berechnung so tief
sinken konnte! Wer hätte selbst nach dem Bisherigen glauben mögen, von den
Lippen eines nichts weniger als Kirchlichen diese Klimax von der Verehrung
für die großen Männer der Wissenschaft bis hinauf -- es ist überaus wider¬
lich! -- zur Ehrfurcht vor dem schlauen Pfaffen im Bischofsornate zu hören!
Wer hätte gefürchtet, sehen zu müssen, wie ein früher so ehrlicher Charakter
sich so weit wegwarf, daß er auf die Einfalt des großen Haufens spekulirte,
der den Vorkämpfer der Jesuiten, der Verdummung und des ultramontanen


Festigkeit ein schwankendes Rohr war, wenn der Wind der Volksgunst seine
eitle, beifallsgierige Seele anwehte, und daß er dann nicht nur sich, sondern
auch Andere mit pomphaften Reden täuschte.

Ein Beweis hierfür ist der Gipfelpunkt dieser Agitatious- und Triumph-
reise, das Stiftungsfest des Vereins, welches am 22. Mai in Ronsdorf gefeiert
wurde. Begleitet von einigen zwanzig Wagen, näherte er sich der Grenze des
Ortes, wo ihn eine Art Ehrenpforte mit der Inschrift: „Willkommen dem Dr.
Ferdinand Lassalle!" und ein Blumenregen aus den Händen von Arbeiter-
müdchen empfingen. Tausende von Arbeitern aus Solingen und Wermels-
kirchen waren zu seiner Begrüßung herbeigekommen, jubelten ihm zu und be¬
gleiteten den Wagenzug in das Dorf hinein. Die Rede aber, die er ihnen
dort hielt, sticht wie Tag von Nacht ab von jenem todtmüden, verzweifelten
Briefe vom 14. Februar. Mit Emphase gedenkt er der erreichten Ergebnisse,
des bereitwilligen Entgegenkommens, der raschen Verbreitung, welche der Verein
in allen deutschen Städten und Ländern von den größten bis zu den kleinste»
gefunden. Stolzerfüllt macht er geltend, daß „die glänzendsten Vertreter
deutscher Wissenschaft, die ruhmvollsten Namen, vor denen sich selbst der
Staatsanwalt und der Richter in Verehrung beugen würden, ihm mündlich
und schriftlich die höchste Anerkennung und die begeistertste Sympathie für
sein Buch Bastiat-Schulze ausgesprochen." Und nun fährt er fort: „Ich will
Euch aber jetzt einen Beweis vorlegen, der alles Bisherige noch bei Weitem
übersteigt. Ich werde jetzt einen Namen nennen, der vor jedem rheinischen Ge¬
richtshof nicht mehr mit Verehrung wie jene andern Namen, sondern nur mit
der höchsten Ehrfurcht wird genannt werden können. Vor Kurzem hat sich
niemand anders als ein Diener und Fürst der Kirche, der Bischof von Mainz,
Freiherr v. Ketteler, in seinem Gewissen gedrungen gesehen, seinerseits das
Wort in der Arbeiterfrage zu ergreifen. Es ist dies ein Mann, der am Rhein
sast für einen Heiligen gilt, ein Mann, der sich seit langen Jahren mit ge¬
lehrten Forschungen abgegeben. Er hat ein Buch veröffentlicht: Die Arbeiter¬
frage und das Christenthum, und hier hat er sich Punkt für Punkt für alle
meine ökonomischen Sätze und Thesen den Fortschrittlern gegenüber ausge¬
sprochen." Daß ein Geist wie Lassalle aus Eitelkeit und Berechnung so tief
sinken konnte! Wer hätte selbst nach dem Bisherigen glauben mögen, von den
Lippen eines nichts weniger als Kirchlichen diese Klimax von der Verehrung
für die großen Männer der Wissenschaft bis hinauf — es ist überaus wider¬
lich! — zur Ehrfurcht vor dem schlauen Pfaffen im Bischofsornate zu hören!
Wer hätte gefürchtet, sehen zu müssen, wie ein früher so ehrlicher Charakter
sich so weit wegwarf, daß er auf die Einfalt des großen Haufens spekulirte,
der den Vorkämpfer der Jesuiten, der Verdummung und des ultramontanen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/500>, abgerufen am 23.07.2024.