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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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richteten sich endlich selbst gegen den Präsidenten desselben. Der Haß der
Dummheit gegen Bildung und Wissen, die Rechthaberei und Vordringlichkeit
der Kleinen am Geiste, welche die Demokratie überhaupt charakterisiren und
dem heutigen deutschen Kommunismus einen so garstigen Zug aufprägen,
traten schon damals deutlich hervor. Das unerquicklichste Beispiel hiervon
lieferte der Sekretär des Vereins. Vahlteich war im Oktober 1863 von Leip¬
zig nach Berlin gezogen, wo er täglich mit Lassalle verkehrte, ohne daß er
dessen Grundgedanken und Ziele begreifen lernte. So drang gerade er am
Eifrigsten auf Decentralisation, d. h. auf den Zerfall des Vereins, und da er
damit selbstverständlich keinen Beifall fand, legte er entrüstet sein Amt nieder
und begab sich gen Dresden, wo er gegen den Präsidenten und für eine un¬
abhängigere Stellung zu wühlen begann. Lassalle legte dieser Opposition An¬
fangs keine Bedeutung bei, halb scherzend klagte er über die Schererei, die
ihm "der unnütze Mensch" verursache. Aber der Vizepräsident Dämmer
schrieb bedenklich: "Vahlteich ist sehr unzufrieden mit Ihnen. Er ist ein sehr
stolzer Mann, der es nicht vertragen kann, daß man seine Ansichten und
Handlungen nicht als unbedingt weise betrachtet," und Lassalle mußte schlie߬
lich eine dicke Broschüre schreiben, an die Ausstoßung des stolzen Fußbe¬
kleidungskünstlers aus dem Vereine durchzusetzen, -- man denke, der Verfasser
des "HeraW" zu guter Letzt Verfasser einer Schrift über Karl Julius
Vahlteich!

Sehr viel trug zu der immer wieder aufflammenden Zwietracht im Ver¬
eine bei, daß derselbe nach Außen hin sehr wenig Erfolg hatte. Zwar er¬
reichte die riesige Kraftanstrengung des Agitators, daß außerhalb Berlin's die
Zahl seiner Anhänger langsam wuchs, aber dies geschah doch nur etwa in
dem Verhältnisse, daß da, wo er von Zehntausend geträumt, zu Anfang 1864
einige Hunderte existirten. Im Zusammenhange mit der geringen Zunahme
des Vereins standen seine zerrütteten Finanzen. Selbst die äußersten Bemü¬
hungen Lassalle's vermochten keine Ordnung in die Kassenverhältnisse zu brin¬
gen. Unzählbar waren die Mahn- und Drohbriefe, die er an seine Bevoll¬
mächtigten richtete, auch schonte er sein Privatvermögen nicht und unterstützte
namentlich die wenigen Blättchen, die seine Fahne hochhielten, mit namhaften
Beitrügen. Alles vergeblich. Die meisten Mitglieder blieben säumige Zahler,
und, was an Geldern einging, nahmen die Bevollmächtigten als Entschädigung
für ihre durch die Agitation verloren gegangene Arbeitszeit in Anspruch. Ohne
Erfolg erinnerte Lassalle sie daran, daß sie mit einem Ehrenposten betraut
seien, und daß sie aus Liebe zu ihrem Stande, nicht aber für Bezahlung
wirken müßten. Dergleichen Redensarten mochten ihm, dem Wohlsituirten, sehr
natürlich vorkommen, einfachen Arbeitern waren sie nicht verständlich.


richteten sich endlich selbst gegen den Präsidenten desselben. Der Haß der
Dummheit gegen Bildung und Wissen, die Rechthaberei und Vordringlichkeit
der Kleinen am Geiste, welche die Demokratie überhaupt charakterisiren und
dem heutigen deutschen Kommunismus einen so garstigen Zug aufprägen,
traten schon damals deutlich hervor. Das unerquicklichste Beispiel hiervon
lieferte der Sekretär des Vereins. Vahlteich war im Oktober 1863 von Leip¬
zig nach Berlin gezogen, wo er täglich mit Lassalle verkehrte, ohne daß er
dessen Grundgedanken und Ziele begreifen lernte. So drang gerade er am
Eifrigsten auf Decentralisation, d. h. auf den Zerfall des Vereins, und da er
damit selbstverständlich keinen Beifall fand, legte er entrüstet sein Amt nieder
und begab sich gen Dresden, wo er gegen den Präsidenten und für eine un¬
abhängigere Stellung zu wühlen begann. Lassalle legte dieser Opposition An¬
fangs keine Bedeutung bei, halb scherzend klagte er über die Schererei, die
ihm „der unnütze Mensch" verursache. Aber der Vizepräsident Dämmer
schrieb bedenklich: „Vahlteich ist sehr unzufrieden mit Ihnen. Er ist ein sehr
stolzer Mann, der es nicht vertragen kann, daß man seine Ansichten und
Handlungen nicht als unbedingt weise betrachtet," und Lassalle mußte schlie߬
lich eine dicke Broschüre schreiben, an die Ausstoßung des stolzen Fußbe¬
kleidungskünstlers aus dem Vereine durchzusetzen, — man denke, der Verfasser
des „HeraW" zu guter Letzt Verfasser einer Schrift über Karl Julius
Vahlteich!

Sehr viel trug zu der immer wieder aufflammenden Zwietracht im Ver¬
eine bei, daß derselbe nach Außen hin sehr wenig Erfolg hatte. Zwar er¬
reichte die riesige Kraftanstrengung des Agitators, daß außerhalb Berlin's die
Zahl seiner Anhänger langsam wuchs, aber dies geschah doch nur etwa in
dem Verhältnisse, daß da, wo er von Zehntausend geträumt, zu Anfang 1864
einige Hunderte existirten. Im Zusammenhange mit der geringen Zunahme
des Vereins standen seine zerrütteten Finanzen. Selbst die äußersten Bemü¬
hungen Lassalle's vermochten keine Ordnung in die Kassenverhältnisse zu brin¬
gen. Unzählbar waren die Mahn- und Drohbriefe, die er an seine Bevoll¬
mächtigten richtete, auch schonte er sein Privatvermögen nicht und unterstützte
namentlich die wenigen Blättchen, die seine Fahne hochhielten, mit namhaften
Beitrügen. Alles vergeblich. Die meisten Mitglieder blieben säumige Zahler,
und, was an Geldern einging, nahmen die Bevollmächtigten als Entschädigung
für ihre durch die Agitation verloren gegangene Arbeitszeit in Anspruch. Ohne
Erfolg erinnerte Lassalle sie daran, daß sie mit einem Ehrenposten betraut
seien, und daß sie aus Liebe zu ihrem Stande, nicht aber für Bezahlung
wirken müßten. Dergleichen Redensarten mochten ihm, dem Wohlsituirten, sehr
natürlich vorkommen, einfachen Arbeitern waren sie nicht verständlich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/498>, abgerufen am 23.07.2024.