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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Wie hart man auch über Lassalle urtheilen mag, weil er von Außen eine
Bewegung in den Arbeiterstand trug, für welche dieser noch kein Verständniß
hatte, seine Schuld wird durch das Schicksal gesühnt, welches ihm gerade die¬
jenigen bereiteten, für deren Interesse allein er zu arbeiten und zu kämpfen
behauptete. Es war eine Folge der bittersten Erfahrungen, wenn er in der
Erwiderung auf eine Besprechung seines Bastian-Schulze in der "Kreuzzeitung"
ausrief: "Ich bin ti r Erste, zu erklären, daß keine soziale Verbesserung der
Mühe werth wäre, wenn nach derselben die Arbeiter persönlich das blieben,
was sie in ihrer großen Mehrheit hente sind." Wir haben im vorigen Ab¬
schnitt nach Mehring, dem wir im Nachstehenden ausschließlich folgen, bereits
erwähnt, daß sich unter den Bevollmächtigten und Vorstandsmitgliedern des
allgemeinen deutschen Arbeitervereins kaum einer befand, welcher die Pläne
Lassalle's zu würdigen verstanden hätte. Es waren gutmüthige Enthusiasten,
hohlköpfige Schwätzer, Ehrgeizige, die bei andern Parteien ihre Rechnung nicht
gefunden hatten und deßhalb abgefallen waren, Querkopfe, die um jeden Preis
eine Rolle spielen wollten; bisweilen vermischten sich in einem der Herren
alle diese Eigenschaften zu einer sehr komischen Natur. Ohne Aufhören hatte
Lassalle mit ihren Thorheiten seine Noth. Wollten sie ihren Eifer an den
Tag legen, so geriethen sie oft auf die wunderlichsten Einfälle, und er hatte
Bogen voll zu schreiben, um die Blasen zu zerstören, die im Wasser dieser
Gehirne aufgestiegen waren. Am Häufigsten richteten sich ihre Vorschläge
gegen die Organisation des Vereins als einer Einheit, die ihm nach Außen
allein noch einiges Ansehen gab, und auf eine Auflösung desselben in örtliche
Gruppen, wo man weniger behindert war, Politik auf eigne Faust zu treiben.
Schlimmer war und blieb der persönliche Zank und Hader, der von Anfang
an unter den Größen zweiten Ranges herrschte, und bei dem sie einander die
unerfreulichsten Dinge vorwerfen konnten. Als sich zum Exempel der in Frank¬
furt lebende v. Schweitzer der Bewegung anschloß, drohten die dortigen Mit¬
glieder des Vereins offen mit Abfall, wenn jener -- dem man allerdings eine
widernatürliche und unreinliche Passion nachsagte -- in ihren Versammlungen
erschiene, und erst als Lassalle die Kabinetsfrage stellte, fügten sie sich grollend.
Aber die Aufgeregtheit gegen v. Schweitzer blieb, und Lassalle, der diesen wegen
seiner Talente schätzte, konnte ihn nicht so verwenden, wie er wünschte. Ver¬
drießlich schrieb er im April 1864 an Dämmer: "Sollten in unserm Verein
Reibungen, Kleinlichkeiten, Intriguen, Streitigkeiten in Fortschrittlerweise um
sich greifen, so würde ich -- ich bin ohnehin des Ekels voll, sehr voll! --
mein Amt sofort niederlegen und es den Herren überlassen, sich unter einander
zu zanken."

Trotzdem griffen Neid und Zanksucht weiter um sich im Verein und


Wie hart man auch über Lassalle urtheilen mag, weil er von Außen eine
Bewegung in den Arbeiterstand trug, für welche dieser noch kein Verständniß
hatte, seine Schuld wird durch das Schicksal gesühnt, welches ihm gerade die¬
jenigen bereiteten, für deren Interesse allein er zu arbeiten und zu kämpfen
behauptete. Es war eine Folge der bittersten Erfahrungen, wenn er in der
Erwiderung auf eine Besprechung seines Bastian-Schulze in der „Kreuzzeitung"
ausrief: „Ich bin ti r Erste, zu erklären, daß keine soziale Verbesserung der
Mühe werth wäre, wenn nach derselben die Arbeiter persönlich das blieben,
was sie in ihrer großen Mehrheit hente sind." Wir haben im vorigen Ab¬
schnitt nach Mehring, dem wir im Nachstehenden ausschließlich folgen, bereits
erwähnt, daß sich unter den Bevollmächtigten und Vorstandsmitgliedern des
allgemeinen deutschen Arbeitervereins kaum einer befand, welcher die Pläne
Lassalle's zu würdigen verstanden hätte. Es waren gutmüthige Enthusiasten,
hohlköpfige Schwätzer, Ehrgeizige, die bei andern Parteien ihre Rechnung nicht
gefunden hatten und deßhalb abgefallen waren, Querkopfe, die um jeden Preis
eine Rolle spielen wollten; bisweilen vermischten sich in einem der Herren
alle diese Eigenschaften zu einer sehr komischen Natur. Ohne Aufhören hatte
Lassalle mit ihren Thorheiten seine Noth. Wollten sie ihren Eifer an den
Tag legen, so geriethen sie oft auf die wunderlichsten Einfälle, und er hatte
Bogen voll zu schreiben, um die Blasen zu zerstören, die im Wasser dieser
Gehirne aufgestiegen waren. Am Häufigsten richteten sich ihre Vorschläge
gegen die Organisation des Vereins als einer Einheit, die ihm nach Außen
allein noch einiges Ansehen gab, und auf eine Auflösung desselben in örtliche
Gruppen, wo man weniger behindert war, Politik auf eigne Faust zu treiben.
Schlimmer war und blieb der persönliche Zank und Hader, der von Anfang
an unter den Größen zweiten Ranges herrschte, und bei dem sie einander die
unerfreulichsten Dinge vorwerfen konnten. Als sich zum Exempel der in Frank¬
furt lebende v. Schweitzer der Bewegung anschloß, drohten die dortigen Mit¬
glieder des Vereins offen mit Abfall, wenn jener — dem man allerdings eine
widernatürliche und unreinliche Passion nachsagte — in ihren Versammlungen
erschiene, und erst als Lassalle die Kabinetsfrage stellte, fügten sie sich grollend.
Aber die Aufgeregtheit gegen v. Schweitzer blieb, und Lassalle, der diesen wegen
seiner Talente schätzte, konnte ihn nicht so verwenden, wie er wünschte. Ver¬
drießlich schrieb er im April 1864 an Dämmer: „Sollten in unserm Verein
Reibungen, Kleinlichkeiten, Intriguen, Streitigkeiten in Fortschrittlerweise um
sich greifen, so würde ich — ich bin ohnehin des Ekels voll, sehr voll! —
mein Amt sofort niederlegen und es den Herren überlassen, sich unter einander
zu zanken."

Trotzdem griffen Neid und Zanksucht weiter um sich im Verein und


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[0497] Wie hart man auch über Lassalle urtheilen mag, weil er von Außen eine Bewegung in den Arbeiterstand trug, für welche dieser noch kein Verständniß hatte, seine Schuld wird durch das Schicksal gesühnt, welches ihm gerade die¬ jenigen bereiteten, für deren Interesse allein er zu arbeiten und zu kämpfen behauptete. Es war eine Folge der bittersten Erfahrungen, wenn er in der Erwiderung auf eine Besprechung seines Bastian-Schulze in der „Kreuzzeitung" ausrief: „Ich bin ti r Erste, zu erklären, daß keine soziale Verbesserung der Mühe werth wäre, wenn nach derselben die Arbeiter persönlich das blieben, was sie in ihrer großen Mehrheit hente sind." Wir haben im vorigen Ab¬ schnitt nach Mehring, dem wir im Nachstehenden ausschließlich folgen, bereits erwähnt, daß sich unter den Bevollmächtigten und Vorstandsmitgliedern des allgemeinen deutschen Arbeitervereins kaum einer befand, welcher die Pläne Lassalle's zu würdigen verstanden hätte. Es waren gutmüthige Enthusiasten, hohlköpfige Schwätzer, Ehrgeizige, die bei andern Parteien ihre Rechnung nicht gefunden hatten und deßhalb abgefallen waren, Querkopfe, die um jeden Preis eine Rolle spielen wollten; bisweilen vermischten sich in einem der Herren alle diese Eigenschaften zu einer sehr komischen Natur. Ohne Aufhören hatte Lassalle mit ihren Thorheiten seine Noth. Wollten sie ihren Eifer an den Tag legen, so geriethen sie oft auf die wunderlichsten Einfälle, und er hatte Bogen voll zu schreiben, um die Blasen zu zerstören, die im Wasser dieser Gehirne aufgestiegen waren. Am Häufigsten richteten sich ihre Vorschläge gegen die Organisation des Vereins als einer Einheit, die ihm nach Außen allein noch einiges Ansehen gab, und auf eine Auflösung desselben in örtliche Gruppen, wo man weniger behindert war, Politik auf eigne Faust zu treiben. Schlimmer war und blieb der persönliche Zank und Hader, der von Anfang an unter den Größen zweiten Ranges herrschte, und bei dem sie einander die unerfreulichsten Dinge vorwerfen konnten. Als sich zum Exempel der in Frank¬ furt lebende v. Schweitzer der Bewegung anschloß, drohten die dortigen Mit¬ glieder des Vereins offen mit Abfall, wenn jener — dem man allerdings eine widernatürliche und unreinliche Passion nachsagte — in ihren Versammlungen erschiene, und erst als Lassalle die Kabinetsfrage stellte, fügten sie sich grollend. Aber die Aufgeregtheit gegen v. Schweitzer blieb, und Lassalle, der diesen wegen seiner Talente schätzte, konnte ihn nicht so verwenden, wie er wünschte. Ver¬ drießlich schrieb er im April 1864 an Dämmer: „Sollten in unserm Verein Reibungen, Kleinlichkeiten, Intriguen, Streitigkeiten in Fortschrittlerweise um sich greifen, so würde ich — ich bin ohnehin des Ekels voll, sehr voll! — mein Amt sofort niederlegen und es den Herren überlassen, sich unter einander zu zanken." Trotzdem griffen Neid und Zanksucht weiter um sich im Verein und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/497>, abgerufen am 23.07.2024.