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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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unfähig gemacht. Ihre wohl ausgerüsteten Korps verwandelten sich zum
Theil in waffenlose, elende Scharen, ein ungeheures Material ging verloren,
v. Werber's Armee hatte, als der Kampf gegen die Republik begann, keine so
verlustreichen Schlachten hinter sich als die Kameraden im Westen Frankreichs,
aber zum großen Theile die Anstrengungen der Belagerung Straßburg's. Sie
kam weniger geschwächt als jene an den neuen Feind. Aber vom Gefechte bei
nuits an waren ihr Loos unnnterbrochne Scharmützel, weite Märsche auf schwie¬
rigem Terrain, höchst aufreibender Vorpostendienst und die Spannung, welche
die Isolirung mit sich bringt, v. Manteuffel traf mit seiner Armee auf einen
schon geschlagner Feind, ihm aber traten die Hindernisse entgegen, welche tief
verschneite, froststarrende Gebirge bieten. Die Nothwendigkeit weiter, gewagter
Märsche und die Schwierigkeit, seine Truppen genügend zu versorgen, er¬
schwerten ihm den Sieg. Dennoch blieb dieser auch hier nicht aus. "Weder
die Begeisterung für das Vaterland und die Republik, noch Gcunbetta's Energie,
noch die militärischen Naturanlagen des Franzosen, die niemand leugnen kann,
hatten Frankreich zu retten vermocht. Die Armee ließ nnr Elend und Trümmer
hinter sich." Sehr wesentlich haben zu diesem Ausgange die nothwendigen
Schwächen beigetragen, die ein Heer von Milizen schon bei seinem Entstehen
in sich trägt. Diese Milizen waren recht gut disziplinirt, ausgerüstet und be¬
waffnet. Sie zeigten sich tapfer. ANein fast alle Offiziere und die große
Mehrzahl der Mannschaften kannten das Leben einer großen Armee im
Felde gar nicht, und das führte zu Reibungen und zu einer Unbehilflichkeit,
welche um so verderblicher wurde, je größere Massen man auf einer Stelle
vereinigte.

"In den improvisirten Heeren Gambetta's arbeitete eine unzählige Menge
von Kräften durcheinander, jede für sich vielleicht mit dem besten Willen, aber
doch nicht auf ein und dasselbe Ziel hin. Alles wurde damit erschwert, die
Befehlsleitung sowohl wie die Ausführung. In den unteren Sphären kannte
man die Absichten der Generale nicht, diese wieder waren im Unklaren über
die Ideen der Regierung. Vom Kriege und der Kriegsführung existirten keine
festen, durch lange Uebung und Gewohnheit sicher erworbenen Vorstellungen.
Wo der einzelne Unterführer selbständig handelte, paßte daher sein Thun
nicht in das große Ganze hinein. An die strengste Centralisation gewöhnt,
wartete meist jedermann ab, bis das, was er thun sollte, von oben her be¬
fohlen wurde. Daher kam die Armee immer uur ruckweise in Bewegung; es
fehlte der Zusammenhang, die Stetigkeit in ihren Bewegungen. Weil Alles
durch den Oberbefehlshaber selbst bis ins Kleinste geordnet werden mußte,
dauerten die Vorbereitungen unendlich lange. Ueber dasjenige, was geschehen
sollte, mußten die höheren Offiziere die niedern, diese die Mannschaften erst


unfähig gemacht. Ihre wohl ausgerüsteten Korps verwandelten sich zum
Theil in waffenlose, elende Scharen, ein ungeheures Material ging verloren,
v. Werber's Armee hatte, als der Kampf gegen die Republik begann, keine so
verlustreichen Schlachten hinter sich als die Kameraden im Westen Frankreichs,
aber zum großen Theile die Anstrengungen der Belagerung Straßburg's. Sie
kam weniger geschwächt als jene an den neuen Feind. Aber vom Gefechte bei
nuits an waren ihr Loos unnnterbrochne Scharmützel, weite Märsche auf schwie¬
rigem Terrain, höchst aufreibender Vorpostendienst und die Spannung, welche
die Isolirung mit sich bringt, v. Manteuffel traf mit seiner Armee auf einen
schon geschlagner Feind, ihm aber traten die Hindernisse entgegen, welche tief
verschneite, froststarrende Gebirge bieten. Die Nothwendigkeit weiter, gewagter
Märsche und die Schwierigkeit, seine Truppen genügend zu versorgen, er¬
schwerten ihm den Sieg. Dennoch blieb dieser auch hier nicht aus. „Weder
die Begeisterung für das Vaterland und die Republik, noch Gcunbetta's Energie,
noch die militärischen Naturanlagen des Franzosen, die niemand leugnen kann,
hatten Frankreich zu retten vermocht. Die Armee ließ nnr Elend und Trümmer
hinter sich." Sehr wesentlich haben zu diesem Ausgange die nothwendigen
Schwächen beigetragen, die ein Heer von Milizen schon bei seinem Entstehen
in sich trägt. Diese Milizen waren recht gut disziplinirt, ausgerüstet und be¬
waffnet. Sie zeigten sich tapfer. ANein fast alle Offiziere und die große
Mehrzahl der Mannschaften kannten das Leben einer großen Armee im
Felde gar nicht, und das führte zu Reibungen und zu einer Unbehilflichkeit,
welche um so verderblicher wurde, je größere Massen man auf einer Stelle
vereinigte.

„In den improvisirten Heeren Gambetta's arbeitete eine unzählige Menge
von Kräften durcheinander, jede für sich vielleicht mit dem besten Willen, aber
doch nicht auf ein und dasselbe Ziel hin. Alles wurde damit erschwert, die
Befehlsleitung sowohl wie die Ausführung. In den unteren Sphären kannte
man die Absichten der Generale nicht, diese wieder waren im Unklaren über
die Ideen der Regierung. Vom Kriege und der Kriegsführung existirten keine
festen, durch lange Uebung und Gewohnheit sicher erworbenen Vorstellungen.
Wo der einzelne Unterführer selbständig handelte, paßte daher sein Thun
nicht in das große Ganze hinein. An die strengste Centralisation gewöhnt,
wartete meist jedermann ab, bis das, was er thun sollte, von oben her be¬
fohlen wurde. Daher kam die Armee immer uur ruckweise in Bewegung; es
fehlte der Zusammenhang, die Stetigkeit in ihren Bewegungen. Weil Alles
durch den Oberbefehlshaber selbst bis ins Kleinste geordnet werden mußte,
dauerten die Vorbereitungen unendlich lange. Ueber dasjenige, was geschehen
sollte, mußten die höheren Offiziere die niedern, diese die Mannschaften erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/491>, abgerufen am 23.07.2024.