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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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weitläufig belehren. Die einzelnen Glieder der militärischen Hierarchie wirkten
nach einander, nicht gleichzeitig wie in einer Linienarmee. Als das Heer größer
wurde, brauchten die Befehle mehr Zeit und blieben häufiger an einzelnen
Stellen ganz aus. Das strafte sich jedesmal durch Zeitverlust oder völlige
Uuthntigkeit der betroffnen Theile. Im Jahre 1870 war es für den franzö¬
sischen Offizier, der das nicht gethan, was man von ihm erwartete, noch eine
vollgiltige Entschuldigung, wenn er angab, das Betreffende sei ihm nicht be¬
fohlen worden. In der deutschen Armee Hütte niemand einen solchen Einwand
gelten lassen, der das Versehen vielmehr in ein schlimmeres Licht stellt. Be¬
kam ein deutsches Korps keinen Befehl, so durfte es darum noch nicht stehen
bleiben. Der Korpskommandeur that dann auf eigue Verantwortung das¬
jenige, was ihm geeignet schien, um den ihm bekannten allgemeinen Zweck zu
erreichen. Kauute er den Willen des Oberbefehlshabers nicht genau, so suchte
er ihn nach Kräften zu errathen und dem entsprechend zu handeln. Das ist
um so leichter, je einfachere Gedanken der Kriegführung zu Grunde gelegt
werden. Ju langer, sorgsam verfahrender Friedensschule hatte sich die Ueber¬
einstimmung in den Ideen über den Krieg herausgebildet. Gewisse Aufgaben,
die im Felde täglich vorkommen, lösen alle preußischen Offiziere nach ähnlichen
Prinzipien, während sich doch die Individualität in der Nncmeirung der Art
und Weise geltend macht. Schon der eine große charakteristische Zug unsrer
Strategie: die Offensive gegen den Punkt, wo die feindliche Hauptarmee steht,
sorgte für die Einheit des Handels; denn damit war allen Theilen des Heeres
schon die jedesmal zu verfolgende Richtung gegeben." "Diese Selbständigkeit
jedes Führers und jedes Offiziers, die im Frieden sorgsam ausgebildet worden
war, und die dnrch eine gleichmäßige militärische Bildung doch wieder insoweit
gemeinsam geleitet und beschränkt wurde, daß sie nicht zur Regellosigkeit aus¬
artete, hat am Meisten zu den glänzenden Erfolgen beigetragen." "Diese Ein¬
heit und Kontinuität, dieses fachmäßige, ja man möchte sagen, geschäftsmäßige
Handeln ist der sehr wesentliche Vortheil, den eine gute Linieuarmee vor jeder
Milizarmee voraus hat."

"Dann aber erzieht der tüchtige Friedensdienst den wichtigsten Faktor von
allen: die Hingebung an die allgemeine Sache, das Pflichtgefühl. Ohne
Zweifel kann ein Offizier oder Soldat, der den Degen zum ersten Male trägt,
sich ebenso tapfer erweisen als der altgediente, und dennoch wird er trotz seines
Muthes nicht Gleiches leisten, weil er nicht gelernt hat, sich selbst zu vergessen,
und weil persönliche Eindrücke, persönliche Interessen ihn eher beherrschen. Er
sieht Schwierigkeiten, die ihm unübersteiglich scheinen, während der Berufssoldat
gewöhnt ist, daß auch dergleichen Hemmnisse überwunden werden müssen, wenn
ßs befohlen wird. Er ahnt und fürchtet Gefahren, welche auf deu Soldaten


weitläufig belehren. Die einzelnen Glieder der militärischen Hierarchie wirkten
nach einander, nicht gleichzeitig wie in einer Linienarmee. Als das Heer größer
wurde, brauchten die Befehle mehr Zeit und blieben häufiger an einzelnen
Stellen ganz aus. Das strafte sich jedesmal durch Zeitverlust oder völlige
Uuthntigkeit der betroffnen Theile. Im Jahre 1870 war es für den franzö¬
sischen Offizier, der das nicht gethan, was man von ihm erwartete, noch eine
vollgiltige Entschuldigung, wenn er angab, das Betreffende sei ihm nicht be¬
fohlen worden. In der deutschen Armee Hütte niemand einen solchen Einwand
gelten lassen, der das Versehen vielmehr in ein schlimmeres Licht stellt. Be¬
kam ein deutsches Korps keinen Befehl, so durfte es darum noch nicht stehen
bleiben. Der Korpskommandeur that dann auf eigue Verantwortung das¬
jenige, was ihm geeignet schien, um den ihm bekannten allgemeinen Zweck zu
erreichen. Kauute er den Willen des Oberbefehlshabers nicht genau, so suchte
er ihn nach Kräften zu errathen und dem entsprechend zu handeln. Das ist
um so leichter, je einfachere Gedanken der Kriegführung zu Grunde gelegt
werden. Ju langer, sorgsam verfahrender Friedensschule hatte sich die Ueber¬
einstimmung in den Ideen über den Krieg herausgebildet. Gewisse Aufgaben,
die im Felde täglich vorkommen, lösen alle preußischen Offiziere nach ähnlichen
Prinzipien, während sich doch die Individualität in der Nncmeirung der Art
und Weise geltend macht. Schon der eine große charakteristische Zug unsrer
Strategie: die Offensive gegen den Punkt, wo die feindliche Hauptarmee steht,
sorgte für die Einheit des Handels; denn damit war allen Theilen des Heeres
schon die jedesmal zu verfolgende Richtung gegeben." „Diese Selbständigkeit
jedes Führers und jedes Offiziers, die im Frieden sorgsam ausgebildet worden
war, und die dnrch eine gleichmäßige militärische Bildung doch wieder insoweit
gemeinsam geleitet und beschränkt wurde, daß sie nicht zur Regellosigkeit aus¬
artete, hat am Meisten zu den glänzenden Erfolgen beigetragen." „Diese Ein¬
heit und Kontinuität, dieses fachmäßige, ja man möchte sagen, geschäftsmäßige
Handeln ist der sehr wesentliche Vortheil, den eine gute Linieuarmee vor jeder
Milizarmee voraus hat."

„Dann aber erzieht der tüchtige Friedensdienst den wichtigsten Faktor von
allen: die Hingebung an die allgemeine Sache, das Pflichtgefühl. Ohne
Zweifel kann ein Offizier oder Soldat, der den Degen zum ersten Male trägt,
sich ebenso tapfer erweisen als der altgediente, und dennoch wird er trotz seines
Muthes nicht Gleiches leisten, weil er nicht gelernt hat, sich selbst zu vergessen,
und weil persönliche Eindrücke, persönliche Interessen ihn eher beherrschen. Er
sieht Schwierigkeiten, die ihm unübersteiglich scheinen, während der Berufssoldat
gewöhnt ist, daß auch dergleichen Hemmnisse überwunden werden müssen, wenn
ßs befohlen wird. Er ahnt und fürchtet Gefahren, welche auf deu Soldaten


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[0492] weitläufig belehren. Die einzelnen Glieder der militärischen Hierarchie wirkten nach einander, nicht gleichzeitig wie in einer Linienarmee. Als das Heer größer wurde, brauchten die Befehle mehr Zeit und blieben häufiger an einzelnen Stellen ganz aus. Das strafte sich jedesmal durch Zeitverlust oder völlige Uuthntigkeit der betroffnen Theile. Im Jahre 1870 war es für den franzö¬ sischen Offizier, der das nicht gethan, was man von ihm erwartete, noch eine vollgiltige Entschuldigung, wenn er angab, das Betreffende sei ihm nicht be¬ fohlen worden. In der deutschen Armee Hütte niemand einen solchen Einwand gelten lassen, der das Versehen vielmehr in ein schlimmeres Licht stellt. Be¬ kam ein deutsches Korps keinen Befehl, so durfte es darum noch nicht stehen bleiben. Der Korpskommandeur that dann auf eigue Verantwortung das¬ jenige, was ihm geeignet schien, um den ihm bekannten allgemeinen Zweck zu erreichen. Kauute er den Willen des Oberbefehlshabers nicht genau, so suchte er ihn nach Kräften zu errathen und dem entsprechend zu handeln. Das ist um so leichter, je einfachere Gedanken der Kriegführung zu Grunde gelegt werden. Ju langer, sorgsam verfahrender Friedensschule hatte sich die Ueber¬ einstimmung in den Ideen über den Krieg herausgebildet. Gewisse Aufgaben, die im Felde täglich vorkommen, lösen alle preußischen Offiziere nach ähnlichen Prinzipien, während sich doch die Individualität in der Nncmeirung der Art und Weise geltend macht. Schon der eine große charakteristische Zug unsrer Strategie: die Offensive gegen den Punkt, wo die feindliche Hauptarmee steht, sorgte für die Einheit des Handels; denn damit war allen Theilen des Heeres schon die jedesmal zu verfolgende Richtung gegeben." „Diese Selbständigkeit jedes Führers und jedes Offiziers, die im Frieden sorgsam ausgebildet worden war, und die dnrch eine gleichmäßige militärische Bildung doch wieder insoweit gemeinsam geleitet und beschränkt wurde, daß sie nicht zur Regellosigkeit aus¬ artete, hat am Meisten zu den glänzenden Erfolgen beigetragen." „Diese Ein¬ heit und Kontinuität, dieses fachmäßige, ja man möchte sagen, geschäftsmäßige Handeln ist der sehr wesentliche Vortheil, den eine gute Linieuarmee vor jeder Milizarmee voraus hat." „Dann aber erzieht der tüchtige Friedensdienst den wichtigsten Faktor von allen: die Hingebung an die allgemeine Sache, das Pflichtgefühl. Ohne Zweifel kann ein Offizier oder Soldat, der den Degen zum ersten Male trägt, sich ebenso tapfer erweisen als der altgediente, und dennoch wird er trotz seines Muthes nicht Gleiches leisten, weil er nicht gelernt hat, sich selbst zu vergessen, und weil persönliche Eindrücke, persönliche Interessen ihn eher beherrschen. Er sieht Schwierigkeiten, die ihm unübersteiglich scheinen, während der Berufssoldat gewöhnt ist, daß auch dergleichen Hemmnisse überwunden werden müssen, wenn ßs befohlen wird. Er ahnt und fürchtet Gefahren, welche auf deu Soldaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/492>, abgerufen am 23.07.2024.