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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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ebenso viel Eifer als Unwissenheit vertretene Meinung. Der Krieg unter
Gambetta's Diktatur hat sie noch einmal auf das Gründlichste widerlegt.

L6on Gamvetta's Lvirearmee ist das beste Milizheer gewesen, das je
existirte. Weniger gut, aber immer noch besser als ähnliche Aufgebote in
älterer Zeit war die Ostarmee, die unter Bourbaki zuletzt in die Schweiz ge¬
trieben wurde. Der jugendliche Diktator war kein Phrasenheld und haschte
nicht nach Volksgunst wie viele der Männer von 1791. Er kannte ferner das
Volk zu gut, um an freiwillige Leistungen desselben im großen Maßstabe zu
glauben, und so zwang er Frankreich kurz und bündig durch Befehle. Dann
aber schritt er ohne Scheu zur Herstellung strenger Mannszucht, die dann
rücksichtslos angewendet wurde, obwohl sie den Beifall der Menge sicher nicht
hatte. Thatsächlich herrschte denn auch in der Loirearmee weit größere Dis¬
ziplin als in allen früheren auf ähnliche Weise geschaffnen Heeren. Ihre Aus¬
rüstung sodann war völlig ausreichend. Die Gefechte der Novembertage sowie
die Kämpfe zu Anfang des Dezember bewiesen, daß sich die jungen Truppen
wohl zu schlagen wußten, und daß die Bemühungen ihrer Führer, sie praktisch
verwendbar zu machen, Erfolg gehabt hatten. Allein jemehr man dieser
Milizarmee, die dort schließlich doch zu Grunde ging, Gerechtigkeit wider¬
fahren läßt, desto stärker spricht gerade dieses Beispiel für den Werth der
stehenden Heere.

"Schon das Gesammtresultat der hier geschilderten Feldzüge ist der beste
Beweis für diese Behauptung; denn trotz eines Gambetta, der sicherlich nicht
überall gefunden werden wird, wo man ihn braucht, scheiterten die gestimmten
kriegerischen Anstrengungen, welche mehr als zwanzig Millionen Franzosen
zur Befreiung ihrer Hauptstadt und ihres Vaterlandes machten, drei Monate
lang an zwei Armeen, die in keinem Augenblicke mehr als 70,000 und
35,000 Mann Infanterie zählten. Als dann eine dritte Heeresgruppe von nur
zwei Armeekorps hinzutrat, war die völlige Niederlage der Republik entschie¬
den." Die Truppen des Prinzen Friedrich Karl und des Großherzogs von
Mecklenburg hatten, als sie auf die Loirearmee trafen, schon einen beschwer¬
lichen Feldzug hinter sich. Der Feind ersetzte durch seine Zahl das, was ihm
an militärischen Eigenschaften abging. Die große Frontausdehnung forderte
einen sehr anstrengenden Vorpostendienst. Nach jeder Niederlage konnten sich
die Franzosen dnrch frische Mannschaften ergänzen, während bei den Deutschen
weder Ersatz an Menschen noch an Proviant und Munition zur Genüge heran¬
kam. Die Bekleidung, namentlich das Schuhwerk, befand sich schon Anfang
Dezember in der traurigsten Verfassung. Und dennoch bestanden diese Sol¬
daten auch diese Probe. Die Loirearmee wurde geschlagen, in getrennten
Gruppen bis zu fernen Schlupfwinkeln zurückgedrängt und ans Wochen kämpf-


ebenso viel Eifer als Unwissenheit vertretene Meinung. Der Krieg unter
Gambetta's Diktatur hat sie noch einmal auf das Gründlichste widerlegt.

L6on Gamvetta's Lvirearmee ist das beste Milizheer gewesen, das je
existirte. Weniger gut, aber immer noch besser als ähnliche Aufgebote in
älterer Zeit war die Ostarmee, die unter Bourbaki zuletzt in die Schweiz ge¬
trieben wurde. Der jugendliche Diktator war kein Phrasenheld und haschte
nicht nach Volksgunst wie viele der Männer von 1791. Er kannte ferner das
Volk zu gut, um an freiwillige Leistungen desselben im großen Maßstabe zu
glauben, und so zwang er Frankreich kurz und bündig durch Befehle. Dann
aber schritt er ohne Scheu zur Herstellung strenger Mannszucht, die dann
rücksichtslos angewendet wurde, obwohl sie den Beifall der Menge sicher nicht
hatte. Thatsächlich herrschte denn auch in der Loirearmee weit größere Dis¬
ziplin als in allen früheren auf ähnliche Weise geschaffnen Heeren. Ihre Aus¬
rüstung sodann war völlig ausreichend. Die Gefechte der Novembertage sowie
die Kämpfe zu Anfang des Dezember bewiesen, daß sich die jungen Truppen
wohl zu schlagen wußten, und daß die Bemühungen ihrer Führer, sie praktisch
verwendbar zu machen, Erfolg gehabt hatten. Allein jemehr man dieser
Milizarmee, die dort schließlich doch zu Grunde ging, Gerechtigkeit wider¬
fahren läßt, desto stärker spricht gerade dieses Beispiel für den Werth der
stehenden Heere.

„Schon das Gesammtresultat der hier geschilderten Feldzüge ist der beste
Beweis für diese Behauptung; denn trotz eines Gambetta, der sicherlich nicht
überall gefunden werden wird, wo man ihn braucht, scheiterten die gestimmten
kriegerischen Anstrengungen, welche mehr als zwanzig Millionen Franzosen
zur Befreiung ihrer Hauptstadt und ihres Vaterlandes machten, drei Monate
lang an zwei Armeen, die in keinem Augenblicke mehr als 70,000 und
35,000 Mann Infanterie zählten. Als dann eine dritte Heeresgruppe von nur
zwei Armeekorps hinzutrat, war die völlige Niederlage der Republik entschie¬
den." Die Truppen des Prinzen Friedrich Karl und des Großherzogs von
Mecklenburg hatten, als sie auf die Loirearmee trafen, schon einen beschwer¬
lichen Feldzug hinter sich. Der Feind ersetzte durch seine Zahl das, was ihm
an militärischen Eigenschaften abging. Die große Frontausdehnung forderte
einen sehr anstrengenden Vorpostendienst. Nach jeder Niederlage konnten sich
die Franzosen dnrch frische Mannschaften ergänzen, während bei den Deutschen
weder Ersatz an Menschen noch an Proviant und Munition zur Genüge heran¬
kam. Die Bekleidung, namentlich das Schuhwerk, befand sich schon Anfang
Dezember in der traurigsten Verfassung. Und dennoch bestanden diese Sol¬
daten auch diese Probe. Die Loirearmee wurde geschlagen, in getrennten
Gruppen bis zu fernen Schlupfwinkeln zurückgedrängt und ans Wochen kämpf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/490>, abgerufen am 03.07.2024.