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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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welche denjenigen Männern eigen sein muß, die sich zum Herrschen geboren
glauben."

"Auch das Ende von Gambetta's Laufbahn als Diktator verräth in der
zwölften Stunde Mangel an der äußersten Energie. Er hatte den Schwerpunkt
der nationalen Wehrkraft aus der Armee in das bürgerliche Element, den des
Widerstandes von Paris zu den Provinzen hinüber verlegt. Er hatte den
Krieg bis aufs Messer und die Unbesiegbarkeit der Republik verkündigt.
Wenn er dennoch von seinem Platze wich, als die pariser Regierung den Frie¬
den für ganz Frankreich schloß, erklärte er selbst dasjenige für einen Irrthum,
was er bisher vertreten und erstrebt hatte. Wer mag das Recht seiner Be¬
hauptung bestreiten, daß eine kriegsgefangene Regierung, wie die pariser es
war, nicht für die vom Feinde noch frei gebliebenen Provinzen hätte verhan¬
deln dürfen? War er aber davon überzeugt, so forderte die Folgerichtigkeit,
um jeden Preis den Kampf aufrecht zu erhalten, nicht, sich grollend und mit
einem Proteste zurückzuziehen," --- Die Geschichte der Diktatur Gambetta's
läßt uns in ihm für jetzt -- denn noch ist nicht Alles aufgeklärt -- mehr
einen Cota de Rienzi als einen Washington erkennen, und anch sein eignes
Volk hat ihm die Palme nicht gereicht. Es sprach während des Kriegs von
"diesem Gambetta" gewöhnlich mit einem Anfluge von Groll und Nichtachtung,
und nur Wenige schätzten ihn, wie er es immerhin verdiente.

Was aber lernen wir bei der Betrachtung der Wirksamkeit des Diktators?
Er und die Kämpfe, die er veranlaßte, haben uus über verschiedene Irrthümer
die Augen geöffnet. Zunächst bezweifelte man bis zum Kriege in Deutschland
niemals, daß für die Franzosen der Ausfall der ersten großen Schlacht ent¬
scheidend sein werde. Verloren sie dieselbe, so war der Krieg zu Ende. Alles
traute man diesem Volke eher zu als zähes Ausharren in einem unglücklichen
Kampfe. Sodann war Glaubenssatz, Paris müsse sich ergeben, wenn man
ihm nur acht Tage lang die Zufuhr an frischer Morgeumilch abschnitte.
Ferner galt für unzweifelhaft, daß bei unsern Kulturzuständen Kriege von
längerer Dauer als zwei oder drei Monaten unmöglich seien. Man hat diese
Sätze oft genug für unfehlbar erklärt, aber Gambetta hat bewiesen, daß dies
mit Unrecht geschah.

Noch wichtiger aber ist Folgendes. Seit den Kriegen der ersten franzö¬
sischen Revolution hat der Gedanke, daß im Augenblick der Gefahr der Bürger
allein den Staat vertheidigen solle und werde, in weiten Kreisen begeisterte
Anhänger gefunden. Schon die ersten jener Kriege sprechen für den, der sie
genauer prüfte (wie beiläufig von Seiten des Verfassers auf Seite 233--258
in höchst lehrreicher Weise geschieht) gegen diese von unser" Demokraten mit


welche denjenigen Männern eigen sein muß, die sich zum Herrschen geboren
glauben."

„Auch das Ende von Gambetta's Laufbahn als Diktator verräth in der
zwölften Stunde Mangel an der äußersten Energie. Er hatte den Schwerpunkt
der nationalen Wehrkraft aus der Armee in das bürgerliche Element, den des
Widerstandes von Paris zu den Provinzen hinüber verlegt. Er hatte den
Krieg bis aufs Messer und die Unbesiegbarkeit der Republik verkündigt.
Wenn er dennoch von seinem Platze wich, als die pariser Regierung den Frie¬
den für ganz Frankreich schloß, erklärte er selbst dasjenige für einen Irrthum,
was er bisher vertreten und erstrebt hatte. Wer mag das Recht seiner Be¬
hauptung bestreiten, daß eine kriegsgefangene Regierung, wie die pariser es
war, nicht für die vom Feinde noch frei gebliebenen Provinzen hätte verhan¬
deln dürfen? War er aber davon überzeugt, so forderte die Folgerichtigkeit,
um jeden Preis den Kampf aufrecht zu erhalten, nicht, sich grollend und mit
einem Proteste zurückzuziehen," —- Die Geschichte der Diktatur Gambetta's
läßt uns in ihm für jetzt — denn noch ist nicht Alles aufgeklärt — mehr
einen Cota de Rienzi als einen Washington erkennen, und anch sein eignes
Volk hat ihm die Palme nicht gereicht. Es sprach während des Kriegs von
„diesem Gambetta" gewöhnlich mit einem Anfluge von Groll und Nichtachtung,
und nur Wenige schätzten ihn, wie er es immerhin verdiente.

Was aber lernen wir bei der Betrachtung der Wirksamkeit des Diktators?
Er und die Kämpfe, die er veranlaßte, haben uus über verschiedene Irrthümer
die Augen geöffnet. Zunächst bezweifelte man bis zum Kriege in Deutschland
niemals, daß für die Franzosen der Ausfall der ersten großen Schlacht ent¬
scheidend sein werde. Verloren sie dieselbe, so war der Krieg zu Ende. Alles
traute man diesem Volke eher zu als zähes Ausharren in einem unglücklichen
Kampfe. Sodann war Glaubenssatz, Paris müsse sich ergeben, wenn man
ihm nur acht Tage lang die Zufuhr an frischer Morgeumilch abschnitte.
Ferner galt für unzweifelhaft, daß bei unsern Kulturzuständen Kriege von
längerer Dauer als zwei oder drei Monaten unmöglich seien. Man hat diese
Sätze oft genug für unfehlbar erklärt, aber Gambetta hat bewiesen, daß dies
mit Unrecht geschah.

Noch wichtiger aber ist Folgendes. Seit den Kriegen der ersten franzö¬
sischen Revolution hat der Gedanke, daß im Augenblick der Gefahr der Bürger
allein den Staat vertheidigen solle und werde, in weiten Kreisen begeisterte
Anhänger gefunden. Schon die ersten jener Kriege sprechen für den, der sie
genauer prüfte (wie beiläufig von Seiten des Verfassers auf Seite 233—258
in höchst lehrreicher Weise geschieht) gegen diese von unser» Demokraten mit


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[0489] welche denjenigen Männern eigen sein muß, die sich zum Herrschen geboren glauben." „Auch das Ende von Gambetta's Laufbahn als Diktator verräth in der zwölften Stunde Mangel an der äußersten Energie. Er hatte den Schwerpunkt der nationalen Wehrkraft aus der Armee in das bürgerliche Element, den des Widerstandes von Paris zu den Provinzen hinüber verlegt. Er hatte den Krieg bis aufs Messer und die Unbesiegbarkeit der Republik verkündigt. Wenn er dennoch von seinem Platze wich, als die pariser Regierung den Frie¬ den für ganz Frankreich schloß, erklärte er selbst dasjenige für einen Irrthum, was er bisher vertreten und erstrebt hatte. Wer mag das Recht seiner Be¬ hauptung bestreiten, daß eine kriegsgefangene Regierung, wie die pariser es war, nicht für die vom Feinde noch frei gebliebenen Provinzen hätte verhan¬ deln dürfen? War er aber davon überzeugt, so forderte die Folgerichtigkeit, um jeden Preis den Kampf aufrecht zu erhalten, nicht, sich grollend und mit einem Proteste zurückzuziehen," —- Die Geschichte der Diktatur Gambetta's läßt uns in ihm für jetzt — denn noch ist nicht Alles aufgeklärt — mehr einen Cota de Rienzi als einen Washington erkennen, und anch sein eignes Volk hat ihm die Palme nicht gereicht. Es sprach während des Kriegs von „diesem Gambetta" gewöhnlich mit einem Anfluge von Groll und Nichtachtung, und nur Wenige schätzten ihn, wie er es immerhin verdiente. Was aber lernen wir bei der Betrachtung der Wirksamkeit des Diktators? Er und die Kämpfe, die er veranlaßte, haben uus über verschiedene Irrthümer die Augen geöffnet. Zunächst bezweifelte man bis zum Kriege in Deutschland niemals, daß für die Franzosen der Ausfall der ersten großen Schlacht ent¬ scheidend sein werde. Verloren sie dieselbe, so war der Krieg zu Ende. Alles traute man diesem Volke eher zu als zähes Ausharren in einem unglücklichen Kampfe. Sodann war Glaubenssatz, Paris müsse sich ergeben, wenn man ihm nur acht Tage lang die Zufuhr an frischer Morgeumilch abschnitte. Ferner galt für unzweifelhaft, daß bei unsern Kulturzuständen Kriege von längerer Dauer als zwei oder drei Monaten unmöglich seien. Man hat diese Sätze oft genug für unfehlbar erklärt, aber Gambetta hat bewiesen, daß dies mit Unrecht geschah. Noch wichtiger aber ist Folgendes. Seit den Kriegen der ersten franzö¬ sischen Revolution hat der Gedanke, daß im Augenblick der Gefahr der Bürger allein den Staat vertheidigen solle und werde, in weiten Kreisen begeisterte Anhänger gefunden. Schon die ersten jener Kriege sprechen für den, der sie genauer prüfte (wie beiläufig von Seiten des Verfassers auf Seite 233—258 in höchst lehrreicher Weise geschieht) gegen diese von unser» Demokraten mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/489>, abgerufen am 23.07.2024.