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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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einem Entwürfe, der in letzter Stunde alle Niederlagen Frankreichs rächen
und sein Heer auf deutschen Boden versetzen sollte. Soviel Bestechendes ein
solcher Gedankengang auch haben mag, so ist dies doch das einzige Mal, daß
der gesammte Plan von Hause aus verfehlt war. stimmten Wollen und
Können schon bei den früheren Feldzügen der Republik nicht überein, so stan¬
den sie diesmal ganz außer allem Verhältniß. Die Ostarmee war ihrer innern
Natur nach zu dem Unternehmen, in das man sie hineinstürzte, ganz ungeeignet.
Und dann ersah man ein Gelände für ihre Bewegungen aus, das die Opera¬
tionen des großen Krieges verbietet, wo eine schwerfällige Armee fast ohne
Zuthun des Feindes zum Stehen kommen muß, im Winter wenigstens, wenn
Schnee und Eis die schmalen Bergwege bedecken. Hätte ferner Bourbaki auch
die Linien seiner tapfern Gegner an der Lisaine durchbrochen, er wäre nicht
weiter gekommen als bis Belfort und würde dort sein Behar^on gefunden
haben. Endlich konnte bei der Langsamkeit der Offensivbewegungen solcher
Truppen, wie sie Bourbaki zur Verfügung standen, auch auf die Belagerung
von Paris und auf Prinz Friedrich Karl's siegreiches Heer durch eine Waffeu-
entscheidung im fernen Osten nicht ernstlich eingewirkt werden." "So gestaltet"
sich denn auch dieser hoffnungsvoll begonnene Zug uur zu einem allgemeinen
äosiMi'"?., das um so größer war, als der materielle Aufwand für das Unter¬
nehmen auch hier wieder bewundernswerth gewesen war." Wie früher bei der
ersten Lvirearmee hatte man auch jetzt kleine Erfolge, die man zu Allfang er¬
fochten, zu entscheidenden Siegen ausgebauscht, und als gleich darauf die Nie¬
derlage bei Hericourt erfolgte, konnte der Diktator sie dem gänzlich unvorbe¬
reiteter Lande nicht eingestehen, und so täuschte er sich selbst über den Ernst
der Lage hinweg, bis eine Täuschung nicht mehr möglich war.

Gcunbetta wechselt in seiner Haltung zwischen genialen Aufschwünge und
Zurückschrecke" vor den äußersten Konsequenzen, welche zur Krönung seines
Werkes nothwendig sind. "Neben aller Festigkeit verräth der gewaltige Mann
auch eine gewisse Weichheit, sodann das Mißtrauen und den Mangel an edler
Selbstverleugnung, welche um der Sache willen mit eigener Gefahr schwächere
Gemüther hebt, ihnen die Lorbeeren gern überläßt und mit dem Bewußtsein
zufrieden ist, ihre Pflicht gethan zu haben. Diese Tugenden, die aus gedie¬
gener Geistes- und Herzensbildung sprossen, und die der Verkehr mit klugen,
uneigennützigen Menschen am Ehestell zeitigt, legte Leon Gambetta nicht in dein
Maße an den Tag, als es der Geschichtsschreiber wünscht, der sich gern für
große Männer begeistert. Sein Element ist die Opposition gegen die Gewalt
der Personen oder der Verhältnisse. Er verstand es wie nur Wenige vor
ihm, das Volk in der Tiefe zu erregen und seinen Zwecken dienstbar zu
machen. Für die dauernde Beherrschung fehlte ihm die erhabene Ruhe,


einem Entwürfe, der in letzter Stunde alle Niederlagen Frankreichs rächen
und sein Heer auf deutschen Boden versetzen sollte. Soviel Bestechendes ein
solcher Gedankengang auch haben mag, so ist dies doch das einzige Mal, daß
der gesammte Plan von Hause aus verfehlt war. stimmten Wollen und
Können schon bei den früheren Feldzügen der Republik nicht überein, so stan¬
den sie diesmal ganz außer allem Verhältniß. Die Ostarmee war ihrer innern
Natur nach zu dem Unternehmen, in das man sie hineinstürzte, ganz ungeeignet.
Und dann ersah man ein Gelände für ihre Bewegungen aus, das die Opera¬
tionen des großen Krieges verbietet, wo eine schwerfällige Armee fast ohne
Zuthun des Feindes zum Stehen kommen muß, im Winter wenigstens, wenn
Schnee und Eis die schmalen Bergwege bedecken. Hätte ferner Bourbaki auch
die Linien seiner tapfern Gegner an der Lisaine durchbrochen, er wäre nicht
weiter gekommen als bis Belfort und würde dort sein Behar^on gefunden
haben. Endlich konnte bei der Langsamkeit der Offensivbewegungen solcher
Truppen, wie sie Bourbaki zur Verfügung standen, auch auf die Belagerung
von Paris und auf Prinz Friedrich Karl's siegreiches Heer durch eine Waffeu-
entscheidung im fernen Osten nicht ernstlich eingewirkt werden." „So gestaltet«
sich denn auch dieser hoffnungsvoll begonnene Zug uur zu einem allgemeinen
äosiMi'«?., das um so größer war, als der materielle Aufwand für das Unter¬
nehmen auch hier wieder bewundernswerth gewesen war." Wie früher bei der
ersten Lvirearmee hatte man auch jetzt kleine Erfolge, die man zu Allfang er¬
fochten, zu entscheidenden Siegen ausgebauscht, und als gleich darauf die Nie¬
derlage bei Hericourt erfolgte, konnte der Diktator sie dem gänzlich unvorbe¬
reiteter Lande nicht eingestehen, und so täuschte er sich selbst über den Ernst
der Lage hinweg, bis eine Täuschung nicht mehr möglich war.

Gcunbetta wechselt in seiner Haltung zwischen genialen Aufschwünge und
Zurückschrecke» vor den äußersten Konsequenzen, welche zur Krönung seines
Werkes nothwendig sind. „Neben aller Festigkeit verräth der gewaltige Mann
auch eine gewisse Weichheit, sodann das Mißtrauen und den Mangel an edler
Selbstverleugnung, welche um der Sache willen mit eigener Gefahr schwächere
Gemüther hebt, ihnen die Lorbeeren gern überläßt und mit dem Bewußtsein
zufrieden ist, ihre Pflicht gethan zu haben. Diese Tugenden, die aus gedie¬
gener Geistes- und Herzensbildung sprossen, und die der Verkehr mit klugen,
uneigennützigen Menschen am Ehestell zeitigt, legte Leon Gambetta nicht in dein
Maße an den Tag, als es der Geschichtsschreiber wünscht, der sich gern für
große Männer begeistert. Sein Element ist die Opposition gegen die Gewalt
der Personen oder der Verhältnisse. Er verstand es wie nur Wenige vor
ihm, das Volk in der Tiefe zu erregen und seinen Zwecken dienstbar zu
machen. Für die dauernde Beherrschung fehlte ihm die erhabene Ruhe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/488>, abgerufen am 28.09.2024.