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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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anordnete, zeigt Anerkennenswertes. Die Grundgedanken der von ihm ange¬
gebenen Operationen, ihre erste Anlage und Einleitung verrathen nicht bloß
Kühnheit, sondern auch strategischen Scharfblick. Beispiele sind hier die Ver¬
suche, die erste Loirearmee über Montargis nach Fontainebleau in Bewegung
zu setzen, und die überraschende Wendung nach der zweiten Niederlage bei
Orleans, wo aus der einen Loirearmee deren zwei entstanden. In den Mo¬
menten der Entscheidung, aber wo die von ihm geschaffenen großartigen Mittel zum
letzten Schlage gebraucht werden sollten, trat die Schwäche in Gambetta's
Charakter hervor. Er begann dann mit phantastischen Uebertreibungen, er .
ließ sich nicht an seinen wirklichen Erfolgen genügen, sondern vergrößerte sie
durch Erdichtung von Zahlen und Siegen. Und damit beraubte er sich der
Freiheit des Entschlusses. Da er sein Heer in den Augen des Volkes um
Hunderttausende zu stark angegeben und aus einem gelungenen Einleitungs¬
gefechte eine siegreiche Entscheidungsschlacht gemacht hatte, mußte er vorwärts;
denn Zögern ist dann nicht mehr möglich. Und dennoch begann Gambettci
gerade nach dem Treffen von Coulmiers zu schwanken. Dann wurde er un¬
aufrichtig, und zuletzt führte fein Eigenwille die Niederlage bei Beaune la
Rolande herbei. Der Zwiespalt in seinem Charakter ließ ihn diese abwarten,
um dann zu sagen: ich war es, der Recht hatte. Hier ist der Punkt, wo sich
der Heros von dem begabten Abenteurer unterscheidet, bei dem das Wollen
immer noch größer ist als das Können.

Erst nach der Niederlage, wo wieder ein Chaos von Trümmern vor ihm
lag, wie vorher bei seiner Ankunft von Paris in Tours, entwickelte er wieder
seine gigantische Thatkraft. "Er allein hielt bei der allgemeinen Entmuthigung
den Glauben an den Sieg aufrecht. Er allein mahnte zu fernerem Wider¬
stande. Aus den Schaaren, die sich aufzulösen begannen, formirte er neue
Heere, er führte ihnen Verstärkungen zu und versuchte durch eine kühn ge¬
dachte Aenderung seiner Pläne einen Umschwung in den Gang des Feldzugs
zu bringen. Aus dem auflösenden Rückzüge, welchen der größere Theil der
Loirearmee uach den Kämpfen bei Orleans begonnen hatte, wollte er die schnelle
und weitaussehende Offensive gegen Paris machen." Der Gedanke war in der
That groß, da er sich aber dabei über seine Mittel täuschte und die Kräfte
sowie die Männer, die ihm zu Gebote standen, überschätzte, wurde der Ent¬
wurf zu einem neuen Verhängniß. Als er die Täuschung erkannte, eilte er
nicht selbst zur Armee, stellte er nicht einen fähigeren General an die Spitze
der Truppen, und so kam es zwar diesmal nicht zu einer Niederlage, wohl
aber zum Ruin des Heeres durch zwecklose Hin- und Hermärsche.

"Nach diesen Tagen der Misere erhob sich die Seele des Diktators noch¬
mals, und zwar zu dem Entwürfe des Ostfeldzugs gegen den General v. Werber,


anordnete, zeigt Anerkennenswertes. Die Grundgedanken der von ihm ange¬
gebenen Operationen, ihre erste Anlage und Einleitung verrathen nicht bloß
Kühnheit, sondern auch strategischen Scharfblick. Beispiele sind hier die Ver¬
suche, die erste Loirearmee über Montargis nach Fontainebleau in Bewegung
zu setzen, und die überraschende Wendung nach der zweiten Niederlage bei
Orleans, wo aus der einen Loirearmee deren zwei entstanden. In den Mo¬
menten der Entscheidung, aber wo die von ihm geschaffenen großartigen Mittel zum
letzten Schlage gebraucht werden sollten, trat die Schwäche in Gambetta's
Charakter hervor. Er begann dann mit phantastischen Uebertreibungen, er .
ließ sich nicht an seinen wirklichen Erfolgen genügen, sondern vergrößerte sie
durch Erdichtung von Zahlen und Siegen. Und damit beraubte er sich der
Freiheit des Entschlusses. Da er sein Heer in den Augen des Volkes um
Hunderttausende zu stark angegeben und aus einem gelungenen Einleitungs¬
gefechte eine siegreiche Entscheidungsschlacht gemacht hatte, mußte er vorwärts;
denn Zögern ist dann nicht mehr möglich. Und dennoch begann Gambettci
gerade nach dem Treffen von Coulmiers zu schwanken. Dann wurde er un¬
aufrichtig, und zuletzt führte fein Eigenwille die Niederlage bei Beaune la
Rolande herbei. Der Zwiespalt in seinem Charakter ließ ihn diese abwarten,
um dann zu sagen: ich war es, der Recht hatte. Hier ist der Punkt, wo sich
der Heros von dem begabten Abenteurer unterscheidet, bei dem das Wollen
immer noch größer ist als das Können.

Erst nach der Niederlage, wo wieder ein Chaos von Trümmern vor ihm
lag, wie vorher bei seiner Ankunft von Paris in Tours, entwickelte er wieder
seine gigantische Thatkraft. „Er allein hielt bei der allgemeinen Entmuthigung
den Glauben an den Sieg aufrecht. Er allein mahnte zu fernerem Wider¬
stande. Aus den Schaaren, die sich aufzulösen begannen, formirte er neue
Heere, er führte ihnen Verstärkungen zu und versuchte durch eine kühn ge¬
dachte Aenderung seiner Pläne einen Umschwung in den Gang des Feldzugs
zu bringen. Aus dem auflösenden Rückzüge, welchen der größere Theil der
Loirearmee uach den Kämpfen bei Orleans begonnen hatte, wollte er die schnelle
und weitaussehende Offensive gegen Paris machen." Der Gedanke war in der
That groß, da er sich aber dabei über seine Mittel täuschte und die Kräfte
sowie die Männer, die ihm zu Gebote standen, überschätzte, wurde der Ent¬
wurf zu einem neuen Verhängniß. Als er die Täuschung erkannte, eilte er
nicht selbst zur Armee, stellte er nicht einen fähigeren General an die Spitze
der Truppen, und so kam es zwar diesmal nicht zu einer Niederlage, wohl
aber zum Ruin des Heeres durch zwecklose Hin- und Hermärsche.

„Nach diesen Tagen der Misere erhob sich die Seele des Diktators noch¬
mals, und zwar zu dem Entwürfe des Ostfeldzugs gegen den General v. Werber,


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[0487] anordnete, zeigt Anerkennenswertes. Die Grundgedanken der von ihm ange¬ gebenen Operationen, ihre erste Anlage und Einleitung verrathen nicht bloß Kühnheit, sondern auch strategischen Scharfblick. Beispiele sind hier die Ver¬ suche, die erste Loirearmee über Montargis nach Fontainebleau in Bewegung zu setzen, und die überraschende Wendung nach der zweiten Niederlage bei Orleans, wo aus der einen Loirearmee deren zwei entstanden. In den Mo¬ menten der Entscheidung, aber wo die von ihm geschaffenen großartigen Mittel zum letzten Schlage gebraucht werden sollten, trat die Schwäche in Gambetta's Charakter hervor. Er begann dann mit phantastischen Uebertreibungen, er . ließ sich nicht an seinen wirklichen Erfolgen genügen, sondern vergrößerte sie durch Erdichtung von Zahlen und Siegen. Und damit beraubte er sich der Freiheit des Entschlusses. Da er sein Heer in den Augen des Volkes um Hunderttausende zu stark angegeben und aus einem gelungenen Einleitungs¬ gefechte eine siegreiche Entscheidungsschlacht gemacht hatte, mußte er vorwärts; denn Zögern ist dann nicht mehr möglich. Und dennoch begann Gambettci gerade nach dem Treffen von Coulmiers zu schwanken. Dann wurde er un¬ aufrichtig, und zuletzt führte fein Eigenwille die Niederlage bei Beaune la Rolande herbei. Der Zwiespalt in seinem Charakter ließ ihn diese abwarten, um dann zu sagen: ich war es, der Recht hatte. Hier ist der Punkt, wo sich der Heros von dem begabten Abenteurer unterscheidet, bei dem das Wollen immer noch größer ist als das Können. Erst nach der Niederlage, wo wieder ein Chaos von Trümmern vor ihm lag, wie vorher bei seiner Ankunft von Paris in Tours, entwickelte er wieder seine gigantische Thatkraft. „Er allein hielt bei der allgemeinen Entmuthigung den Glauben an den Sieg aufrecht. Er allein mahnte zu fernerem Wider¬ stande. Aus den Schaaren, die sich aufzulösen begannen, formirte er neue Heere, er führte ihnen Verstärkungen zu und versuchte durch eine kühn ge¬ dachte Aenderung seiner Pläne einen Umschwung in den Gang des Feldzugs zu bringen. Aus dem auflösenden Rückzüge, welchen der größere Theil der Loirearmee uach den Kämpfen bei Orleans begonnen hatte, wollte er die schnelle und weitaussehende Offensive gegen Paris machen." Der Gedanke war in der That groß, da er sich aber dabei über seine Mittel täuschte und die Kräfte sowie die Männer, die ihm zu Gebote standen, überschätzte, wurde der Ent¬ wurf zu einem neuen Verhängniß. Als er die Täuschung erkannte, eilte er nicht selbst zur Armee, stellte er nicht einen fähigeren General an die Spitze der Truppen, und so kam es zwar diesmal nicht zu einer Niederlage, wohl aber zum Ruin des Heeres durch zwecklose Hin- und Hermärsche. „Nach diesen Tagen der Misere erhob sich die Seele des Diktators noch¬ mals, und zwar zu dem Entwürfe des Ostfeldzugs gegen den General v. Werber,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/487>, abgerufen am 26.06.2024.