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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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ziehen. Später mehrten sich die Denunziationen, und in der Mitte der Akade¬
miker selbst fand sich in Chamfort ein Abtrünniger, der sie der Servilität und
der Unterdrückung der Wahrheit anklagte. Er wurde zwar von andern Mit¬
gliedern zurückgewiesen und schonungslos der Verachtung preisgegeben, aber
man fühlte doch, daß damit nicht viel geholfen war. Die Sessel der bis
1792 verstorbenen oder vor der Verfolgung ins Ausland geflohenen 18 Aka¬
demiker blieben unbesetzt, und man machte möglichst wenig mehr von sich reden.
Endlich beschloß man am 5. August 1793 die Akademie einstweilen zu suspen-
diren. Vier Tage nachher löste der Konvent sie auf, und im Juli des uüchsten
Jahres wurden ihre Güter für Nationaleigenthum erklärt. Mehrere Mitglieder
hatten mittlerweile ein tragisches Schicksal erlitten. Bailly, Malesherbes und
Nicolai warm ans dem Schaffst gestorben und Condorcet hatte sich vergiftet.
Mehrere andere waren ins Gefängniß gewandert.

So schien denn das Eude der Körperschaft eingetreten zu sein. Indeß
war der Alp der Schreckensherrschaft kaum von den Gemüthern genommen,
als man aus den Trümmern, die sie zur Folge gehabt, auch vou Wissenschaft
und Literatur zu retten suchte, was noch zu retten schien, und so wurde am
25. Oktober 1795 auch die Wiederbelebung der alten Akademien in einer ein¬
zigen beschlossen. Das neue Institut bestand aus drei Klassen, vou deuen die
erste die mathematischen und physikalischen, die zweite die philosophischen, zu
deuen mau Psychologie und Logik, Moral, Sozialwissenschaft, Gesetzgebung und
Volkswirthschaft zählte, die dritte endlich die Literatur umfaßte, der sich die
schonen Künste und die früher durch die Akademie der Inskriptionen vertretene"
alten Sprachen anschlössen. Die neue Verfassung war in ihren Grundzügen
folgende. Das Direktorium wählte 48 Mitglieder, welche dann noch 96 andere
wählten. Das Sekretariat ans Lebenszeit wurde durch ein jährlich wechselndes
ersetzt, die Amtsdauer des Präsidenten auf sechs Mouate normirt. Das Institut
sollte sich jährlich viermal und zwar am 15. des ersten Monats jeder
Jahreszeit, versammeln. Sechs Preise wurden ausgesetzt, zwei für jede der
drei Klassen, die allein über die Ertheilung zu entscheiden hatten. Auf Vor¬
schlag des Instituts konnte auch durch deu gesetzgebende" Körper eine Nativnal-
belvhuuug für wichtige Werke ertheilt werden.

Die erste Sitzung des Instituts fand am 13. Dezember 1795 statt. Es
erlangte keine große Bedeutung, und das geistige Leben in der literarischen Klasse
war ein ziemlich stilles. Erwcihnenswerth ist eigentlich nur die aus poli¬
tischen Beweggründe" erfolgte Ausweisung mehrerer Mitglieder, z. B. Carnot's,
und dessen Ersetzung durch deu General Bonaparte sowie der verunglückte
Versuch, den dessen Bruder Lnzian machte, die alte ^.ekMmio tranykisv wieder¬
herzustellen.


ziehen. Später mehrten sich die Denunziationen, und in der Mitte der Akade¬
miker selbst fand sich in Chamfort ein Abtrünniger, der sie der Servilität und
der Unterdrückung der Wahrheit anklagte. Er wurde zwar von andern Mit¬
gliedern zurückgewiesen und schonungslos der Verachtung preisgegeben, aber
man fühlte doch, daß damit nicht viel geholfen war. Die Sessel der bis
1792 verstorbenen oder vor der Verfolgung ins Ausland geflohenen 18 Aka¬
demiker blieben unbesetzt, und man machte möglichst wenig mehr von sich reden.
Endlich beschloß man am 5. August 1793 die Akademie einstweilen zu suspen-
diren. Vier Tage nachher löste der Konvent sie auf, und im Juli des uüchsten
Jahres wurden ihre Güter für Nationaleigenthum erklärt. Mehrere Mitglieder
hatten mittlerweile ein tragisches Schicksal erlitten. Bailly, Malesherbes und
Nicolai warm ans dem Schaffst gestorben und Condorcet hatte sich vergiftet.
Mehrere andere waren ins Gefängniß gewandert.

So schien denn das Eude der Körperschaft eingetreten zu sein. Indeß
war der Alp der Schreckensherrschaft kaum von den Gemüthern genommen,
als man aus den Trümmern, die sie zur Folge gehabt, auch vou Wissenschaft
und Literatur zu retten suchte, was noch zu retten schien, und so wurde am
25. Oktober 1795 auch die Wiederbelebung der alten Akademien in einer ein¬
zigen beschlossen. Das neue Institut bestand aus drei Klassen, vou deuen die
erste die mathematischen und physikalischen, die zweite die philosophischen, zu
deuen mau Psychologie und Logik, Moral, Sozialwissenschaft, Gesetzgebung und
Volkswirthschaft zählte, die dritte endlich die Literatur umfaßte, der sich die
schonen Künste und die früher durch die Akademie der Inskriptionen vertretene»
alten Sprachen anschlössen. Die neue Verfassung war in ihren Grundzügen
folgende. Das Direktorium wählte 48 Mitglieder, welche dann noch 96 andere
wählten. Das Sekretariat ans Lebenszeit wurde durch ein jährlich wechselndes
ersetzt, die Amtsdauer des Präsidenten auf sechs Mouate normirt. Das Institut
sollte sich jährlich viermal und zwar am 15. des ersten Monats jeder
Jahreszeit, versammeln. Sechs Preise wurden ausgesetzt, zwei für jede der
drei Klassen, die allein über die Ertheilung zu entscheiden hatten. Auf Vor¬
schlag des Instituts konnte auch durch deu gesetzgebende« Körper eine Nativnal-
belvhuuug für wichtige Werke ertheilt werden.

Die erste Sitzung des Instituts fand am 13. Dezember 1795 statt. Es
erlangte keine große Bedeutung, und das geistige Leben in der literarischen Klasse
war ein ziemlich stilles. Erwcihnenswerth ist eigentlich nur die aus poli¬
tischen Beweggründe» erfolgte Ausweisung mehrerer Mitglieder, z. B. Carnot's,
und dessen Ersetzung durch deu General Bonaparte sowie der verunglückte
Versuch, den dessen Bruder Lnzian machte, die alte ^.ekMmio tranykisv wieder¬
herzustellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/480>, abgerufen am 23.07.2024.