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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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zurückziehen. So ließ 1768 der Erzliischof von Paris den Belisaire des
Akademikers Marmontel von allen Kanzeln verdammen. So rief ferner Thomas
1770 dnrch eine sehr freisinnige Rede bei der konservativen Partei und bei
Hofe große Erbitterung hervor, vor welcher die Akademie in so erbärmliche
Angst gerieth, daß sie den Beschluß faßte, künftig keine Rede mehr zuzulassen,
die nicht vorher in öffentlicher Sitzung geprüft wäre. So wies endlich
Richelieu, damals Direktor der Akademie, Suard und Delille zurück, weil sie
Encyklopädisten seien.

Mit dem Regierungsantritt Ludwig's des Sechzehnten tritt die Akademie
in ein neues Stadium ein. Sie wird eine Zeit lang wahrhaft die Vertreterin
der Literatur und übt einen direkten Einfluß aus wie nie zuvor oder nachher.
Auch das Publikum nahm jetzt starkes Interesse an ihren Sitzungen. Die all¬
gemeine Tendenz der Geister zur Aufklärung hatte auch in ihr den Sieg da¬
vongetragen, und wenn man jetzt allgemein das Bedürfniß empfand, die auf
rein geistigem Gebiete gewonnenen Ergebnisse ins Praktische zu übertragen, so
machte sich das auch unter den Akademikern geltend, und wir sehen jetzt kurz
uach einander eine Reihe mehr politisch als literarisch bedeutender Männer
auf den vierzig Fauteuils Platz nehmen. Zwar blieb die Aufklärung, die in
der Akademie jetzt die Oberhand hatte, nicht unangefochten, und der Minister
Maurepas trug sich eine Zeit lang sogar mit dem Gedanken, die Körperschaft
aufzulösen. Doch empfand er bald seine Ohnmacht. Nichts zeigt besser, wie
sicher sich die Akademie in jener Epoche fühlte, als die Stellung, die sie zu
Voltaire in seinen letzten Jahren und nach seinem Tode einnahm, und die
wiederholt zur Verherrlichung desselben führte.

Vom Tode Voltaire's an schwindet der Glanz der Körperschaft wieder,
um bald zu erlöschen. Die Stürme des Tages absorbiren das Interesse des
Publikums, und die bisherige geistige Regsamkeit in der Akademie erstarrt
unter dem Drucke der politischen Ereignisse. 1785 näherte sich die Regierung
dem Institute wieder, aber die Revolution verhielt sich schon in ihren Anfän¬
gen mißtrauisch und später feindselig gegen dasselbe, da es eine große Anzahl
von Adeligen und höheren Geistlichen zu seinen Mitgliedern zählte und man
in dieser engen Verbindung der Aristokratie und der eigentlichen Vertreter
der Literatur Verrath und Gefahr witterte. Auch erschien schon die
bloße höhere Bildung als eine Art Aristokratie, und schließlich hatte die
Akademie kaum eine Gelegenheit vorbeigehen lassen, dem bedrohten König¬
thum ihre Verehrung zu bezeugen. Schott kurz nach Eröffnung der
Generalstaaten wurde sie aus diesen Gründen von den Patrioten
heftig angegriffen. Die Nationalversammlung bewies ihr ebenfalls wenig
Wohlwollen, und Lanjuinais beantragte, ihr die Staatsunterstützung zu eut-


zurückziehen. So ließ 1768 der Erzliischof von Paris den Belisaire des
Akademikers Marmontel von allen Kanzeln verdammen. So rief ferner Thomas
1770 dnrch eine sehr freisinnige Rede bei der konservativen Partei und bei
Hofe große Erbitterung hervor, vor welcher die Akademie in so erbärmliche
Angst gerieth, daß sie den Beschluß faßte, künftig keine Rede mehr zuzulassen,
die nicht vorher in öffentlicher Sitzung geprüft wäre. So wies endlich
Richelieu, damals Direktor der Akademie, Suard und Delille zurück, weil sie
Encyklopädisten seien.

Mit dem Regierungsantritt Ludwig's des Sechzehnten tritt die Akademie
in ein neues Stadium ein. Sie wird eine Zeit lang wahrhaft die Vertreterin
der Literatur und übt einen direkten Einfluß aus wie nie zuvor oder nachher.
Auch das Publikum nahm jetzt starkes Interesse an ihren Sitzungen. Die all¬
gemeine Tendenz der Geister zur Aufklärung hatte auch in ihr den Sieg da¬
vongetragen, und wenn man jetzt allgemein das Bedürfniß empfand, die auf
rein geistigem Gebiete gewonnenen Ergebnisse ins Praktische zu übertragen, so
machte sich das auch unter den Akademikern geltend, und wir sehen jetzt kurz
uach einander eine Reihe mehr politisch als literarisch bedeutender Männer
auf den vierzig Fauteuils Platz nehmen. Zwar blieb die Aufklärung, die in
der Akademie jetzt die Oberhand hatte, nicht unangefochten, und der Minister
Maurepas trug sich eine Zeit lang sogar mit dem Gedanken, die Körperschaft
aufzulösen. Doch empfand er bald seine Ohnmacht. Nichts zeigt besser, wie
sicher sich die Akademie in jener Epoche fühlte, als die Stellung, die sie zu
Voltaire in seinen letzten Jahren und nach seinem Tode einnahm, und die
wiederholt zur Verherrlichung desselben führte.

Vom Tode Voltaire's an schwindet der Glanz der Körperschaft wieder,
um bald zu erlöschen. Die Stürme des Tages absorbiren das Interesse des
Publikums, und die bisherige geistige Regsamkeit in der Akademie erstarrt
unter dem Drucke der politischen Ereignisse. 1785 näherte sich die Regierung
dem Institute wieder, aber die Revolution verhielt sich schon in ihren Anfän¬
gen mißtrauisch und später feindselig gegen dasselbe, da es eine große Anzahl
von Adeligen und höheren Geistlichen zu seinen Mitgliedern zählte und man
in dieser engen Verbindung der Aristokratie und der eigentlichen Vertreter
der Literatur Verrath und Gefahr witterte. Auch erschien schon die
bloße höhere Bildung als eine Art Aristokratie, und schließlich hatte die
Akademie kaum eine Gelegenheit vorbeigehen lassen, dem bedrohten König¬
thum ihre Verehrung zu bezeugen. Schott kurz nach Eröffnung der
Generalstaaten wurde sie aus diesen Gründen von den Patrioten
heftig angegriffen. Die Nationalversammlung bewies ihr ebenfalls wenig
Wohlwollen, und Lanjuinais beantragte, ihr die Staatsunterstützung zu eut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/479>, abgerufen am 03.07.2024.