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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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durch Beiträge zu einer Krankenkasse erwirbt. Waren keine Gesellen am Orte
in Arbeit, so hatten die Meister der Reihe nach dem Zuwandernden für Noth¬
durft, Essen, Trinken und Nachtlager zu sorgen. Bei den Gerbern war an
vielen Orten der Gebrauch eingeführt, bei Erwerbung der Meisterschaft ein
bestimmtes Stück Geld in die Handwerkslade zu geben "von wegen der zu¬
wandernden Gesellen". Das Geschenk im obigen Sinne schloß auch einiges
Zehrgeld für den nächsten Tag oder für so lauge ein, als der Geselle zu
wandern hatte, bis er wieder an einen Ort kam, wo Meister seines Gewerbes
sich befanden. Der Zuwandernde mußte sich ursprünglich die Gabe selbst in
einer Werkstelle holen, später aber richtete man es so ein, daß in jeder Stadt,
wo das Handwerk bestand, die Gesellen einen aus ihrer Mitte wählten, der
für Unterbringung der Zuwandernden zu sorgen und sich für sie nach Arbeit
umzusehen hatte.

Das Maß des Geschenks, welches der Gesell zu fordern hatte, war nicht
überall bestimmt. Aus Neichsschlüssen des achtzehnten Jahrhunderts geht her¬
vor, daß die Wandernden oft übertriebene Ansprüche machten, daß viele nur
des Geschenks wegen herumgezogen und sich nebenher durch "Fechten" fort¬
halfen, und daß sich an das Geschenk häufig Gelage und Schlemmereien
knüpften. Das Reich beschränkte das letztere damals auf 2 bis 10 Groschen
oder 15 bis 20 Kreuzer. Eine solche allgemeine Bestimmung war aber nicht
praktisch; denn die Gabe fiel dadurch für das eine Handwerk zu reichlich, für
das andere zu dürftig aus. Vergleicht man nämlich einen Silberschmied mit
einem Zimmermann oder einem Schneider, so findet man, daß der letztere sich
mit einer kleinen Unterstützung begnügen konnte, da er fast in jedem Dorfe
Meister feines Gewerbes und folglich das Geschenk antraf, während der
Silberarbeiter oft viele Tage wandern mußte, ehe er wieder an einen Ort ge¬
langte, wo sein Handwerk betrieben wurde. Aber auch die von den Regierun¬
gen der deutschen Länder für die einzelnen Handwerke aufgestellten Schenktaxen
-- in Würtemberg sollten die Bortenwirker 10, die Buchbinder 12 Kreuzer
nebst Nachtlager und Kost, die Kammmacher 20 Kreuzer als Zehrung für den
Ort, wo sie eintrafen, und ebensoviel als Zehrpfennig auf den Weg bekommen
-- hatten nicht den gehofften Erfolg. Die Polizei war noch im vorigen Jahr¬
hundert viel zu schwach, um durchgreifen zu können, und die Handwerke führ¬
ten die Verordnungen nicht durch; denn da, wo das Geschenk zu gering war,
gingen die Gesellen nicht hin, und doch mußte jeder Stadt daran liegen, daß
möglichst viele Arbeitskräfte sich ihr anboten, da die Arbeit dadurch wohlfeil
wurde.

Im Vorhergehenden ist wiederholt der Gesellenschaft oder der Verbindung
der Gesellen zu einer den Meistern gegenüberstehenden Körperschaft gedacht


durch Beiträge zu einer Krankenkasse erwirbt. Waren keine Gesellen am Orte
in Arbeit, so hatten die Meister der Reihe nach dem Zuwandernden für Noth¬
durft, Essen, Trinken und Nachtlager zu sorgen. Bei den Gerbern war an
vielen Orten der Gebrauch eingeführt, bei Erwerbung der Meisterschaft ein
bestimmtes Stück Geld in die Handwerkslade zu geben „von wegen der zu¬
wandernden Gesellen". Das Geschenk im obigen Sinne schloß auch einiges
Zehrgeld für den nächsten Tag oder für so lauge ein, als der Geselle zu
wandern hatte, bis er wieder an einen Ort kam, wo Meister seines Gewerbes
sich befanden. Der Zuwandernde mußte sich ursprünglich die Gabe selbst in
einer Werkstelle holen, später aber richtete man es so ein, daß in jeder Stadt,
wo das Handwerk bestand, die Gesellen einen aus ihrer Mitte wählten, der
für Unterbringung der Zuwandernden zu sorgen und sich für sie nach Arbeit
umzusehen hatte.

Das Maß des Geschenks, welches der Gesell zu fordern hatte, war nicht
überall bestimmt. Aus Neichsschlüssen des achtzehnten Jahrhunderts geht her¬
vor, daß die Wandernden oft übertriebene Ansprüche machten, daß viele nur
des Geschenks wegen herumgezogen und sich nebenher durch „Fechten" fort¬
halfen, und daß sich an das Geschenk häufig Gelage und Schlemmereien
knüpften. Das Reich beschränkte das letztere damals auf 2 bis 10 Groschen
oder 15 bis 20 Kreuzer. Eine solche allgemeine Bestimmung war aber nicht
praktisch; denn die Gabe fiel dadurch für das eine Handwerk zu reichlich, für
das andere zu dürftig aus. Vergleicht man nämlich einen Silberschmied mit
einem Zimmermann oder einem Schneider, so findet man, daß der letztere sich
mit einer kleinen Unterstützung begnügen konnte, da er fast in jedem Dorfe
Meister feines Gewerbes und folglich das Geschenk antraf, während der
Silberarbeiter oft viele Tage wandern mußte, ehe er wieder an einen Ort ge¬
langte, wo sein Handwerk betrieben wurde. Aber auch die von den Regierun¬
gen der deutschen Länder für die einzelnen Handwerke aufgestellten Schenktaxen
— in Würtemberg sollten die Bortenwirker 10, die Buchbinder 12 Kreuzer
nebst Nachtlager und Kost, die Kammmacher 20 Kreuzer als Zehrung für den
Ort, wo sie eintrafen, und ebensoviel als Zehrpfennig auf den Weg bekommen
— hatten nicht den gehofften Erfolg. Die Polizei war noch im vorigen Jahr¬
hundert viel zu schwach, um durchgreifen zu können, und die Handwerke führ¬
ten die Verordnungen nicht durch; denn da, wo das Geschenk zu gering war,
gingen die Gesellen nicht hin, und doch mußte jeder Stadt daran liegen, daß
möglichst viele Arbeitskräfte sich ihr anboten, da die Arbeit dadurch wohlfeil
wurde.

Im Vorhergehenden ist wiederholt der Gesellenschaft oder der Verbindung
der Gesellen zu einer den Meistern gegenüberstehenden Körperschaft gedacht


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[0470] durch Beiträge zu einer Krankenkasse erwirbt. Waren keine Gesellen am Orte in Arbeit, so hatten die Meister der Reihe nach dem Zuwandernden für Noth¬ durft, Essen, Trinken und Nachtlager zu sorgen. Bei den Gerbern war an vielen Orten der Gebrauch eingeführt, bei Erwerbung der Meisterschaft ein bestimmtes Stück Geld in die Handwerkslade zu geben „von wegen der zu¬ wandernden Gesellen". Das Geschenk im obigen Sinne schloß auch einiges Zehrgeld für den nächsten Tag oder für so lauge ein, als der Geselle zu wandern hatte, bis er wieder an einen Ort kam, wo Meister seines Gewerbes sich befanden. Der Zuwandernde mußte sich ursprünglich die Gabe selbst in einer Werkstelle holen, später aber richtete man es so ein, daß in jeder Stadt, wo das Handwerk bestand, die Gesellen einen aus ihrer Mitte wählten, der für Unterbringung der Zuwandernden zu sorgen und sich für sie nach Arbeit umzusehen hatte. Das Maß des Geschenks, welches der Gesell zu fordern hatte, war nicht überall bestimmt. Aus Neichsschlüssen des achtzehnten Jahrhunderts geht her¬ vor, daß die Wandernden oft übertriebene Ansprüche machten, daß viele nur des Geschenks wegen herumgezogen und sich nebenher durch „Fechten" fort¬ halfen, und daß sich an das Geschenk häufig Gelage und Schlemmereien knüpften. Das Reich beschränkte das letztere damals auf 2 bis 10 Groschen oder 15 bis 20 Kreuzer. Eine solche allgemeine Bestimmung war aber nicht praktisch; denn die Gabe fiel dadurch für das eine Handwerk zu reichlich, für das andere zu dürftig aus. Vergleicht man nämlich einen Silberschmied mit einem Zimmermann oder einem Schneider, so findet man, daß der letztere sich mit einer kleinen Unterstützung begnügen konnte, da er fast in jedem Dorfe Meister feines Gewerbes und folglich das Geschenk antraf, während der Silberarbeiter oft viele Tage wandern mußte, ehe er wieder an einen Ort ge¬ langte, wo sein Handwerk betrieben wurde. Aber auch die von den Regierun¬ gen der deutschen Länder für die einzelnen Handwerke aufgestellten Schenktaxen — in Würtemberg sollten die Bortenwirker 10, die Buchbinder 12 Kreuzer nebst Nachtlager und Kost, die Kammmacher 20 Kreuzer als Zehrung für den Ort, wo sie eintrafen, und ebensoviel als Zehrpfennig auf den Weg bekommen — hatten nicht den gehofften Erfolg. Die Polizei war noch im vorigen Jahr¬ hundert viel zu schwach, um durchgreifen zu können, und die Handwerke führ¬ ten die Verordnungen nicht durch; denn da, wo das Geschenk zu gering war, gingen die Gesellen nicht hin, und doch mußte jeder Stadt daran liegen, daß möglichst viele Arbeitskräfte sich ihr anboten, da die Arbeit dadurch wohlfeil wurde. Im Vorhergehenden ist wiederholt der Gesellenschaft oder der Verbindung der Gesellen zu einer den Meistern gegenüberstehenden Körperschaft gedacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/470>, abgerufen am 03.07.2024.