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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Muth muß man eifriger löschen als Feuersbrunst" ausprägten. Beispiele
solcher Erfahrungen lieferten die Tyrannen, die Perserkriege, das Emporkommen
und der tiefe Fall von Menschen und Staate" in den Kämpfen zwischen
Athen und Sparta, die Schicksale, welche die Veränderlichkeit der Volksgunst
in den Demokratien Griechenlands hervorragenden Parteiführern bereitete und
der demokratische, alle Ungleichheit hassende, jedes Emporwachsen über das
Niveau der Allgemeinheit bereitende Geist des Volkes überhaupt. Die Demo¬
kratie ist die Regierungsform des Neides, dem Demokraten mußte die Tyrannis
auch in ihrer besten Gestalt als sträfliche Ueberhebung, die von der Nemesis
5" ahnden und zu verderbe" war, erscheinen. Andrerseits aber war es ein
wahrhaft frommes Gefühl, war es die Essenz aller echten Religion,
wenn solche Glückliche, die ihr Gedeihen sich selbst zu verdanken meinten,
sich ihres Ruhmes oder Reichthums überhoben und sich als unantastbar für
das Schicksal und damit als der Gottheit gleich ansahen, für bedroht von
dem Zorne und der Rache der himmlischen Mächte galten.

Bekannt ist die Scheelsucht und Feindseligkeit der Götter gegen die
Menschen, wie sie in der Promethensfabel des Aeschylos hervortritt, ebenso
die Volkssage vom Ring des Polykrates. Bei Pindar lesen wir, daß die Götter
üniner gegen ein Gut zwei Nebel geben. Bei Aristophanes erklärt der Gott
des Reichthums seine Blindheit damit, daß Zeus nicht gewollt habe, daß er
u"r deu Weisen und Gerechten seine Gaben spende. In der Alkestis des Eu-
ripides sagt Herakles, als Admet sich über das unverhoffte Glück der Wieder-
^laugnng seiner Gattin freut: "Möge nur kein Neid der Götter folgen." Als
Philoktet bei Sophokles dem Neoptvlemos seinen Bogen übergibt, spricht er
die mahnenden Worte: "Da nimm ihn hin, doch bete zum Neid, daß der
^"gen Dir nicht voll Mühsal werde, wie mir und dem, der ihn vor mir
besaß."

Haben wir hier den Neid der Götter vor uns, so zeigen andere Beispiele
^e sträfliche Ueberhebung. Ajas wird mit Wahnsinn geschlagen, weil er im
^wußtsein seiner Heldenkraft sich blasend geprahlt, anch ohne Athenes Bei¬
stand siegen zu können, Kroisos von der Nemesis ergriffen, weil er geglaubt,
allen Menschen der glücklichste zu sein, Niobe ihrer Kinder beraubt, weil
^e sich wegen der Zahl derselben über eine Göttin erhoben u. s. w.

Auch der Gott der Bibel liebt es nicht, daß man zu viel erreicht, daß
der Mensch ihm zu ähnlich wird. Mißgünstig, nicht blos erzürnt über den
^ugelMsam Adams, mit dem er vom Baum der Erkenntniß gegessen und da¬
durch "geworden als unser einer", treibt er ihn aus dem Garten Eden, damit
^ ihm nicht völlig gleich werde, "damit er nicht ausstrecke seiue Hand und


Muth muß man eifriger löschen als Feuersbrunst" ausprägten. Beispiele
solcher Erfahrungen lieferten die Tyrannen, die Perserkriege, das Emporkommen
und der tiefe Fall von Menschen und Staate» in den Kämpfen zwischen
Athen und Sparta, die Schicksale, welche die Veränderlichkeit der Volksgunst
in den Demokratien Griechenlands hervorragenden Parteiführern bereitete und
der demokratische, alle Ungleichheit hassende, jedes Emporwachsen über das
Niveau der Allgemeinheit bereitende Geist des Volkes überhaupt. Die Demo¬
kratie ist die Regierungsform des Neides, dem Demokraten mußte die Tyrannis
auch in ihrer besten Gestalt als sträfliche Ueberhebung, die von der Nemesis
5» ahnden und zu verderbe« war, erscheinen. Andrerseits aber war es ein
wahrhaft frommes Gefühl, war es die Essenz aller echten Religion,
wenn solche Glückliche, die ihr Gedeihen sich selbst zu verdanken meinten,
sich ihres Ruhmes oder Reichthums überhoben und sich als unantastbar für
das Schicksal und damit als der Gottheit gleich ansahen, für bedroht von
dem Zorne und der Rache der himmlischen Mächte galten.

Bekannt ist die Scheelsucht und Feindseligkeit der Götter gegen die
Menschen, wie sie in der Promethensfabel des Aeschylos hervortritt, ebenso
die Volkssage vom Ring des Polykrates. Bei Pindar lesen wir, daß die Götter
üniner gegen ein Gut zwei Nebel geben. Bei Aristophanes erklärt der Gott
des Reichthums seine Blindheit damit, daß Zeus nicht gewollt habe, daß er
u»r deu Weisen und Gerechten seine Gaben spende. In der Alkestis des Eu-
ripides sagt Herakles, als Admet sich über das unverhoffte Glück der Wieder-
^laugnng seiner Gattin freut: „Möge nur kein Neid der Götter folgen." Als
Philoktet bei Sophokles dem Neoptvlemos seinen Bogen übergibt, spricht er
die mahnenden Worte: „Da nimm ihn hin, doch bete zum Neid, daß der
^»gen Dir nicht voll Mühsal werde, wie mir und dem, der ihn vor mir
besaß."

Haben wir hier den Neid der Götter vor uns, so zeigen andere Beispiele
^e sträfliche Ueberhebung. Ajas wird mit Wahnsinn geschlagen, weil er im
^wußtsein seiner Heldenkraft sich blasend geprahlt, anch ohne Athenes Bei¬
stand siegen zu können, Kroisos von der Nemesis ergriffen, weil er geglaubt,
allen Menschen der glücklichste zu sein, Niobe ihrer Kinder beraubt, weil
^e sich wegen der Zahl derselben über eine Göttin erhoben u. s. w.

Auch der Gott der Bibel liebt es nicht, daß man zu viel erreicht, daß
der Mensch ihm zu ähnlich wird. Mißgünstig, nicht blos erzürnt über den
^ugelMsam Adams, mit dem er vom Baum der Erkenntniß gegessen und da¬
durch „geworden als unser einer", treibt er ihn aus dem Garten Eden, damit
^ ihm nicht völlig gleich werde, „damit er nicht ausstrecke seiue Hand und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/47>, abgerufen am 03.07.2024.