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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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breche auch von dem Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich." "Denn
Du bist Erde", schließt die Strafrede, "und sollst wieder zur Erde werden,
davon Du genommen bist." Aehnliche Empfindungen scheinen ihn bewogen
zu haben, den Ban des Babelthurms zu stören, "deß Spitze bis an den
Himmel reichen" und der den Menschenkindern "einen Namen machen" sollte.
Ans gleichen Beweggründen endlich bestraft Jahve die von Davids Ehrgeiz
vorgenommene Zählung des Volkes dnrch eine Pest. Ganz entschieden eine
Warnung vor Ueberhebung und sträflicher Sicherheit enthält das Gleichnis?
vom reichen Manne (im Lukasevangelium), deß Feld wohl getragen hatte, und
der darauf zu seiner Seele sprach: "Liebe Seele, Du hast eiuen großen Vor¬
rath auf viele Jahre, habe nun Ruhe, iß, trink und laß Dir's wohl sein."
Aber Gott sprach zu ihm: "Dn Narr, diese Nacht wird man Deine Seele von
Dir fordern, und weß wird's sein, das Dn bereitet hast."

Die oben bezeichneten Vorstellungen spielten nun vielfach in einander.
Die Angst vor dem Verlust des gewonnenen Glückes und vor den Göttern, die
es verliehen und es jeden Augenblick in Unglück verwandeln konnten, ließ den
Unterschied zwischen Verschuldung durch Ueberhebung und unverdienter Miß-
gunst zurücktreten vor dem eifrigen Bestreben, sich vor den Wirkungen beider
sicher zu stellen. Ein unvorsichtiges Wort über eignes Verdienst oder großes
Glück konnte den Neid oder Zorn der Götter wachrufen, und so scheute matt
sich, ein solches Wort auszusprechen, ja so mochte man nicht einmal von
Andern seinen Besitz an Ehre oder Gut rühmen hören. Das bloße Annehme"
solches Lobes hatte denselben nachtheiligen Einfluß auf den Belobten, das
staunende Rühmen eines Gegenstandes oder einer Person war ebenso schädlich
wie der neidische Blick; denn er lenkte den Neid der Ueberirdischen ans die
Betreffenden. Daneben aber bestand auch in den spätesten Zeiten des Alter¬
thums und besteht noch heute der Glaube an die heimliche Begabung gewisser
Menschen, durch ihren bloßen Blick -- wie der fabelhafte Basilisk -- zu schaden
und zu tödten, bei Vielen fort.

Der im Vorstehenden besprochene Aberglaube war im Alterthum in seinen
drei Formen auch unter den Gebildeten verbreitet, und Philosophen bemühten
sich, ihn zu erklären. Ganze Familien, ja ganze Völkerschaften sollten dnrch
ihre Augen, wenn sie dieselben auf einen Gegenstand richteten, verderblich zu
wirken im Stande sein, und zwar nicht blos auf Menschen, sondern auch auf
Thiere, ja selbst auf leblose Gegenstände. Die Griechen hatten für diesen Augen¬
zauber den Ausdruck /?"<5x"toe^, der böse Blick aber hieß griechisch c)^"^"k
Trop^ve, lateinisch laseinus oder ndlinuus oculus. Kennzeichen solcher giftiger
Augen waren doppelte Pupillen oder eine solche in dem einen und das Bild
eines Pferdes in dem andern Auge. Plinius berichtet, daß in Afrika gewisse


breche auch von dem Baume des Lebens und esse und lebe ewiglich." „Denn
Du bist Erde", schließt die Strafrede, „und sollst wieder zur Erde werden,
davon Du genommen bist." Aehnliche Empfindungen scheinen ihn bewogen
zu haben, den Ban des Babelthurms zu stören, „deß Spitze bis an den
Himmel reichen" und der den Menschenkindern „einen Namen machen" sollte.
Ans gleichen Beweggründen endlich bestraft Jahve die von Davids Ehrgeiz
vorgenommene Zählung des Volkes dnrch eine Pest. Ganz entschieden eine
Warnung vor Ueberhebung und sträflicher Sicherheit enthält das Gleichnis?
vom reichen Manne (im Lukasevangelium), deß Feld wohl getragen hatte, und
der darauf zu seiner Seele sprach: „Liebe Seele, Du hast eiuen großen Vor¬
rath auf viele Jahre, habe nun Ruhe, iß, trink und laß Dir's wohl sein."
Aber Gott sprach zu ihm: „Dn Narr, diese Nacht wird man Deine Seele von
Dir fordern, und weß wird's sein, das Dn bereitet hast."

Die oben bezeichneten Vorstellungen spielten nun vielfach in einander.
Die Angst vor dem Verlust des gewonnenen Glückes und vor den Göttern, die
es verliehen und es jeden Augenblick in Unglück verwandeln konnten, ließ den
Unterschied zwischen Verschuldung durch Ueberhebung und unverdienter Miß-
gunst zurücktreten vor dem eifrigen Bestreben, sich vor den Wirkungen beider
sicher zu stellen. Ein unvorsichtiges Wort über eignes Verdienst oder großes
Glück konnte den Neid oder Zorn der Götter wachrufen, und so scheute matt
sich, ein solches Wort auszusprechen, ja so mochte man nicht einmal von
Andern seinen Besitz an Ehre oder Gut rühmen hören. Das bloße Annehme»
solches Lobes hatte denselben nachtheiligen Einfluß auf den Belobten, das
staunende Rühmen eines Gegenstandes oder einer Person war ebenso schädlich
wie der neidische Blick; denn er lenkte den Neid der Ueberirdischen ans die
Betreffenden. Daneben aber bestand auch in den spätesten Zeiten des Alter¬
thums und besteht noch heute der Glaube an die heimliche Begabung gewisser
Menschen, durch ihren bloßen Blick — wie der fabelhafte Basilisk — zu schaden
und zu tödten, bei Vielen fort.

Der im Vorstehenden besprochene Aberglaube war im Alterthum in seinen
drei Formen auch unter den Gebildeten verbreitet, und Philosophen bemühten
sich, ihn zu erklären. Ganze Familien, ja ganze Völkerschaften sollten dnrch
ihre Augen, wenn sie dieselben auf einen Gegenstand richteten, verderblich zu
wirken im Stande sein, und zwar nicht blos auf Menschen, sondern auch auf
Thiere, ja selbst auf leblose Gegenstände. Die Griechen hatten für diesen Augen¬
zauber den Ausdruck /?«<5x«toe^, der böse Blick aber hieß griechisch c)^«^"k
Trop^ve, lateinisch laseinus oder ndlinuus oculus. Kennzeichen solcher giftiger
Augen waren doppelte Pupillen oder eine solche in dem einen und das Bild
eines Pferdes in dem andern Auge. Plinius berichtet, daß in Afrika gewisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/48>, abgerufen am 03.07.2024.