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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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einem gewissen (Zeremoniell geschmückt, welches bei Strafe nicht vernachlässigt
werden durfte.

Hatte der Gesell vorschriftsmäßig am Sonntag nach dein Essen gekündigt,
so mußte er am nächsten Montag darauf oder, je nach der im Handwerk gel¬
tenden Kündigungsfrist, nach acht oder vierzehn Tagen, immer aber Montags
zum Wanderstabe greifen. Versäumte er diesen Termin, so verlor er das
Recht, von allen Gesellen seines Gewerbes zum Thore hinausbegleitet zu wer¬
den, und nahm er die Kündigung zurück, so mußte er der Gesellenschaft Strafe
zahlen. Mit dem Bündel oder Felleisen auf dem Rücken und dem Stock in
der Hand -- bei manchen Handwerken den untersten Rockknopf zugeknöpft und
den Zeigefinger der linken Hand in das obere Knopfloch gesteckt -- mußte er
vor den Meister treten und sich mit folgenden Worten von ihm verabschieden:

"Alles mit Gunst. Ich bedanke mich des Meisters seines guten Willens,
den er mir erwiesen hat. Kommt er oder einer der Seinigen oder ein anderer
ehrlicher Geselle heute oder morgen zu mir, so will ich ihm wieder einen
guten Willen erweisen; kann ich es nicht verbessern, so will ich es auch nicht
verweigern. Wo meiner im Argen gedacht wird, so gedenke er meiner am
Besten. Desselben Gleichen will ich thun und bedanke mich nochmals für
alles Gute."

Darauf hatte der Meister zu antworten:

"Alles mit Gunst. Es ist Dir von mir nicht viel Gutes widerfahren,
ich versehe mich, auch nicht viel Arges. Immer den guten Willen für die
That. Du siehst wohl, das Kloster ist arm, und der Brüder sind viel, und
der Arbeiter trinkt anch gern Wein und Bier. Ich wünsche Dir Glück zu
Weg und zu Steg, zu Wasser und zu Land. Wo Dich der liebe Gott hin¬
sendet, wo Du hinkommst, grüße mir Meister und Gesellen, wo das Handwerk
ehrlich; wo es aber uicht ehrlich, da nimm Geld und Geldeswerth, hilf strafen
und ehrlich machen, daß ihnen der Beutel thut krachen und Dir und einem
andern Gesellen das Herz im Leibe thut lachen. Wo man meiner im Argen
gedenkt, da denke meiner am Besten; desselben Gleichen will ich auch thun."

Dieses Zwiegespräch, welches mit sehr wenig bedeutenden Varianten
überall gleich lautete, mußte ohne Zusatz oder Auslassung vor sich gehen, und,
wo der Gesell auf seiner Reise in der Fremde hinkam, um das Geschenk an¬
sprach oder nach Arbeit fragte, erkundigte man sich sofort: "Hast Du Dich
auch richtig bebartet?" Es schloß mit der gegenseitigen Frage: "Wißt Ihr
etwas, das Euch oder mir zuwider ist, so könnt Ihr es sagen, weil wir jetzund
beisammen sein, aber hernach stillschweigen."

Man sollte sich also vor dem Scheiden aussprechen und über etwaige An¬
stöße vertragen. Alle Statuten, die das Verhältniß des Gesellen zum Meister


einem gewissen (Zeremoniell geschmückt, welches bei Strafe nicht vernachlässigt
werden durfte.

Hatte der Gesell vorschriftsmäßig am Sonntag nach dein Essen gekündigt,
so mußte er am nächsten Montag darauf oder, je nach der im Handwerk gel¬
tenden Kündigungsfrist, nach acht oder vierzehn Tagen, immer aber Montags
zum Wanderstabe greifen. Versäumte er diesen Termin, so verlor er das
Recht, von allen Gesellen seines Gewerbes zum Thore hinausbegleitet zu wer¬
den, und nahm er die Kündigung zurück, so mußte er der Gesellenschaft Strafe
zahlen. Mit dem Bündel oder Felleisen auf dem Rücken und dem Stock in
der Hand — bei manchen Handwerken den untersten Rockknopf zugeknöpft und
den Zeigefinger der linken Hand in das obere Knopfloch gesteckt — mußte er
vor den Meister treten und sich mit folgenden Worten von ihm verabschieden:

„Alles mit Gunst. Ich bedanke mich des Meisters seines guten Willens,
den er mir erwiesen hat. Kommt er oder einer der Seinigen oder ein anderer
ehrlicher Geselle heute oder morgen zu mir, so will ich ihm wieder einen
guten Willen erweisen; kann ich es nicht verbessern, so will ich es auch nicht
verweigern. Wo meiner im Argen gedacht wird, so gedenke er meiner am
Besten. Desselben Gleichen will ich thun und bedanke mich nochmals für
alles Gute."

Darauf hatte der Meister zu antworten:

„Alles mit Gunst. Es ist Dir von mir nicht viel Gutes widerfahren,
ich versehe mich, auch nicht viel Arges. Immer den guten Willen für die
That. Du siehst wohl, das Kloster ist arm, und der Brüder sind viel, und
der Arbeiter trinkt anch gern Wein und Bier. Ich wünsche Dir Glück zu
Weg und zu Steg, zu Wasser und zu Land. Wo Dich der liebe Gott hin¬
sendet, wo Du hinkommst, grüße mir Meister und Gesellen, wo das Handwerk
ehrlich; wo es aber uicht ehrlich, da nimm Geld und Geldeswerth, hilf strafen
und ehrlich machen, daß ihnen der Beutel thut krachen und Dir und einem
andern Gesellen das Herz im Leibe thut lachen. Wo man meiner im Argen
gedenkt, da denke meiner am Besten; desselben Gleichen will ich auch thun."

Dieses Zwiegespräch, welches mit sehr wenig bedeutenden Varianten
überall gleich lautete, mußte ohne Zusatz oder Auslassung vor sich gehen, und,
wo der Gesell auf seiner Reise in der Fremde hinkam, um das Geschenk an¬
sprach oder nach Arbeit fragte, erkundigte man sich sofort: „Hast Du Dich
auch richtig bebartet?" Es schloß mit der gegenseitigen Frage: „Wißt Ihr
etwas, das Euch oder mir zuwider ist, so könnt Ihr es sagen, weil wir jetzund
beisammen sein, aber hernach stillschweigen."

Man sollte sich also vor dem Scheiden aussprechen und über etwaige An¬
stöße vertragen. Alle Statuten, die das Verhältniß des Gesellen zum Meister


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[0468] einem gewissen (Zeremoniell geschmückt, welches bei Strafe nicht vernachlässigt werden durfte. Hatte der Gesell vorschriftsmäßig am Sonntag nach dein Essen gekündigt, so mußte er am nächsten Montag darauf oder, je nach der im Handwerk gel¬ tenden Kündigungsfrist, nach acht oder vierzehn Tagen, immer aber Montags zum Wanderstabe greifen. Versäumte er diesen Termin, so verlor er das Recht, von allen Gesellen seines Gewerbes zum Thore hinausbegleitet zu wer¬ den, und nahm er die Kündigung zurück, so mußte er der Gesellenschaft Strafe zahlen. Mit dem Bündel oder Felleisen auf dem Rücken und dem Stock in der Hand — bei manchen Handwerken den untersten Rockknopf zugeknöpft und den Zeigefinger der linken Hand in das obere Knopfloch gesteckt — mußte er vor den Meister treten und sich mit folgenden Worten von ihm verabschieden: „Alles mit Gunst. Ich bedanke mich des Meisters seines guten Willens, den er mir erwiesen hat. Kommt er oder einer der Seinigen oder ein anderer ehrlicher Geselle heute oder morgen zu mir, so will ich ihm wieder einen guten Willen erweisen; kann ich es nicht verbessern, so will ich es auch nicht verweigern. Wo meiner im Argen gedacht wird, so gedenke er meiner am Besten. Desselben Gleichen will ich thun und bedanke mich nochmals für alles Gute." Darauf hatte der Meister zu antworten: „Alles mit Gunst. Es ist Dir von mir nicht viel Gutes widerfahren, ich versehe mich, auch nicht viel Arges. Immer den guten Willen für die That. Du siehst wohl, das Kloster ist arm, und der Brüder sind viel, und der Arbeiter trinkt anch gern Wein und Bier. Ich wünsche Dir Glück zu Weg und zu Steg, zu Wasser und zu Land. Wo Dich der liebe Gott hin¬ sendet, wo Du hinkommst, grüße mir Meister und Gesellen, wo das Handwerk ehrlich; wo es aber uicht ehrlich, da nimm Geld und Geldeswerth, hilf strafen und ehrlich machen, daß ihnen der Beutel thut krachen und Dir und einem andern Gesellen das Herz im Leibe thut lachen. Wo man meiner im Argen gedenkt, da denke meiner am Besten; desselben Gleichen will ich auch thun." Dieses Zwiegespräch, welches mit sehr wenig bedeutenden Varianten überall gleich lautete, mußte ohne Zusatz oder Auslassung vor sich gehen, und, wo der Gesell auf seiner Reise in der Fremde hinkam, um das Geschenk an¬ sprach oder nach Arbeit fragte, erkundigte man sich sofort: „Hast Du Dich auch richtig bebartet?" Es schloß mit der gegenseitigen Frage: „Wißt Ihr etwas, das Euch oder mir zuwider ist, so könnt Ihr es sagen, weil wir jetzund beisammen sein, aber hernach stillschweigen." Man sollte sich also vor dem Scheiden aussprechen und über etwaige An¬ stöße vertragen. Alle Statuten, die das Verhältniß des Gesellen zum Meister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/468>, abgerufen am 23.07.2024.