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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Eine Vorschrift, wohin sich die Wanderschaft zu richten habe, ist von
Seiten des Handwerks nie ergangen, wohl aber in später Zeit von gewissen Re¬
gierungen, welche sich die Bevormundung der Zünfte angelegen sein ließen,
wie denn die braunschweigische Gildeordnung von 1765) die Wanderschaft der
Gesellen nach berühmten Orten ihres Handwerks vorschrieb und die Oettingen'sche
Wanderordnung von 1785 jedem einzelnen Handwerk genau seine Reiseziele
angab. Den preußischen Unterthauen war das Wandern außer Landes im
Allgemeinen untersagt, doch machten die Behörden Ausnahmen bei "Professionen,
die auswärts sehr florirten". Das Handwerk verlangte nirgends etwas Anderes,
als daß der Gesell nur solche Orte besuchte, wo sein Metier zünftig war.
Das Letztere galt von den Hntmcichern, die nicht bloß in Deutschland, sondern
anch in Dänemark, Schweden, Polen, Kurland, Livland und der Schweiz
zünftig waren, weßhalb die Hutmachergesellen nicht zu fürchten hatten, durch
Arbeitnehmer in diesen Ländern unehrlich und damit zur Erlangung der
Meisterwürde unfähig zu werden. Ein ungefähr ebenso weites Wandergebiet
stand den Kammmachern, den Messerschmieden, Scherenschleifern, Kartätschen¬
machern und den Kupferschmieden offen. Dagegen wurden alle Gegenden und
Orte, wo das Handwerk bloß von der Obrigkeit als Zunft anerkannt war,
von den auswärtigen Genossen aber nicht, weil es sich dem Handwerksgebrauch
nicht unterworfen hatte, vermieden, weil Arbeit in ihnen eben unehrlich machte.
Ungleicher Handwerksgebrauch schied aber die Professionen zuweilen auch inner¬
halb Deutschlands, und wer dann das Gebiet der Gegenpartei betrat, zog sich da-
durch denselben Makel zu, als ob er ein fremdes im Verruf stehendes Laud
besucht oder bei einem unzünftigen Meister gearbeitet hätte. So schieden sich
u. A. die Nvthgerber in zwei Parteien: die Hansestädte, die Preußen, Sachsen,
Hessen, Rheinländer, Schweizer, Schwaben und Franken standen auf der
einen, die Oesterreicher, Baiern, Steiermärker und Salzburger auf der andern
Seite. Was beide Gruppen schied und sie sich gegenseitig als unredlich betrachten
ließ, war im Wesentlichen, daß die eine zwei, die andere drei Jahre Lehrzeit
vorschrieb. Nicht zu bezweifeln ist, daß der Zug der Gesellen sich im Allgemeinen
nach deu Orten richtete, wo am Meisten zu lernen war, und daß vorzüglich
die großen Städte Zielpunkte waren, wenn auch zugleich mancher Ort besucht
wurde, wo in Bezug auf technische und geschäftliche Ausbildung wenig zu ge¬
winnen war.

An die Wanderschaft knüpfte sich eine große Zahl von Formeln und
Bräuchen, welche dieselbe regelten. Die Abreise, das Verhalten auf dem Wege,
in den Herbergen, die Arbeit in den fremden Orten, das Geschenk, der Will¬
komm und verschiedene andere Gegenstände wurden von dem Verbände der
Gesellen einer bestimmten Ordnung unterworfen und mehr oder minder mit


Eine Vorschrift, wohin sich die Wanderschaft zu richten habe, ist von
Seiten des Handwerks nie ergangen, wohl aber in später Zeit von gewissen Re¬
gierungen, welche sich die Bevormundung der Zünfte angelegen sein ließen,
wie denn die braunschweigische Gildeordnung von 1765) die Wanderschaft der
Gesellen nach berühmten Orten ihres Handwerks vorschrieb und die Oettingen'sche
Wanderordnung von 1785 jedem einzelnen Handwerk genau seine Reiseziele
angab. Den preußischen Unterthauen war das Wandern außer Landes im
Allgemeinen untersagt, doch machten die Behörden Ausnahmen bei „Professionen,
die auswärts sehr florirten". Das Handwerk verlangte nirgends etwas Anderes,
als daß der Gesell nur solche Orte besuchte, wo sein Metier zünftig war.
Das Letztere galt von den Hntmcichern, die nicht bloß in Deutschland, sondern
anch in Dänemark, Schweden, Polen, Kurland, Livland und der Schweiz
zünftig waren, weßhalb die Hutmachergesellen nicht zu fürchten hatten, durch
Arbeitnehmer in diesen Ländern unehrlich und damit zur Erlangung der
Meisterwürde unfähig zu werden. Ein ungefähr ebenso weites Wandergebiet
stand den Kammmachern, den Messerschmieden, Scherenschleifern, Kartätschen¬
machern und den Kupferschmieden offen. Dagegen wurden alle Gegenden und
Orte, wo das Handwerk bloß von der Obrigkeit als Zunft anerkannt war,
von den auswärtigen Genossen aber nicht, weil es sich dem Handwerksgebrauch
nicht unterworfen hatte, vermieden, weil Arbeit in ihnen eben unehrlich machte.
Ungleicher Handwerksgebrauch schied aber die Professionen zuweilen auch inner¬
halb Deutschlands, und wer dann das Gebiet der Gegenpartei betrat, zog sich da-
durch denselben Makel zu, als ob er ein fremdes im Verruf stehendes Laud
besucht oder bei einem unzünftigen Meister gearbeitet hätte. So schieden sich
u. A. die Nvthgerber in zwei Parteien: die Hansestädte, die Preußen, Sachsen,
Hessen, Rheinländer, Schweizer, Schwaben und Franken standen auf der
einen, die Oesterreicher, Baiern, Steiermärker und Salzburger auf der andern
Seite. Was beide Gruppen schied und sie sich gegenseitig als unredlich betrachten
ließ, war im Wesentlichen, daß die eine zwei, die andere drei Jahre Lehrzeit
vorschrieb. Nicht zu bezweifeln ist, daß der Zug der Gesellen sich im Allgemeinen
nach deu Orten richtete, wo am Meisten zu lernen war, und daß vorzüglich
die großen Städte Zielpunkte waren, wenn auch zugleich mancher Ort besucht
wurde, wo in Bezug auf technische und geschäftliche Ausbildung wenig zu ge¬
winnen war.

An die Wanderschaft knüpfte sich eine große Zahl von Formeln und
Bräuchen, welche dieselbe regelten. Die Abreise, das Verhalten auf dem Wege,
in den Herbergen, die Arbeit in den fremden Orten, das Geschenk, der Will¬
komm und verschiedene andere Gegenstände wurden von dem Verbände der
Gesellen einer bestimmten Ordnung unterworfen und mehr oder minder mit


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[0467] Eine Vorschrift, wohin sich die Wanderschaft zu richten habe, ist von Seiten des Handwerks nie ergangen, wohl aber in später Zeit von gewissen Re¬ gierungen, welche sich die Bevormundung der Zünfte angelegen sein ließen, wie denn die braunschweigische Gildeordnung von 1765) die Wanderschaft der Gesellen nach berühmten Orten ihres Handwerks vorschrieb und die Oettingen'sche Wanderordnung von 1785 jedem einzelnen Handwerk genau seine Reiseziele angab. Den preußischen Unterthauen war das Wandern außer Landes im Allgemeinen untersagt, doch machten die Behörden Ausnahmen bei „Professionen, die auswärts sehr florirten". Das Handwerk verlangte nirgends etwas Anderes, als daß der Gesell nur solche Orte besuchte, wo sein Metier zünftig war. Das Letztere galt von den Hntmcichern, die nicht bloß in Deutschland, sondern anch in Dänemark, Schweden, Polen, Kurland, Livland und der Schweiz zünftig waren, weßhalb die Hutmachergesellen nicht zu fürchten hatten, durch Arbeitnehmer in diesen Ländern unehrlich und damit zur Erlangung der Meisterwürde unfähig zu werden. Ein ungefähr ebenso weites Wandergebiet stand den Kammmachern, den Messerschmieden, Scherenschleifern, Kartätschen¬ machern und den Kupferschmieden offen. Dagegen wurden alle Gegenden und Orte, wo das Handwerk bloß von der Obrigkeit als Zunft anerkannt war, von den auswärtigen Genossen aber nicht, weil es sich dem Handwerksgebrauch nicht unterworfen hatte, vermieden, weil Arbeit in ihnen eben unehrlich machte. Ungleicher Handwerksgebrauch schied aber die Professionen zuweilen auch inner¬ halb Deutschlands, und wer dann das Gebiet der Gegenpartei betrat, zog sich da- durch denselben Makel zu, als ob er ein fremdes im Verruf stehendes Laud besucht oder bei einem unzünftigen Meister gearbeitet hätte. So schieden sich u. A. die Nvthgerber in zwei Parteien: die Hansestädte, die Preußen, Sachsen, Hessen, Rheinländer, Schweizer, Schwaben und Franken standen auf der einen, die Oesterreicher, Baiern, Steiermärker und Salzburger auf der andern Seite. Was beide Gruppen schied und sie sich gegenseitig als unredlich betrachten ließ, war im Wesentlichen, daß die eine zwei, die andere drei Jahre Lehrzeit vorschrieb. Nicht zu bezweifeln ist, daß der Zug der Gesellen sich im Allgemeinen nach deu Orten richtete, wo am Meisten zu lernen war, und daß vorzüglich die großen Städte Zielpunkte waren, wenn auch zugleich mancher Ort besucht wurde, wo in Bezug auf technische und geschäftliche Ausbildung wenig zu ge¬ winnen war. An die Wanderschaft knüpfte sich eine große Zahl von Formeln und Bräuchen, welche dieselbe regelten. Die Abreise, das Verhalten auf dem Wege, in den Herbergen, die Arbeit in den fremden Orten, das Geschenk, der Will¬ komm und verschiedene andere Gegenstände wurden von dem Verbände der Gesellen einer bestimmten Ordnung unterworfen und mehr oder minder mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/467>, abgerufen am 03.07.2024.