Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und so die Konkurrenz im Handwerk zu mindern, eine Absicht, die auch in
verschiedenen anderen Bestimmungen der alten Zunftgesetze deutlich zu Tage
tritt. Die Bedingung, daß der Geselle gewandert haben mußte, wenn er Zu¬
lassung unter die Meister finden wollte -- eine Bedingung, von der nur
Meisterssöhne und solche, die Meisterstochter heiratheten, ausgenommen waren
-- mußte in der That die Konkurrenz dauernd vermindern. Das Wandern
war damals beschwerlich und gefährlich, und gar mancher brave Bursch kam
nicht wieder heim, indem er entweder verunglückte oder Geschmack am Herum¬
streichen fand und zum Ströhmer und Fechtbruder wurde. Andere machten
sich in der Fremde ansässig, wieder Andere wurden durch Arbeitnehmer an
Orten, die ihr Handwerk in Verruf erklärt hatte, noch Andere dadurch unehr¬
lich und unfähig, daß sie Werbern in die Hände fielen und dem Kalbfell eine
Zeit lang folgen mußten.

Der Wauderzwang war auch im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
nicht allgemein eingeführt. Es gab -- namentlich in Nürnberg -- "gesperrte"
Handwerke, denen das Wandern verboten war, damit sie ihre Kunst und
deren Geheimnisse nicht nach fremden Orten trügen. Dahin gehörten die
Drahtzieher, die Brillenmacher, die Fingerhuter, die Spiegler, die Geschmeide-
macher, die allerhand Gehäuse, Kapseln, Laternen, Schreibzeuge und dergl. aus
Messingblech verfertigten, die Horndreher, die Sanduhrmacher, die Gold- und
Silberspinner und die Rothschmiedsdrechsler, ein Gewerbe, das zu den größten
jener alten Reichsstadt zählte. An einigen andern Orten war das Wandern
wenigstens beschränkt und erschwert, so z. B. bei den lübeker Goldschmieden
und Paternostermachern.

Die Wanderschaft konnte.erlassen werden, wenn ein körperliches Gebrechen
dazu untauglich machte, oder wenn der Betreffende zu Hause unentbehrlich war.
Sie konnte ferner in manchen Städten und Landschaften mit Geld abgelöst
werden. So bei den frankfurter Gerbern, bei den Beutlern in Jena, nament¬
lich aber in Würtemberg. Aber immer hielten die "Gewanderten" sich als
Leute, welche die Welt gesehen hatten, für besser als die, welche zu Hause ge¬
blieben waren und von der Dispensation "Gnadenmeister" hießen, und nie
wählte man letztere zu Zunftmeistern -- "man trug die Lade am Hause des
Gncidemneisters vorbei."

Die vorgeschriebene Wanderzeit belief sich gewöhnlich ans 3 bis 4, bis¬
weilen auf 6 Jahre, während man anderswo mit zwölf, ja mit drei Monaten
zufrieden war. Die ältesten Statuten sprechen bloß von einem Wandern aus
der Stadt, die Bestimmung "aus dem Lande" findet sich erst später als Polizei¬
verordnung.


und so die Konkurrenz im Handwerk zu mindern, eine Absicht, die auch in
verschiedenen anderen Bestimmungen der alten Zunftgesetze deutlich zu Tage
tritt. Die Bedingung, daß der Geselle gewandert haben mußte, wenn er Zu¬
lassung unter die Meister finden wollte — eine Bedingung, von der nur
Meisterssöhne und solche, die Meisterstochter heiratheten, ausgenommen waren
— mußte in der That die Konkurrenz dauernd vermindern. Das Wandern
war damals beschwerlich und gefährlich, und gar mancher brave Bursch kam
nicht wieder heim, indem er entweder verunglückte oder Geschmack am Herum¬
streichen fand und zum Ströhmer und Fechtbruder wurde. Andere machten
sich in der Fremde ansässig, wieder Andere wurden durch Arbeitnehmer an
Orten, die ihr Handwerk in Verruf erklärt hatte, noch Andere dadurch unehr¬
lich und unfähig, daß sie Werbern in die Hände fielen und dem Kalbfell eine
Zeit lang folgen mußten.

Der Wauderzwang war auch im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
nicht allgemein eingeführt. Es gab — namentlich in Nürnberg — „gesperrte"
Handwerke, denen das Wandern verboten war, damit sie ihre Kunst und
deren Geheimnisse nicht nach fremden Orten trügen. Dahin gehörten die
Drahtzieher, die Brillenmacher, die Fingerhuter, die Spiegler, die Geschmeide-
macher, die allerhand Gehäuse, Kapseln, Laternen, Schreibzeuge und dergl. aus
Messingblech verfertigten, die Horndreher, die Sanduhrmacher, die Gold- und
Silberspinner und die Rothschmiedsdrechsler, ein Gewerbe, das zu den größten
jener alten Reichsstadt zählte. An einigen andern Orten war das Wandern
wenigstens beschränkt und erschwert, so z. B. bei den lübeker Goldschmieden
und Paternostermachern.

Die Wanderschaft konnte.erlassen werden, wenn ein körperliches Gebrechen
dazu untauglich machte, oder wenn der Betreffende zu Hause unentbehrlich war.
Sie konnte ferner in manchen Städten und Landschaften mit Geld abgelöst
werden. So bei den frankfurter Gerbern, bei den Beutlern in Jena, nament¬
lich aber in Würtemberg. Aber immer hielten die „Gewanderten" sich als
Leute, welche die Welt gesehen hatten, für besser als die, welche zu Hause ge¬
blieben waren und von der Dispensation „Gnadenmeister" hießen, und nie
wählte man letztere zu Zunftmeistern — „man trug die Lade am Hause des
Gncidemneisters vorbei."

Die vorgeschriebene Wanderzeit belief sich gewöhnlich ans 3 bis 4, bis¬
weilen auf 6 Jahre, während man anderswo mit zwölf, ja mit drei Monaten
zufrieden war. Die ältesten Statuten sprechen bloß von einem Wandern aus
der Stadt, die Bestimmung „aus dem Lande" findet sich erst später als Polizei¬
verordnung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138167"/>
          <p xml:id="ID_1329" prev="#ID_1328"> und so die Konkurrenz im Handwerk zu mindern, eine Absicht, die auch in<lb/>
verschiedenen anderen Bestimmungen der alten Zunftgesetze deutlich zu Tage<lb/>
tritt. Die Bedingung, daß der Geselle gewandert haben mußte, wenn er Zu¬<lb/>
lassung unter die Meister finden wollte &#x2014; eine Bedingung, von der nur<lb/>
Meisterssöhne und solche, die Meisterstochter heiratheten, ausgenommen waren<lb/>
&#x2014; mußte in der That die Konkurrenz dauernd vermindern. Das Wandern<lb/>
war damals beschwerlich und gefährlich, und gar mancher brave Bursch kam<lb/>
nicht wieder heim, indem er entweder verunglückte oder Geschmack am Herum¬<lb/>
streichen fand und zum Ströhmer und Fechtbruder wurde. Andere machten<lb/>
sich in der Fremde ansässig, wieder Andere wurden durch Arbeitnehmer an<lb/>
Orten, die ihr Handwerk in Verruf erklärt hatte, noch Andere dadurch unehr¬<lb/>
lich und unfähig, daß sie Werbern in die Hände fielen und dem Kalbfell eine<lb/>
Zeit lang folgen mußten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1330"> Der Wauderzwang war auch im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert<lb/>
nicht allgemein eingeführt. Es gab &#x2014; namentlich in Nürnberg &#x2014; &#x201E;gesperrte"<lb/>
Handwerke, denen das Wandern verboten war, damit sie ihre Kunst und<lb/>
deren Geheimnisse nicht nach fremden Orten trügen. Dahin gehörten die<lb/>
Drahtzieher, die Brillenmacher, die Fingerhuter, die Spiegler, die Geschmeide-<lb/>
macher, die allerhand Gehäuse, Kapseln, Laternen, Schreibzeuge und dergl. aus<lb/>
Messingblech verfertigten, die Horndreher, die Sanduhrmacher, die Gold- und<lb/>
Silberspinner und die Rothschmiedsdrechsler, ein Gewerbe, das zu den größten<lb/>
jener alten Reichsstadt zählte. An einigen andern Orten war das Wandern<lb/>
wenigstens beschränkt und erschwert, so z. B. bei den lübeker Goldschmieden<lb/>
und Paternostermachern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331"> Die Wanderschaft konnte.erlassen werden, wenn ein körperliches Gebrechen<lb/>
dazu untauglich machte, oder wenn der Betreffende zu Hause unentbehrlich war.<lb/>
Sie konnte ferner in manchen Städten und Landschaften mit Geld abgelöst<lb/>
werden. So bei den frankfurter Gerbern, bei den Beutlern in Jena, nament¬<lb/>
lich aber in Würtemberg. Aber immer hielten die &#x201E;Gewanderten" sich als<lb/>
Leute, welche die Welt gesehen hatten, für besser als die, welche zu Hause ge¬<lb/>
blieben waren und von der Dispensation &#x201E;Gnadenmeister" hießen, und nie<lb/>
wählte man letztere zu Zunftmeistern &#x2014; &#x201E;man trug die Lade am Hause des<lb/>
Gncidemneisters vorbei."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332"> Die vorgeschriebene Wanderzeit belief sich gewöhnlich ans 3 bis 4, bis¬<lb/>
weilen auf 6 Jahre, während man anderswo mit zwölf, ja mit drei Monaten<lb/>
zufrieden war. Die ältesten Statuten sprechen bloß von einem Wandern aus<lb/>
der Stadt, die Bestimmung &#x201E;aus dem Lande" findet sich erst später als Polizei¬<lb/>
verordnung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] und so die Konkurrenz im Handwerk zu mindern, eine Absicht, die auch in verschiedenen anderen Bestimmungen der alten Zunftgesetze deutlich zu Tage tritt. Die Bedingung, daß der Geselle gewandert haben mußte, wenn er Zu¬ lassung unter die Meister finden wollte — eine Bedingung, von der nur Meisterssöhne und solche, die Meisterstochter heiratheten, ausgenommen waren — mußte in der That die Konkurrenz dauernd vermindern. Das Wandern war damals beschwerlich und gefährlich, und gar mancher brave Bursch kam nicht wieder heim, indem er entweder verunglückte oder Geschmack am Herum¬ streichen fand und zum Ströhmer und Fechtbruder wurde. Andere machten sich in der Fremde ansässig, wieder Andere wurden durch Arbeitnehmer an Orten, die ihr Handwerk in Verruf erklärt hatte, noch Andere dadurch unehr¬ lich und unfähig, daß sie Werbern in die Hände fielen und dem Kalbfell eine Zeit lang folgen mußten. Der Wauderzwang war auch im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht allgemein eingeführt. Es gab — namentlich in Nürnberg — „gesperrte" Handwerke, denen das Wandern verboten war, damit sie ihre Kunst und deren Geheimnisse nicht nach fremden Orten trügen. Dahin gehörten die Drahtzieher, die Brillenmacher, die Fingerhuter, die Spiegler, die Geschmeide- macher, die allerhand Gehäuse, Kapseln, Laternen, Schreibzeuge und dergl. aus Messingblech verfertigten, die Horndreher, die Sanduhrmacher, die Gold- und Silberspinner und die Rothschmiedsdrechsler, ein Gewerbe, das zu den größten jener alten Reichsstadt zählte. An einigen andern Orten war das Wandern wenigstens beschränkt und erschwert, so z. B. bei den lübeker Goldschmieden und Paternostermachern. Die Wanderschaft konnte.erlassen werden, wenn ein körperliches Gebrechen dazu untauglich machte, oder wenn der Betreffende zu Hause unentbehrlich war. Sie konnte ferner in manchen Städten und Landschaften mit Geld abgelöst werden. So bei den frankfurter Gerbern, bei den Beutlern in Jena, nament¬ lich aber in Würtemberg. Aber immer hielten die „Gewanderten" sich als Leute, welche die Welt gesehen hatten, für besser als die, welche zu Hause ge¬ blieben waren und von der Dispensation „Gnadenmeister" hießen, und nie wählte man letztere zu Zunftmeistern — „man trug die Lade am Hause des Gncidemneisters vorbei." Die vorgeschriebene Wanderzeit belief sich gewöhnlich ans 3 bis 4, bis¬ weilen auf 6 Jahre, während man anderswo mit zwölf, ja mit drei Monaten zufrieden war. Die ältesten Statuten sprechen bloß von einem Wandern aus der Stadt, die Bestimmung „aus dem Lande" findet sich erst später als Polizei¬ verordnung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/466>, abgerufen am 03.07.2024.