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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Sogar eine und die andere persönliche Berührung zwischen den beiden Männern
kann stattgefunden haben, wenn sie auch gewiß nur sehr flüchtiger Natur ge¬
wesen ist. Man erzählt -- mit welchem Recht, wissen wir nicht --, daß
Lassalle Herrn v. Bismarck einmal aufgesucht habe, um sich bei ihm über die
Kvnfiszirnng einer von seinen Broschüren zu beschweren, und ein ander Mal
sollen beide sich auf der Leipziger Straße begegnet sein und plaudernd ein
Stück ueben einander hergegangen sein. Der Erwähnung dieses Gerüchts fügt
der biedere Bernhard Becker grimmig hinzu: "Die Arbeiter wußten davon
nichts", und in der That ließen sich volksverrätherische Zettelungeu recht wohl
auf geheimeren Wegen einfädeln als auf dem Trottoir der belebtesten Straße
Berlin's.

Am 7. Oktober l8L3 kehrte Lassalle von seiner rheinischen Agitationsreise
nach Berlin zurück. Er war mit seinen Erfolgen zufrieden; denn, wenn er
anch nur etwa fünfhundert neue Mitglieder für den Verein gewonnen hatte,
so hatte er doch die Freude gehabt, sich bei seinen Vorträgen von mehreren
Tausenden umgeben zu sehen. Er dachte jetzt ernstlich an die "Eroberung
Berlin's", zu welchem Zwecke er eine "Ansprache" an die dortigen Arbeiter
richtete. In diesem in 16,000 Exemplaren unentgeltlich vertheilten Schriftchen
reitet er, gehoben von seinen Triumphen in Düsseldorf und Solingen, ganz
gewaltig das hohe Pferd, und indem er die berliner Arbeiter im Namen
"vieler Tausende" ihrer Berufsgenossen auffordert, seinem Verein beizutreten,
schließt er bombastisch: "Durch meinen Mund sprechen zu Euch Eure Brüder
vom Rhein und vom Main, von der Elbe und der Nordsee. Die wichtigsten
Centren Deutschlands sind gewonnen. Leipzig und die Fabrikgegenden Sach¬
sens sind für uns. Hamburg und Frankfurt a. M. marschiren unter unsrer
Fahne. Das preußische Rheinland geht bereits im vollen Sturmschritt voran.
Mit Berlin wird die Bewegung unwiderstehlich." Das klang doch sehr nach
Marktschreierei. Geholfen aber hat es wenig; denn die Zahl der berliner Ver¬
einsmitglieder nahm keinen merklich zu; doch mochte es einigen Trost gewähren,
daß unter dem Zuwachs ein paar Gebildete waren. Auch Liebknecht, der l3
Jahre als Flüchtling in London gelebt und dort zu den Vertrauten von Marx
und Engels gehört hatte und jetzt Mitarbeiter der "Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung" war, wurde Mitglied des Vereins, doch betrachteten sich Lassalle und
er stets gegenseitig mit Mißtrauen.

Mehr noch als an der Gleichgiltigkeit der Arbeiter scheiterte die "Eroberung
Berlin's" an der festen Stellung, welche die fortschrittliche Presse in der Haupt¬
stadt Preußens inne hatte, und am Widerstande der Polizei, welche die Ver¬
einsmitglieder durch Haussuchungen und Beschlagnahme von Broschüren und
Stammlisten drcmgsalirte und die Wirthe bewog, Lassalle und seiner dünnen


Grenzboten II. 1377. S3

Sogar eine und die andere persönliche Berührung zwischen den beiden Männern
kann stattgefunden haben, wenn sie auch gewiß nur sehr flüchtiger Natur ge¬
wesen ist. Man erzählt — mit welchem Recht, wissen wir nicht —, daß
Lassalle Herrn v. Bismarck einmal aufgesucht habe, um sich bei ihm über die
Kvnfiszirnng einer von seinen Broschüren zu beschweren, und ein ander Mal
sollen beide sich auf der Leipziger Straße begegnet sein und plaudernd ein
Stück ueben einander hergegangen sein. Der Erwähnung dieses Gerüchts fügt
der biedere Bernhard Becker grimmig hinzu: „Die Arbeiter wußten davon
nichts", und in der That ließen sich volksverrätherische Zettelungeu recht wohl
auf geheimeren Wegen einfädeln als auf dem Trottoir der belebtesten Straße
Berlin's.

Am 7. Oktober l8L3 kehrte Lassalle von seiner rheinischen Agitationsreise
nach Berlin zurück. Er war mit seinen Erfolgen zufrieden; denn, wenn er
anch nur etwa fünfhundert neue Mitglieder für den Verein gewonnen hatte,
so hatte er doch die Freude gehabt, sich bei seinen Vorträgen von mehreren
Tausenden umgeben zu sehen. Er dachte jetzt ernstlich an die „Eroberung
Berlin's", zu welchem Zwecke er eine „Ansprache" an die dortigen Arbeiter
richtete. In diesem in 16,000 Exemplaren unentgeltlich vertheilten Schriftchen
reitet er, gehoben von seinen Triumphen in Düsseldorf und Solingen, ganz
gewaltig das hohe Pferd, und indem er die berliner Arbeiter im Namen
„vieler Tausende" ihrer Berufsgenossen auffordert, seinem Verein beizutreten,
schließt er bombastisch: „Durch meinen Mund sprechen zu Euch Eure Brüder
vom Rhein und vom Main, von der Elbe und der Nordsee. Die wichtigsten
Centren Deutschlands sind gewonnen. Leipzig und die Fabrikgegenden Sach¬
sens sind für uns. Hamburg und Frankfurt a. M. marschiren unter unsrer
Fahne. Das preußische Rheinland geht bereits im vollen Sturmschritt voran.
Mit Berlin wird die Bewegung unwiderstehlich." Das klang doch sehr nach
Marktschreierei. Geholfen aber hat es wenig; denn die Zahl der berliner Ver¬
einsmitglieder nahm keinen merklich zu; doch mochte es einigen Trost gewähren,
daß unter dem Zuwachs ein paar Gebildete waren. Auch Liebknecht, der l3
Jahre als Flüchtling in London gelebt und dort zu den Vertrauten von Marx
und Engels gehört hatte und jetzt Mitarbeiter der „Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung" war, wurde Mitglied des Vereins, doch betrachteten sich Lassalle und
er stets gegenseitig mit Mißtrauen.

Mehr noch als an der Gleichgiltigkeit der Arbeiter scheiterte die „Eroberung
Berlin's" an der festen Stellung, welche die fortschrittliche Presse in der Haupt¬
stadt Preußens inne hatte, und am Widerstande der Polizei, welche die Ver¬
einsmitglieder durch Haussuchungen und Beschlagnahme von Broschüren und
Stammlisten drcmgsalirte und die Wirthe bewog, Lassalle und seiner dünnen


Grenzboten II. 1377. S3
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[0461] Sogar eine und die andere persönliche Berührung zwischen den beiden Männern kann stattgefunden haben, wenn sie auch gewiß nur sehr flüchtiger Natur ge¬ wesen ist. Man erzählt — mit welchem Recht, wissen wir nicht —, daß Lassalle Herrn v. Bismarck einmal aufgesucht habe, um sich bei ihm über die Kvnfiszirnng einer von seinen Broschüren zu beschweren, und ein ander Mal sollen beide sich auf der Leipziger Straße begegnet sein und plaudernd ein Stück ueben einander hergegangen sein. Der Erwähnung dieses Gerüchts fügt der biedere Bernhard Becker grimmig hinzu: „Die Arbeiter wußten davon nichts", und in der That ließen sich volksverrätherische Zettelungeu recht wohl auf geheimeren Wegen einfädeln als auf dem Trottoir der belebtesten Straße Berlin's. Am 7. Oktober l8L3 kehrte Lassalle von seiner rheinischen Agitationsreise nach Berlin zurück. Er war mit seinen Erfolgen zufrieden; denn, wenn er anch nur etwa fünfhundert neue Mitglieder für den Verein gewonnen hatte, so hatte er doch die Freude gehabt, sich bei seinen Vorträgen von mehreren Tausenden umgeben zu sehen. Er dachte jetzt ernstlich an die „Eroberung Berlin's", zu welchem Zwecke er eine „Ansprache" an die dortigen Arbeiter richtete. In diesem in 16,000 Exemplaren unentgeltlich vertheilten Schriftchen reitet er, gehoben von seinen Triumphen in Düsseldorf und Solingen, ganz gewaltig das hohe Pferd, und indem er die berliner Arbeiter im Namen „vieler Tausende" ihrer Berufsgenossen auffordert, seinem Verein beizutreten, schließt er bombastisch: „Durch meinen Mund sprechen zu Euch Eure Brüder vom Rhein und vom Main, von der Elbe und der Nordsee. Die wichtigsten Centren Deutschlands sind gewonnen. Leipzig und die Fabrikgegenden Sach¬ sens sind für uns. Hamburg und Frankfurt a. M. marschiren unter unsrer Fahne. Das preußische Rheinland geht bereits im vollen Sturmschritt voran. Mit Berlin wird die Bewegung unwiderstehlich." Das klang doch sehr nach Marktschreierei. Geholfen aber hat es wenig; denn die Zahl der berliner Ver¬ einsmitglieder nahm keinen merklich zu; doch mochte es einigen Trost gewähren, daß unter dem Zuwachs ein paar Gebildete waren. Auch Liebknecht, der l3 Jahre als Flüchtling in London gelebt und dort zu den Vertrauten von Marx und Engels gehört hatte und jetzt Mitarbeiter der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" war, wurde Mitglied des Vereins, doch betrachteten sich Lassalle und er stets gegenseitig mit Mißtrauen. Mehr noch als an der Gleichgiltigkeit der Arbeiter scheiterte die „Eroberung Berlin's" an der festen Stellung, welche die fortschrittliche Presse in der Haupt¬ stadt Preußens inne hatte, und am Widerstande der Polizei, welche die Ver¬ einsmitglieder durch Haussuchungen und Beschlagnahme von Broschüren und Stammlisten drcmgsalirte und die Wirthe bewog, Lassalle und seiner dünnen Grenzboten II. 1377. S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/461>, abgerufen am 23.07.2024.