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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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lion, in allen seinen Reden und Schriften gab von Stund an dieses Motiv
den Grundton ab. Im März 1864 sprach er vor dem berliner Kammergerichte
den innersten Gedanken seiner neuen Taktik mit den Worten aus: "Es ist die
stärkste Diplomatie, welche ihre Berechnungen mit keiner Heimlichkeit zu um¬
geben braucht, weil sie auf erzene Nothwendigkeit gegründet sind. Und so ver¬
kündige ich Ihnen an diesem feierlichen Orte, es wird vielleicht kein Jahr mehr
vergehen, und Herr v. Bismarck hat die Rolle Robert Peel's gespielt, und das
allgemeine und direkte Wahlrecht ist oktroyirt." Lassalle erwartete und sprach
unverhohlen aus, daß wenigstens in Preußen das Volk, unbekümmert um
innere Konflikte, einer nationalen Politik in großem Stile und mit energischem
Vorgehen jubelnd zustimmen würde; er hoffte, daß Herr v. Bismarck durch
Verleihung des allgemeinen Wahlrechts den in der Masse der Nation schlum¬
mernden Einheitsdrang gegen den dynastischen Widerstand der Fürsten und die
parlamentarische Opposition der Fortschrittspartei aufrufen würde, und in dieser
Krisis dachte er an der Spitze eiuer vielleicht uicht zahlreichen, aber entschlossenen
und klarblickender Arbeiterschar ein wirksames Wort mitzusprechen. Er kehrte
den Vers Virgil's um und sagte: "Kann ich den Acheron nicht aufregen, beweg'
ich die droben."

Während des Winters von 1863 zu 1864 wurde der Umschwung in
seinem Denken und Thun deutlicher, und selbst eifrige Anhänger seiner Lehre
fingen an, irre an ihm zu werde". Als Halbgebildete waren sie unfähig, die
innere Entwickelung eines Charakters, wie Lassalle war, zu verstehen, und so
versuchten sie, sich das Räthsel durch Annnahme äußerer Beweggründe zu lösen.
Bernhard Becker erzählt, daß Lassalle durch seine Verbindung mit Boeckh,
Förster und General Pfuel über die Pläne Bismarck's auf dem Laufenden er¬
halten worden. Man sollte glauben, es gäbe nichts Absurderes als diese Mit¬
theilung. Aber Vahlteich bringt es fertig, wenn er wissen will, daß die zarten
Hände der Gräfin Hcchfeldt die intimen Bande zwischen dem Ministerpräsi¬
denten und dem Arbeiterführer gewoben hätten. Warum nicht gar? fragen
jetzt vermuthlich selbst sehr einfache Gemüther unter den sächsischen Lands¬
leuten des superkluger Schusters. Lassalle's Beziehungen zu den entgegenge¬
setzten Polen der politischen Welt liegen klar vor. Er kvrrespondirte mit eini¬
gen konservativen Schriftstellern, z. B. mit Huber. Wenn Wagner im Abge¬
ordnetenhause die Arbeiterbewegung als Schreckgespenst für die Fortschritts¬
partei spuken ließ,'machte das auf Lassalle's Eitelkeit eiuen beglückenden Ein¬
druck. Gelegentlich nahm letzterer die Gefälligkeit Wagner's in Anspruch, wenn
es ihm darum zu thun war, eine Berichtigung in die Spalten der "Kreuz¬
zeitung" zu bringen. Mit peinlicher Gewissenheit sorgte er ferner dafür, daß
alle seine Veröffentlichungen in die Hände des Ministerpräsidenten gelangten.


lion, in allen seinen Reden und Schriften gab von Stund an dieses Motiv
den Grundton ab. Im März 1864 sprach er vor dem berliner Kammergerichte
den innersten Gedanken seiner neuen Taktik mit den Worten aus: „Es ist die
stärkste Diplomatie, welche ihre Berechnungen mit keiner Heimlichkeit zu um¬
geben braucht, weil sie auf erzene Nothwendigkeit gegründet sind. Und so ver¬
kündige ich Ihnen an diesem feierlichen Orte, es wird vielleicht kein Jahr mehr
vergehen, und Herr v. Bismarck hat die Rolle Robert Peel's gespielt, und das
allgemeine und direkte Wahlrecht ist oktroyirt." Lassalle erwartete und sprach
unverhohlen aus, daß wenigstens in Preußen das Volk, unbekümmert um
innere Konflikte, einer nationalen Politik in großem Stile und mit energischem
Vorgehen jubelnd zustimmen würde; er hoffte, daß Herr v. Bismarck durch
Verleihung des allgemeinen Wahlrechts den in der Masse der Nation schlum¬
mernden Einheitsdrang gegen den dynastischen Widerstand der Fürsten und die
parlamentarische Opposition der Fortschrittspartei aufrufen würde, und in dieser
Krisis dachte er an der Spitze eiuer vielleicht uicht zahlreichen, aber entschlossenen
und klarblickender Arbeiterschar ein wirksames Wort mitzusprechen. Er kehrte
den Vers Virgil's um und sagte: „Kann ich den Acheron nicht aufregen, beweg'
ich die droben."

Während des Winters von 1863 zu 1864 wurde der Umschwung in
seinem Denken und Thun deutlicher, und selbst eifrige Anhänger seiner Lehre
fingen an, irre an ihm zu werde«. Als Halbgebildete waren sie unfähig, die
innere Entwickelung eines Charakters, wie Lassalle war, zu verstehen, und so
versuchten sie, sich das Räthsel durch Annnahme äußerer Beweggründe zu lösen.
Bernhard Becker erzählt, daß Lassalle durch seine Verbindung mit Boeckh,
Förster und General Pfuel über die Pläne Bismarck's auf dem Laufenden er¬
halten worden. Man sollte glauben, es gäbe nichts Absurderes als diese Mit¬
theilung. Aber Vahlteich bringt es fertig, wenn er wissen will, daß die zarten
Hände der Gräfin Hcchfeldt die intimen Bande zwischen dem Ministerpräsi¬
denten und dem Arbeiterführer gewoben hätten. Warum nicht gar? fragen
jetzt vermuthlich selbst sehr einfache Gemüther unter den sächsischen Lands¬
leuten des superkluger Schusters. Lassalle's Beziehungen zu den entgegenge¬
setzten Polen der politischen Welt liegen klar vor. Er kvrrespondirte mit eini¬
gen konservativen Schriftstellern, z. B. mit Huber. Wenn Wagner im Abge¬
ordnetenhause die Arbeiterbewegung als Schreckgespenst für die Fortschritts¬
partei spuken ließ,'machte das auf Lassalle's Eitelkeit eiuen beglückenden Ein¬
druck. Gelegentlich nahm letzterer die Gefälligkeit Wagner's in Anspruch, wenn
es ihm darum zu thun war, eine Berichtigung in die Spalten der „Kreuz¬
zeitung" zu bringen. Mit peinlicher Gewissenheit sorgte er ferner dafür, daß
alle seine Veröffentlichungen in die Hände des Ministerpräsidenten gelangten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/460>, abgerufen am 03.07.2024.