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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Verein zu gewinnen, wenig Glück. Unter den Vorstandsmitgliedern war nnr
ein Mann von Bildung, Kaufmann Levy in Düsseldorf, der Kassirer des Ver¬
eins. Der Vereinssekretär Vahlteich war ein Prototyp jener anmaßenden
Halbwisserei, für die gerade die einfachsten Gedanken Muskate sind. Nur
wenige von den Bevollmächtigten begriffen die Taktik des Agitators, sie wollten
das Dasein des Vereins der staunenden Welt durch große Thaten verkünden:
Unterstützungskassen für fechtende Handwerksburschen schaffen, gesellige Ver¬
gnügungen in riesigen Maßen arrangiren, "Freiwilligenchöre" zur Befreiung
der Schleswig-Holsteiner, der Polacken oder andrer verlassener Menschenbruder-
stämme organisiren, und was des einfältigen Zeuges mehr war. In diesem
Kampfe mit dem unendlich Kleinen zeigt sich Lassalle von einer beneidens¬
werten Geduld. Nur selten geschah es, daß er, müde geworden, zu be¬
ruhigen, aufzuklären und allerlei Argumente zu entwickeln, den Kampf, in
dem selbst Götter unterliegen, aufgab und verzweifelt ausrief: "Sollten Sie
noch nicht überzeugt sein, mein Lieber, so rufe ich die Disciplin an; es muß
eben ein Wille sein."

So vergingen die ersten Wochen des Vereins, der Präsident in Berlin
und der Sekretär in Leipzig schickten nach allen Himmelsrichtungen Briefe,
Broschüren, Zirkulare, Statuten, es war und blieb ein Schöpfen ins Faß der
Danaiden, und namentlich in Süddeutschland war nichts zu machen. Ein
Glück noch für Lassalle, daß die gegnerische Presse seine Erfolge überschätzte
und die Mitgliederzahl seines Vereins für zehnfach größer hielt, als sie in
Wirklichkeit war.

Der erste Monat war vergangen, und Lassalle hatte wenigstens so viel
erreicht, daß Freund und Feind gespannt der Dinge warteten, die da kommen
sollten. Da erschien am 27. Juni in der "Deutschen Allgemeinen Zeitung,"
die dem Agitator gelegentlich als Moniteur diente, eine Proklamation, in
welcher er urdi ot c>M verkündete, daß er ans mehrere Monate in die Bäder
reise und Dämmer zu seinem Stellvertreter eingesetzt habe. Grenzelllos war
der Hohn und Spott, der darauf hiu auf ihn herabregnete, und in der That
hatte der Erlaß an seine Getreuen in häßlicher Weise gezeigt, wie hoch ihm
seine Persoll über der Sache stand, die er so oft als die heiligste und wich¬
tigste aller Kulturfragen bezeichnet hatte. Dieses zeitweilige Preisgeben eiuer
Thätigkeit, bei der es sich für ihn nur um die Alternative: Sieg oder ehren¬
vollen Untergang, handeln konnte, war für einen Reformator einfach unver¬
antwortlich. Lassalle scheint dies uicht gefühlt zu haben, er ließ den Sturm
über sich ergehen und begab sich zuerst in ein Schweizerbad, dann nach
Ostende.

Während dieser Zeit arbeiteten Dämmer und Vahlteich nach besten Kräften


Verein zu gewinnen, wenig Glück. Unter den Vorstandsmitgliedern war nnr
ein Mann von Bildung, Kaufmann Levy in Düsseldorf, der Kassirer des Ver¬
eins. Der Vereinssekretär Vahlteich war ein Prototyp jener anmaßenden
Halbwisserei, für die gerade die einfachsten Gedanken Muskate sind. Nur
wenige von den Bevollmächtigten begriffen die Taktik des Agitators, sie wollten
das Dasein des Vereins der staunenden Welt durch große Thaten verkünden:
Unterstützungskassen für fechtende Handwerksburschen schaffen, gesellige Ver¬
gnügungen in riesigen Maßen arrangiren, „Freiwilligenchöre" zur Befreiung
der Schleswig-Holsteiner, der Polacken oder andrer verlassener Menschenbruder-
stämme organisiren, und was des einfältigen Zeuges mehr war. In diesem
Kampfe mit dem unendlich Kleinen zeigt sich Lassalle von einer beneidens¬
werten Geduld. Nur selten geschah es, daß er, müde geworden, zu be¬
ruhigen, aufzuklären und allerlei Argumente zu entwickeln, den Kampf, in
dem selbst Götter unterliegen, aufgab und verzweifelt ausrief: „Sollten Sie
noch nicht überzeugt sein, mein Lieber, so rufe ich die Disciplin an; es muß
eben ein Wille sein."

So vergingen die ersten Wochen des Vereins, der Präsident in Berlin
und der Sekretär in Leipzig schickten nach allen Himmelsrichtungen Briefe,
Broschüren, Zirkulare, Statuten, es war und blieb ein Schöpfen ins Faß der
Danaiden, und namentlich in Süddeutschland war nichts zu machen. Ein
Glück noch für Lassalle, daß die gegnerische Presse seine Erfolge überschätzte
und die Mitgliederzahl seines Vereins für zehnfach größer hielt, als sie in
Wirklichkeit war.

Der erste Monat war vergangen, und Lassalle hatte wenigstens so viel
erreicht, daß Freund und Feind gespannt der Dinge warteten, die da kommen
sollten. Da erschien am 27. Juni in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung,"
die dem Agitator gelegentlich als Moniteur diente, eine Proklamation, in
welcher er urdi ot c>M verkündete, daß er ans mehrere Monate in die Bäder
reise und Dämmer zu seinem Stellvertreter eingesetzt habe. Grenzelllos war
der Hohn und Spott, der darauf hiu auf ihn herabregnete, und in der That
hatte der Erlaß an seine Getreuen in häßlicher Weise gezeigt, wie hoch ihm
seine Persoll über der Sache stand, die er so oft als die heiligste und wich¬
tigste aller Kulturfragen bezeichnet hatte. Dieses zeitweilige Preisgeben eiuer
Thätigkeit, bei der es sich für ihn nur um die Alternative: Sieg oder ehren¬
vollen Untergang, handeln konnte, war für einen Reformator einfach unver¬
antwortlich. Lassalle scheint dies uicht gefühlt zu haben, er ließ den Sturm
über sich ergehen und begab sich zuerst in ein Schweizerbad, dann nach
Ostende.

Während dieser Zeit arbeiteten Dämmer und Vahlteich nach besten Kräften


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[0457] Verein zu gewinnen, wenig Glück. Unter den Vorstandsmitgliedern war nnr ein Mann von Bildung, Kaufmann Levy in Düsseldorf, der Kassirer des Ver¬ eins. Der Vereinssekretär Vahlteich war ein Prototyp jener anmaßenden Halbwisserei, für die gerade die einfachsten Gedanken Muskate sind. Nur wenige von den Bevollmächtigten begriffen die Taktik des Agitators, sie wollten das Dasein des Vereins der staunenden Welt durch große Thaten verkünden: Unterstützungskassen für fechtende Handwerksburschen schaffen, gesellige Ver¬ gnügungen in riesigen Maßen arrangiren, „Freiwilligenchöre" zur Befreiung der Schleswig-Holsteiner, der Polacken oder andrer verlassener Menschenbruder- stämme organisiren, und was des einfältigen Zeuges mehr war. In diesem Kampfe mit dem unendlich Kleinen zeigt sich Lassalle von einer beneidens¬ werten Geduld. Nur selten geschah es, daß er, müde geworden, zu be¬ ruhigen, aufzuklären und allerlei Argumente zu entwickeln, den Kampf, in dem selbst Götter unterliegen, aufgab und verzweifelt ausrief: „Sollten Sie noch nicht überzeugt sein, mein Lieber, so rufe ich die Disciplin an; es muß eben ein Wille sein." So vergingen die ersten Wochen des Vereins, der Präsident in Berlin und der Sekretär in Leipzig schickten nach allen Himmelsrichtungen Briefe, Broschüren, Zirkulare, Statuten, es war und blieb ein Schöpfen ins Faß der Danaiden, und namentlich in Süddeutschland war nichts zu machen. Ein Glück noch für Lassalle, daß die gegnerische Presse seine Erfolge überschätzte und die Mitgliederzahl seines Vereins für zehnfach größer hielt, als sie in Wirklichkeit war. Der erste Monat war vergangen, und Lassalle hatte wenigstens so viel erreicht, daß Freund und Feind gespannt der Dinge warteten, die da kommen sollten. Da erschien am 27. Juni in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung," die dem Agitator gelegentlich als Moniteur diente, eine Proklamation, in welcher er urdi ot c>M verkündete, daß er ans mehrere Monate in die Bäder reise und Dämmer zu seinem Stellvertreter eingesetzt habe. Grenzelllos war der Hohn und Spott, der darauf hiu auf ihn herabregnete, und in der That hatte der Erlaß an seine Getreuen in häßlicher Weise gezeigt, wie hoch ihm seine Persoll über der Sache stand, die er so oft als die heiligste und wich¬ tigste aller Kulturfragen bezeichnet hatte. Dieses zeitweilige Preisgeben eiuer Thätigkeit, bei der es sich für ihn nur um die Alternative: Sieg oder ehren¬ vollen Untergang, handeln konnte, war für einen Reformator einfach unver¬ antwortlich. Lassalle scheint dies uicht gefühlt zu haben, er ließ den Sturm über sich ergehen und begab sich zuerst in ein Schweizerbad, dann nach Ostende. Während dieser Zeit arbeiteten Dämmer und Vahlteich nach besten Kräften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/457>, abgerufen am 03.07.2024.