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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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großen Agitationsvereins zur Erkämpfung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
drucken und vertheilen ließ. Noch aber schwankte er, als der Verband der
Arbeitervereine des Maingaues den Beschluß faßte, ihn und Schulze-Delitzsch
zum 17. Mai auf den Arbeitertag zu Frankfurt a. M. einzuladen, wo die
beiden Gegner in öffentlicher Wechselrede um den Sieg kämpfen sollten.
Schutze lehnte wegen palamentarischer Geschäfte ab, Lassalle aber kam und
hielt an zwei Abenden die große Rede, die bald darauf als "Arbeiterlesebuch"
im Druck erschien. Er sprach in derselben das vielberufene Wort von der
Hundert-Millionen-Anleihe aus, die vorläufig genügen werde, die Entwickelung
des nationalen Systems der Produktivassoziationen zu sichern, und deutete
gegen den Schluß hin an, daß er, wenn die Versammlung sich gegen ihn ent¬
scheide, sich wieder ins Privatleben zurückziehen werde. Die große Mehrzahl
seiner Zuhörer erklärte sich für ihn, und einen gleichen Triumph erlebte er
Tags darauf in Mainz. Wieder berauschte ihn der Jnbel der Menge, und
neuer Hoffnungen und Entwürfe voll, begab er sich nach Leipzig, wo am
23. Mai der allgemeine deutsche Arbeiterverein in einer Zusammenkunft der
Vertreter von elf Arbeitervereinen gegründet wurde. Der einzige Zweck des¬
selben sollte nach den Statuten die Wirksamkeit für die Herstellung des allge¬
meinen gleichen Wahlrechts sein. Der Vorstand soll, so hieß es weiter, ans
einem Präsidenten und 24 über ganz Deutschland vertheilten Mitgliedern be¬
stehen. Ihre Wahl erfolgt durch die alljährlich einmal stattfindende General¬
versammlung. Der Präsident aber wird das erste Mal auf fünf Jahre ge¬
wählt. Wenn er es für dringlich hält, kann er, vorbehaltlich der binnen drei
Monaten einzuholenden Genehmigung des Vorstandes, alle Anordnungen
treffen. Er setzt Zeit und Ort für die Generalversammlungen und Vorstands-
berathuugen an. In Behinderungssällen ernennt er einen Vizepräsidenten.
Der Kassirer hat auf jede Anweisung des Präsidenten Zahlung zu leisten,
während der letztere von jeder Kontrole über das Rechnungswesen ausgeschlossen
ist. Das Eintrittsgeld beträgt 2 Silbergroschen, der spätere Wocheubeitrag
6 Pfennige. Die Dauer des Vereins ist ans dreißig Jahre fetzgesetzt. Zweig¬
vereine dürfen nicht gebildet werden, für alle Städte, in denen der Verein
Mitglieder hat, ernennt der Präsident Bevollmächtigte. Diese Bestimmungen
gaben Lassalle, wenn er sich an die Spitze stellen ließ, fast die Gewalt eines
Diktators. Noch schwankte er während der Versammlung, dann gab er dem
Drängen der Gräfin Hatzfeldt nach. Was er plante, war nichts Kleines: als
Vorbild schwebte ihm Cobden's Agitation gegen die Getreidezölle vor, er ge¬
dachte die großen Zahlen, die ihm unablässig vor den Augen flimmerten, im
Sturme zu erobern, er hoffte schon im ersten Jahre hunderttausend Arbeiter
unter seinem Programme zu sammeln. Mit Entzücken sprach er von einer


großen Agitationsvereins zur Erkämpfung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
drucken und vertheilen ließ. Noch aber schwankte er, als der Verband der
Arbeitervereine des Maingaues den Beschluß faßte, ihn und Schulze-Delitzsch
zum 17. Mai auf den Arbeitertag zu Frankfurt a. M. einzuladen, wo die
beiden Gegner in öffentlicher Wechselrede um den Sieg kämpfen sollten.
Schutze lehnte wegen palamentarischer Geschäfte ab, Lassalle aber kam und
hielt an zwei Abenden die große Rede, die bald darauf als „Arbeiterlesebuch"
im Druck erschien. Er sprach in derselben das vielberufene Wort von der
Hundert-Millionen-Anleihe aus, die vorläufig genügen werde, die Entwickelung
des nationalen Systems der Produktivassoziationen zu sichern, und deutete
gegen den Schluß hin an, daß er, wenn die Versammlung sich gegen ihn ent¬
scheide, sich wieder ins Privatleben zurückziehen werde. Die große Mehrzahl
seiner Zuhörer erklärte sich für ihn, und einen gleichen Triumph erlebte er
Tags darauf in Mainz. Wieder berauschte ihn der Jnbel der Menge, und
neuer Hoffnungen und Entwürfe voll, begab er sich nach Leipzig, wo am
23. Mai der allgemeine deutsche Arbeiterverein in einer Zusammenkunft der
Vertreter von elf Arbeitervereinen gegründet wurde. Der einzige Zweck des¬
selben sollte nach den Statuten die Wirksamkeit für die Herstellung des allge¬
meinen gleichen Wahlrechts sein. Der Vorstand soll, so hieß es weiter, ans
einem Präsidenten und 24 über ganz Deutschland vertheilten Mitgliedern be¬
stehen. Ihre Wahl erfolgt durch die alljährlich einmal stattfindende General¬
versammlung. Der Präsident aber wird das erste Mal auf fünf Jahre ge¬
wählt. Wenn er es für dringlich hält, kann er, vorbehaltlich der binnen drei
Monaten einzuholenden Genehmigung des Vorstandes, alle Anordnungen
treffen. Er setzt Zeit und Ort für die Generalversammlungen und Vorstands-
berathuugen an. In Behinderungssällen ernennt er einen Vizepräsidenten.
Der Kassirer hat auf jede Anweisung des Präsidenten Zahlung zu leisten,
während der letztere von jeder Kontrole über das Rechnungswesen ausgeschlossen
ist. Das Eintrittsgeld beträgt 2 Silbergroschen, der spätere Wocheubeitrag
6 Pfennige. Die Dauer des Vereins ist ans dreißig Jahre fetzgesetzt. Zweig¬
vereine dürfen nicht gebildet werden, für alle Städte, in denen der Verein
Mitglieder hat, ernennt der Präsident Bevollmächtigte. Diese Bestimmungen
gaben Lassalle, wenn er sich an die Spitze stellen ließ, fast die Gewalt eines
Diktators. Noch schwankte er während der Versammlung, dann gab er dem
Drängen der Gräfin Hatzfeldt nach. Was er plante, war nichts Kleines: als
Vorbild schwebte ihm Cobden's Agitation gegen die Getreidezölle vor, er ge¬
dachte die großen Zahlen, die ihm unablässig vor den Augen flimmerten, im
Sturme zu erobern, er hoffte schon im ersten Jahre hunderttausend Arbeiter
unter seinem Programme zu sammeln. Mit Entzücken sprach er von einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/455>, abgerufen am 23.07.2024.