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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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betheiligen. Aber sicher war sein Entschluß jetzt gefaßt, an die Spitze des
Arbeitervereins zu treten, dessen Plan er in dem "Antwortschreiben" entrollt
hatte, und von dem er hoffte, er werde binnen Kurzem hunderttausend Mit¬
glieder mit 150,000 Thalern an jährlichen Agitativnsmitteln umfassen. Er
sollte bald erfahren, wie sehr er sich mit diesem Traume getäuscht hatte. Das
Ceutralkvmit6 nahm den Bescheid Lassalle's allerdings zustimmend auf, in
gleicher Weise entschied sich der leipziger Arbeiterverein, und ames in Hamburg,
Köln, Düsseldorf und Solingen äußerten sich Stimmen für ihn. Im Uebrigen
erklärten sich durch ganz Deutschland die Arbeitervereine gegen ihn, in Berlin
konnte er nicht mehr öffentlich sprechen, ohne tumultuarisch unterbrochen zu
werdeu, und die Presse protestirte laut und in den stärksten Ausdrücken gegen
seinen Gedankengang. Ihren Vorwurf, er sei ein Werkzeug der Reaktion,
durfte er mit verächtlichem Lächeln erwidern, schwerer trafen ihn die Angriffe,
welche sie gegen die Wahrheit des ehernen Lvhngesetzes richtete. Um diesen
zu begegnen, entschloß er sich anderthalb Monate nach Veröffentlichung des
öffentlichen "Antwortschreibens" vor den leipziger Arbeitern zu sprechen. Seine
Rede erschien dann nnter dem Titel "Zur Arbeiterfrage", sie besteht in der
Hauptsache aus Citaten über die wirthschaftliche Regelung des Arbeitslohnes,
die den Werken von Sah, Ricardo, Smith, Röscher u. A. entnommen sind.
Die Versammlung, vor der sie gehalten wurde, war 1300 Köpfe stark. Sie
erklärte sich mit Ausnahme weniger Stimmen für den Redner, und Lassalle
war eiuen Augenblick glücklich über diesen ersten nennenswerthen Erfolg seiner
Agitation. Aber bei kühlerer Betrachtung hätte er sich sagen müssen, daß
damit wenig erreicht war. Er hatte einen kleinen Theil der Arbeiter aus
seiner Gleichgültigkeit aufgerüttelt, aber aus den Kreisen der gebildeten Welt
schallte ihm kein Echo seiner Gedanken entgegen. Niemand bekannte sich zu
ihm, keiner wenigstens, der ihm ein werthvoller Bundesgenosse hätte sein
können, wollte mit ihm wirken. Rodbertns nannte allerdings in seiner Antwort
auf das Schreiben der Leipziger das eherne Lohngesetz unanfechtbar, wollte
aber von der Organisation der Arbeiter zu einer politischen Partei nichts
wissen. Auch ein so klarer und umsichtiger Kopf wie Bucher schrieb zwar
nach Leipzig: "Ich verliere keine Zeit, meine Ueberzeugung auszusprechen, daß
die Lehre der Manchesterschnle: der Staat habe nur für die Persönliche
Sicherheit zu sorgen und alles Andere gehen zu lassen, vor der Wissenschaft,
vor der Geschichte und vor der Praxis nicht besteht," hatte aber offenbar auch
kein Vertrauen zu den positiven Rathschlügen Lassalle's. Daß der Professor
Wuttke sich in der ihm eignen unklaren Weise für den Agitator aussprach, war
eher nachtheilig für diesen als vou Werth.

Dennoch ging Lassalle weiter, indem er die Statuten des zu gründenden


betheiligen. Aber sicher war sein Entschluß jetzt gefaßt, an die Spitze des
Arbeitervereins zu treten, dessen Plan er in dem „Antwortschreiben" entrollt
hatte, und von dem er hoffte, er werde binnen Kurzem hunderttausend Mit¬
glieder mit 150,000 Thalern an jährlichen Agitativnsmitteln umfassen. Er
sollte bald erfahren, wie sehr er sich mit diesem Traume getäuscht hatte. Das
Ceutralkvmit6 nahm den Bescheid Lassalle's allerdings zustimmend auf, in
gleicher Weise entschied sich der leipziger Arbeiterverein, und ames in Hamburg,
Köln, Düsseldorf und Solingen äußerten sich Stimmen für ihn. Im Uebrigen
erklärten sich durch ganz Deutschland die Arbeitervereine gegen ihn, in Berlin
konnte er nicht mehr öffentlich sprechen, ohne tumultuarisch unterbrochen zu
werdeu, und die Presse protestirte laut und in den stärksten Ausdrücken gegen
seinen Gedankengang. Ihren Vorwurf, er sei ein Werkzeug der Reaktion,
durfte er mit verächtlichem Lächeln erwidern, schwerer trafen ihn die Angriffe,
welche sie gegen die Wahrheit des ehernen Lvhngesetzes richtete. Um diesen
zu begegnen, entschloß er sich anderthalb Monate nach Veröffentlichung des
öffentlichen „Antwortschreibens" vor den leipziger Arbeitern zu sprechen. Seine
Rede erschien dann nnter dem Titel „Zur Arbeiterfrage", sie besteht in der
Hauptsache aus Citaten über die wirthschaftliche Regelung des Arbeitslohnes,
die den Werken von Sah, Ricardo, Smith, Röscher u. A. entnommen sind.
Die Versammlung, vor der sie gehalten wurde, war 1300 Köpfe stark. Sie
erklärte sich mit Ausnahme weniger Stimmen für den Redner, und Lassalle
war eiuen Augenblick glücklich über diesen ersten nennenswerthen Erfolg seiner
Agitation. Aber bei kühlerer Betrachtung hätte er sich sagen müssen, daß
damit wenig erreicht war. Er hatte einen kleinen Theil der Arbeiter aus
seiner Gleichgültigkeit aufgerüttelt, aber aus den Kreisen der gebildeten Welt
schallte ihm kein Echo seiner Gedanken entgegen. Niemand bekannte sich zu
ihm, keiner wenigstens, der ihm ein werthvoller Bundesgenosse hätte sein
können, wollte mit ihm wirken. Rodbertns nannte allerdings in seiner Antwort
auf das Schreiben der Leipziger das eherne Lohngesetz unanfechtbar, wollte
aber von der Organisation der Arbeiter zu einer politischen Partei nichts
wissen. Auch ein so klarer und umsichtiger Kopf wie Bucher schrieb zwar
nach Leipzig: „Ich verliere keine Zeit, meine Ueberzeugung auszusprechen, daß
die Lehre der Manchesterschnle: der Staat habe nur für die Persönliche
Sicherheit zu sorgen und alles Andere gehen zu lassen, vor der Wissenschaft,
vor der Geschichte und vor der Praxis nicht besteht," hatte aber offenbar auch
kein Vertrauen zu den positiven Rathschlügen Lassalle's. Daß der Professor
Wuttke sich in der ihm eignen unklaren Weise für den Agitator aussprach, war
eher nachtheilig für diesen als vou Werth.

Dennoch ging Lassalle weiter, indem er die Statuten des zu gründenden


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[0454] betheiligen. Aber sicher war sein Entschluß jetzt gefaßt, an die Spitze des Arbeitervereins zu treten, dessen Plan er in dem „Antwortschreiben" entrollt hatte, und von dem er hoffte, er werde binnen Kurzem hunderttausend Mit¬ glieder mit 150,000 Thalern an jährlichen Agitativnsmitteln umfassen. Er sollte bald erfahren, wie sehr er sich mit diesem Traume getäuscht hatte. Das Ceutralkvmit6 nahm den Bescheid Lassalle's allerdings zustimmend auf, in gleicher Weise entschied sich der leipziger Arbeiterverein, und ames in Hamburg, Köln, Düsseldorf und Solingen äußerten sich Stimmen für ihn. Im Uebrigen erklärten sich durch ganz Deutschland die Arbeitervereine gegen ihn, in Berlin konnte er nicht mehr öffentlich sprechen, ohne tumultuarisch unterbrochen zu werdeu, und die Presse protestirte laut und in den stärksten Ausdrücken gegen seinen Gedankengang. Ihren Vorwurf, er sei ein Werkzeug der Reaktion, durfte er mit verächtlichem Lächeln erwidern, schwerer trafen ihn die Angriffe, welche sie gegen die Wahrheit des ehernen Lvhngesetzes richtete. Um diesen zu begegnen, entschloß er sich anderthalb Monate nach Veröffentlichung des öffentlichen „Antwortschreibens" vor den leipziger Arbeitern zu sprechen. Seine Rede erschien dann nnter dem Titel „Zur Arbeiterfrage", sie besteht in der Hauptsache aus Citaten über die wirthschaftliche Regelung des Arbeitslohnes, die den Werken von Sah, Ricardo, Smith, Röscher u. A. entnommen sind. Die Versammlung, vor der sie gehalten wurde, war 1300 Köpfe stark. Sie erklärte sich mit Ausnahme weniger Stimmen für den Redner, und Lassalle war eiuen Augenblick glücklich über diesen ersten nennenswerthen Erfolg seiner Agitation. Aber bei kühlerer Betrachtung hätte er sich sagen müssen, daß damit wenig erreicht war. Er hatte einen kleinen Theil der Arbeiter aus seiner Gleichgültigkeit aufgerüttelt, aber aus den Kreisen der gebildeten Welt schallte ihm kein Echo seiner Gedanken entgegen. Niemand bekannte sich zu ihm, keiner wenigstens, der ihm ein werthvoller Bundesgenosse hätte sein können, wollte mit ihm wirken. Rodbertns nannte allerdings in seiner Antwort auf das Schreiben der Leipziger das eherne Lohngesetz unanfechtbar, wollte aber von der Organisation der Arbeiter zu einer politischen Partei nichts wissen. Auch ein so klarer und umsichtiger Kopf wie Bucher schrieb zwar nach Leipzig: „Ich verliere keine Zeit, meine Ueberzeugung auszusprechen, daß die Lehre der Manchesterschnle: der Staat habe nur für die Persönliche Sicherheit zu sorgen und alles Andere gehen zu lassen, vor der Wissenschaft, vor der Geschichte und vor der Praxis nicht besteht," hatte aber offenbar auch kein Vertrauen zu den positiven Rathschlügen Lassalle's. Daß der Professor Wuttke sich in der ihm eignen unklaren Weise für den Agitator aussprach, war eher nachtheilig für diesen als vou Werth. Dennoch ging Lassalle weiter, indem er die Statuten des zu gründenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/454>, abgerufen am 03.07.2024.