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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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müsse. Die Fvrschrittspcirtei ging hierauf nicht ein, und ihre Presse fuhr fort,
Lassalle einen Anhänger Bismarck's zu schelten, und, als er an die "Reform"
und die "Vossische Zeitung" eine bcrichtigeude Erklärung einsandte, verweigerten
beide Blätter die Aufnahme derselben. Er gab die Erklärung hierauf als
selbständiges Schriftchen unter dem Titel "Macht und Recht" heraus, in welchem
er n. A. treffend sagte: "Wenn ich die Welt geschaffen Hütte, so ist es höchst
wahrscheinlich, daß ich sie ausnahmsweise in dieser Hinsicht nach den Wünschen
der Volkszeitung und des Grafen Schwerin, also so eingerichtet hätte, daß
Recht vor Macht geht. Denn es entspricht dies ganz meinem eignen ethischen
Standpunkt und meinen Wünschen. Leider aber bin ich nicht in der Lage ge¬
wesen, die Welt zu schaffen, und muß jede Verantwortlichkeit, so Lob wie
Tadel, für ihre wirkliche Einrichtung ablehnen." Nicht was sein sollte, er¬
klärt er dann, sondern was wirklich sei, habe er entwickeln, nicht eine ethische
Abhandlung, sondern eine historische Untersuchung habe er liefern wollen. Da
aber zeige sich, daß, während gewiß Recht vor Macht gehen solle, in der wirk¬
lichen Welt doch immer Macht vor Recht gehe, und zwar so lange, bis das
Recht eine hinreichende Macht hinter sich gesammelt habe, um die Macht des
Unrechts zu zertrümmern. Er zeigt, wie die preußische Verfassungsgeschichte
seit 1848 aus einer Reihe von Rechtsbrücheu bestehe, und fährt fort: "Was
bedeutet also der fromme Jubel, mit welchem die Kammer die Erklärung des
Grafen Schwerin aufnahm, daß im preußischen Staate Recht vor Macht gehe?
Fromme Kinderwünsche und weiter nichts. Denn eine feierlichere Bedeutung
würde er nur bei Männern gehabt haben, die entschlossen wären hinter das
Recht auch die Macht zu setzen."

Je mehr bei Lassalle die Hoffnung schwand, die Fortschrittspartei zu
seinen Ideen zu bekehren, desto vertrauter machte er sich mit dem Gedanken,
den Arbeiterstand als organisirte Partei in die Verfassungskämpfe einzuführen.
In dieser Absicht hielt er im Handwerkerverein der oranienbnrger Vorstadt
einen weiteren Vortrag, der sich über den Zusammenhang der gegenwärtigen
Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes verbreitete und darzulegen
versuchte, daß, wie die Revolution von 1789 den dritten Stand, so die von
1848 den vierten zur herrschenden Rolle im Staatsleben berufen habe. Dieser
Vortrag wurde sofort, nachdem er gedruckt worden, von der Polizei konfiszirt,
und der Staatsanwalt klagte den Verfasser der Verletzung des bekannten Haß-
und Verachtnngsparagraphen im preußischen Strafgesetzbuche an, worauf
Lassalle am 16. Januar 1863 vom berliner Stadtgericht in überaus stürmischer
Sitzung zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt wurde. In seiner Verthei-
theidignngsrede, die später unter dem Titel "Die Wissenschaft und die Arbeiter"
im Druck erschien, entwickelte er den Gedanken, daß aus dem Bündnisse


müsse. Die Fvrschrittspcirtei ging hierauf nicht ein, und ihre Presse fuhr fort,
Lassalle einen Anhänger Bismarck's zu schelten, und, als er an die „Reform"
und die „Vossische Zeitung" eine bcrichtigeude Erklärung einsandte, verweigerten
beide Blätter die Aufnahme derselben. Er gab die Erklärung hierauf als
selbständiges Schriftchen unter dem Titel „Macht und Recht" heraus, in welchem
er n. A. treffend sagte: „Wenn ich die Welt geschaffen Hütte, so ist es höchst
wahrscheinlich, daß ich sie ausnahmsweise in dieser Hinsicht nach den Wünschen
der Volkszeitung und des Grafen Schwerin, also so eingerichtet hätte, daß
Recht vor Macht geht. Denn es entspricht dies ganz meinem eignen ethischen
Standpunkt und meinen Wünschen. Leider aber bin ich nicht in der Lage ge¬
wesen, die Welt zu schaffen, und muß jede Verantwortlichkeit, so Lob wie
Tadel, für ihre wirkliche Einrichtung ablehnen." Nicht was sein sollte, er¬
klärt er dann, sondern was wirklich sei, habe er entwickeln, nicht eine ethische
Abhandlung, sondern eine historische Untersuchung habe er liefern wollen. Da
aber zeige sich, daß, während gewiß Recht vor Macht gehen solle, in der wirk¬
lichen Welt doch immer Macht vor Recht gehe, und zwar so lange, bis das
Recht eine hinreichende Macht hinter sich gesammelt habe, um die Macht des
Unrechts zu zertrümmern. Er zeigt, wie die preußische Verfassungsgeschichte
seit 1848 aus einer Reihe von Rechtsbrücheu bestehe, und fährt fort: „Was
bedeutet also der fromme Jubel, mit welchem die Kammer die Erklärung des
Grafen Schwerin aufnahm, daß im preußischen Staate Recht vor Macht gehe?
Fromme Kinderwünsche und weiter nichts. Denn eine feierlichere Bedeutung
würde er nur bei Männern gehabt haben, die entschlossen wären hinter das
Recht auch die Macht zu setzen."

Je mehr bei Lassalle die Hoffnung schwand, die Fortschrittspartei zu
seinen Ideen zu bekehren, desto vertrauter machte er sich mit dem Gedanken,
den Arbeiterstand als organisirte Partei in die Verfassungskämpfe einzuführen.
In dieser Absicht hielt er im Handwerkerverein der oranienbnrger Vorstadt
einen weiteren Vortrag, der sich über den Zusammenhang der gegenwärtigen
Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes verbreitete und darzulegen
versuchte, daß, wie die Revolution von 1789 den dritten Stand, so die von
1848 den vierten zur herrschenden Rolle im Staatsleben berufen habe. Dieser
Vortrag wurde sofort, nachdem er gedruckt worden, von der Polizei konfiszirt,
und der Staatsanwalt klagte den Verfasser der Verletzung des bekannten Haß-
und Verachtnngsparagraphen im preußischen Strafgesetzbuche an, worauf
Lassalle am 16. Januar 1863 vom berliner Stadtgericht in überaus stürmischer
Sitzung zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt wurde. In seiner Verthei-
theidignngsrede, die später unter dem Titel „Die Wissenschaft und die Arbeiter"
im Druck erschien, entwickelte er den Gedanken, daß aus dem Bündnisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/452>, abgerufen am 03.07.2024.