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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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offen erklären, daß sie mit allen den geforderten Beschränkungen ihrer Dispo¬
sitionsfreiheit einverstanden sein würden, wenn nicht der preußische Handels¬
minister, sondern der Bundesrat!) die Maximaltarifsätze gleichmäßig für die
sämmtlichen Bahnen, auch für die Staatsbahnen, bestimmen und ebenso auch
über sämmtliche Ausnahmetarife zu entscheiden hätte, und sicherlich läßt sich
dieser Forderung eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Es scheinen sich
schon jetzt die Folgen davon bemerkbar zu machen, daß, nachdem das Reichs¬
eisenbahnprojekt vertagt oder gar beseitigt erscheint, die preußische Eisenbahn¬
politik selbständig und einseitig vorgeht und daß sich dadurch die Privatbahnen
in ihrer ganzen Existenz bedroht sehen. Alles dies war vorauszusehen, es war
in den Motiven, die seiner Zeit dem Gesetzentwurf wegen Uebertragung der
preußischen Staatsbahnen an das Reich beigegeben waren, ausdrücklich aus¬
einandergesetzt. Wenn jetzt die Privatbahnen die Macht der preußischen Eisen¬
politik unangenehm empfinden und bei dem Reiche Hilfe suchen in der stillen
Hoffnung, daß der Bundesrath in Eisenbahnsachen gerade so machtlos bleibt,
wie er es bisher war, weil ihm die Exekutive hierzu fehlt, so ist das nur ein
Vorspiel zu dem weit interessanteren Schauspiel, das unserer harrt. Die preu¬
ßischen Privatbahnen werden beiNichtausführung des Neichseisenbahnprojektes sehr
bald der Macht der preußischen Staatsbahnpolitik unterlegen sein, und dann
kommen die übrigen, nicht preußischen Staatsbahnen an die Reihe. Allerdings
müßten diese alle auch bei der Durchführung des Reichseisenbahuprojektes in
seiner weitesten Gestalt mit der Zeit ihre Sonderexistenz aufgeben, aber es
würde für alle Theile weniger empfindlich sein, wenn gleich das Reich selbst
den Aufsaugungsprozeß vollzöge, als wenn dieses erst Preußen allem thut.
Das Ende wird dasselbe sein, aber der jetzt scheinbar eingeschlagene Weg wird
mehr Staub aufwirbeln und uach alle" Seite" mehr Spitzen und Härten
zeigen als der, an den Deutschland noch vor Jahresfrist glaubte. Die Ge¬
Geschichte der Tarifreform kann daher von Neuem ein Wink dafür sein, daß
es zweckmäßig wäre, die Reichseisenbahnfrage nochmals, und zwar von Reichs¬
wegen, energisch in die Hand zu nehmen.

Und uun noch einige Worte über die Eingangs erwähnten Unzuträglich-
keiten im deutscheu Güterweseu, die in den Lieferfristen, dem Bestätterungs-
wesen, den Be- und Entladefristen vorhanden sind. Alle diese Dinge find
durch strenge Paragraphen des vom Fürsten-Reichskanzler erlassenen Vetriebs-
reglements bestimmt, welches Reglement im Wesentlichen das früher schon in
Preußen Giltige enthält und auf Grund von Vereinbarungen des Vereins
deutscher Eisenbahnverwaltungen zusammengestellt worden ist. Es müßten also
eventuelle Abänderungen ebenfalls im Wege der Verordnungen durchgeführt
werden.


offen erklären, daß sie mit allen den geforderten Beschränkungen ihrer Dispo¬
sitionsfreiheit einverstanden sein würden, wenn nicht der preußische Handels¬
minister, sondern der Bundesrat!) die Maximaltarifsätze gleichmäßig für die
sämmtlichen Bahnen, auch für die Staatsbahnen, bestimmen und ebenso auch
über sämmtliche Ausnahmetarife zu entscheiden hätte, und sicherlich läßt sich
dieser Forderung eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Es scheinen sich
schon jetzt die Folgen davon bemerkbar zu machen, daß, nachdem das Reichs¬
eisenbahnprojekt vertagt oder gar beseitigt erscheint, die preußische Eisenbahn¬
politik selbständig und einseitig vorgeht und daß sich dadurch die Privatbahnen
in ihrer ganzen Existenz bedroht sehen. Alles dies war vorauszusehen, es war
in den Motiven, die seiner Zeit dem Gesetzentwurf wegen Uebertragung der
preußischen Staatsbahnen an das Reich beigegeben waren, ausdrücklich aus¬
einandergesetzt. Wenn jetzt die Privatbahnen die Macht der preußischen Eisen¬
politik unangenehm empfinden und bei dem Reiche Hilfe suchen in der stillen
Hoffnung, daß der Bundesrath in Eisenbahnsachen gerade so machtlos bleibt,
wie er es bisher war, weil ihm die Exekutive hierzu fehlt, so ist das nur ein
Vorspiel zu dem weit interessanteren Schauspiel, das unserer harrt. Die preu¬
ßischen Privatbahnen werden beiNichtausführung des Neichseisenbahnprojektes sehr
bald der Macht der preußischen Staatsbahnpolitik unterlegen sein, und dann
kommen die übrigen, nicht preußischen Staatsbahnen an die Reihe. Allerdings
müßten diese alle auch bei der Durchführung des Reichseisenbahuprojektes in
seiner weitesten Gestalt mit der Zeit ihre Sonderexistenz aufgeben, aber es
würde für alle Theile weniger empfindlich sein, wenn gleich das Reich selbst
den Aufsaugungsprozeß vollzöge, als wenn dieses erst Preußen allem thut.
Das Ende wird dasselbe sein, aber der jetzt scheinbar eingeschlagene Weg wird
mehr Staub aufwirbeln und uach alle» Seite» mehr Spitzen und Härten
zeigen als der, an den Deutschland noch vor Jahresfrist glaubte. Die Ge¬
Geschichte der Tarifreform kann daher von Neuem ein Wink dafür sein, daß
es zweckmäßig wäre, die Reichseisenbahnfrage nochmals, und zwar von Reichs¬
wegen, energisch in die Hand zu nehmen.

Und uun noch einige Worte über die Eingangs erwähnten Unzuträglich-
keiten im deutscheu Güterweseu, die in den Lieferfristen, dem Bestätterungs-
wesen, den Be- und Entladefristen vorhanden sind. Alle diese Dinge find
durch strenge Paragraphen des vom Fürsten-Reichskanzler erlassenen Vetriebs-
reglements bestimmt, welches Reglement im Wesentlichen das früher schon in
Preußen Giltige enthält und auf Grund von Vereinbarungen des Vereins
deutscher Eisenbahnverwaltungen zusammengestellt worden ist. Es müßten also
eventuelle Abänderungen ebenfalls im Wege der Verordnungen durchgeführt
werden.


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[0436] offen erklären, daß sie mit allen den geforderten Beschränkungen ihrer Dispo¬ sitionsfreiheit einverstanden sein würden, wenn nicht der preußische Handels¬ minister, sondern der Bundesrat!) die Maximaltarifsätze gleichmäßig für die sämmtlichen Bahnen, auch für die Staatsbahnen, bestimmen und ebenso auch über sämmtliche Ausnahmetarife zu entscheiden hätte, und sicherlich läßt sich dieser Forderung eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Es scheinen sich schon jetzt die Folgen davon bemerkbar zu machen, daß, nachdem das Reichs¬ eisenbahnprojekt vertagt oder gar beseitigt erscheint, die preußische Eisenbahn¬ politik selbständig und einseitig vorgeht und daß sich dadurch die Privatbahnen in ihrer ganzen Existenz bedroht sehen. Alles dies war vorauszusehen, es war in den Motiven, die seiner Zeit dem Gesetzentwurf wegen Uebertragung der preußischen Staatsbahnen an das Reich beigegeben waren, ausdrücklich aus¬ einandergesetzt. Wenn jetzt die Privatbahnen die Macht der preußischen Eisen¬ politik unangenehm empfinden und bei dem Reiche Hilfe suchen in der stillen Hoffnung, daß der Bundesrath in Eisenbahnsachen gerade so machtlos bleibt, wie er es bisher war, weil ihm die Exekutive hierzu fehlt, so ist das nur ein Vorspiel zu dem weit interessanteren Schauspiel, das unserer harrt. Die preu¬ ßischen Privatbahnen werden beiNichtausführung des Neichseisenbahnprojektes sehr bald der Macht der preußischen Staatsbahnpolitik unterlegen sein, und dann kommen die übrigen, nicht preußischen Staatsbahnen an die Reihe. Allerdings müßten diese alle auch bei der Durchführung des Reichseisenbahuprojektes in seiner weitesten Gestalt mit der Zeit ihre Sonderexistenz aufgeben, aber es würde für alle Theile weniger empfindlich sein, wenn gleich das Reich selbst den Aufsaugungsprozeß vollzöge, als wenn dieses erst Preußen allem thut. Das Ende wird dasselbe sein, aber der jetzt scheinbar eingeschlagene Weg wird mehr Staub aufwirbeln und uach alle» Seite» mehr Spitzen und Härten zeigen als der, an den Deutschland noch vor Jahresfrist glaubte. Die Ge¬ Geschichte der Tarifreform kann daher von Neuem ein Wink dafür sein, daß es zweckmäßig wäre, die Reichseisenbahnfrage nochmals, und zwar von Reichs¬ wegen, energisch in die Hand zu nehmen. Und uun noch einige Worte über die Eingangs erwähnten Unzuträglich- keiten im deutscheu Güterweseu, die in den Lieferfristen, dem Bestätterungs- wesen, den Be- und Entladefristen vorhanden sind. Alle diese Dinge find durch strenge Paragraphen des vom Fürsten-Reichskanzler erlassenen Vetriebs- reglements bestimmt, welches Reglement im Wesentlichen das früher schon in Preußen Giltige enthält und auf Grund von Vereinbarungen des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen zusammengestellt worden ist. Es müßten also eventuelle Abänderungen ebenfalls im Wege der Verordnungen durchgeführt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/436>, abgerufen am 29.06.2024.